"Tut uns leid, dieses Medikament ist aktuell nicht lieferbar." Immer öfter muss der Würzburger Apotheker Wolfgang Schiedermair diesen Satz aussprechen. Immer häufiger zeigt sein Apotheken-Computer an, dass die vom Arzt verschriebene oder die vom Kunden gewünschte Arznei nicht verfügbar ist. Zu den Wirkstoffen, die aktuell bayernweit Lieferprobleme machen, gehören die Blutdrucksenker Valsartan und Candesartan, das bekannte Schmerzmittel Ibuprofen, das Gicht-Mittel Allopurinol, Antidepressiva wie Citalopram sowie zahlreiche Impfstoffe, Augentropfen und etliche Antibiotika, Antiepileptika und Asthmamittel.
Die Liste betroffener Medikamente hat Thomas Metz, der Sprecher des bayerischen Apothekerverbands, eigens für diese Redaktion erstellt; er hat dafür stichprobenartig bei zehn bayerischen Apothekern aus Stadt und Land nachgefragt. Laut dieser Umfrage sind Bayerns Apotheker "mindestens zehn Mal pro Woche und bis zu fünf Mal täglich" mit Lieferengpässen bei bis zu 170 Medikamenten konfrontiert. "Apotheker verbringen deshalb immer mehr Zeit damit, Medikamenten nachzujagen", klagt Metz. "Wir können den Patienten ja nicht unversorgt lassen."
Schlamperei in chinesischer Firma hat dazu geführt, dass Valsartan nicht mehr verkauft wird.
Wieso es dazu kommt, dass auch extrem umsatzstarke Medikamente plötzlich nicht lieferbar sind, erklärt der Wolfgang Schiedermair, Inhaber der Würzburger Glocken-Apotheke und der Würzburger Sprecher des Apothekerverbands, am Beispiel des Blutdrucksenkers Valsartan. Laut Schiedermair ist Valsartan für den Welthandel "hauptsächlich in China hergestellt worden, von einem einzigen Hersteller". Weil aber dieser chinesische Hersteller eigenmächtig die Wirkstoffsynthese geändert habe und dadurch die Synthesebegleitstoffe als kritisch, möglicherweise sogar als krebserregend galten, habe das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Valsartan im vergangenen Sommer vom Markt genommen und den Verkauf verboten. Laut der "Gelben Liste", einer Medikamten-Datenbank für Apotheker und Ärzte, ist Valsartan weiter nicht lieferbar.
"Für uns Apotheker bedeutet das einen Wahnsinns-Aufwand", sagt Schiedermair. Zwar gebe es einen vergleichbaren Blutdrucksenker, der auch gut vertragen werde. "Aber alle Patienten müssen umgestellt werden." Er als Apotheker rufe also behandelnde Ärzte an, erbitte neue Rezepte. Zum Teil, sagt Schiedermair, bestünden Ärzte darauf, dass er zuerst den Ärzten Freiumschläge schicke, damit der Rezeptversand für die Arztpraxen kostenfrei bleibe. Ähnlich aufwändig ist es für Apotheker, einen Ersatz für das bekannte Schmerzmittel Ibuprofen zu finden, das nach einem Brand in der Herstellerfirma in den Vereinigten Staaten und daraus resultierenden Produktionsproblemen kaum noch zu bekommen sei. "Es gibt Konkurrenzfirmen, die liefern können, aber immer nur kleine Mengen", sagt Schiedermair. Er sagt: "Wenn es schlimm kommt, kann es passieren, dass der Apotheker wegen einer Verschreibung zehn bis fünfzehn Hersteller-Firmen anrufen muss."
Apotheker halten Rabattverträge für problematisch
Tatsächlich ist die extrem aufwändige Medikamentenjagd nach Einschätzung vieler Apotheker eine Folge der Globalisierung. Wirkstoffe würden überwiegend in Billiglohnländern wie China oder Indien produziert. Die Herstellung konzentriere sich oft in einer einzigen Produktionsanlage. Falle ein Groß-Hersteller dann aus - wie bei Ibuprofen oder Valsartan - gebe es weltweit Lieferprobleme. "Es müssten endlich Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es für die Industrie attraktiver machen, in Europa zu produzieren", fordert Thomas Metz, der Sprecher des bayerischen Apothekerverbands. "Dann hätten wir kürzere Lieferwege!" Laut Thomas Metz tragen in Deutschland aber auch die rund 27 000 Rabattverträge, die Kassen mit Herstellerfirmen geschlossen haben, zur Verschärfung des Problems bei. Hörten Hersteller, dass ihr Rivale für ein spezielles Medikament einen Rabattvertrag mit der Krankenkasse geschlossen habe, stellten sie die Produktion ein: Damit seien Lieferengpässe programmiert. Laut dem Spitzenverband der Krankenkassen sind Rabattverträge als "wirksames Instrument der Kostenersparnis" wichtig. Möglich gemacht wurden Rabattverträge durch zwei Gesetze der schwarzroten Bundesregierung in 2006 und 2007.