wolf: Ja. Denn wenn man es merkt, hat man als Wahrnehmungsforscher ganz phantastische Möglichkeiten, nachzuforschen, warum das so ist. Das ist ein Konzept, das die Wissenschaft weiter bringt: Selbsttäuschungen zu finden und daran abzulesen, wie unser Gehirn normalerweise funktioniert. Denn wenn es normal funktioniert, bekommen wir nichts davon mit. Dann geht es einfach, und wir merken gar nicht, was für phantastische Leistungen es vollbringt.
Machen Täuschungen Sinn? Sind sie lebenswichtig?
wolf: Geometrische Täuschungen sind Seh-Wahrheiten. Nehmen wir die T-Täuschung. Selbst wenn Horizontale und Vertikale beim T gleich lang sind, überschätzen wir die Höhe. Das ist eine sinnvolle Sache. Denn wenn wir Höhen unterschätzen würden, würden wir häufiger herunter fallen - und gefährlicher leben.
Ist das Wort Wahr-nehmung im Sinne von wahr, wahrhaftig denn korrekt?
wolf: Eine schöne Wortspielerei. Hinter wahrnehmen steckt natürlich, etwas für wahr annehmen. Und das ist fast immer ein Irrtum. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass unsere Wahrnehmung, das, was uns unsere Sinne mitteilen, wahr ist.
Nehmen Sie das Gleiche wahr wie ich?
Wolf: Sicherlich nicht. Die menschlichen Hirne sind im Detail sehr verschieden. Viel verschiedener als viele Menschen annehmen. Das Gehirn entwickelt sich ganz spezifisch. Und wir nehmen Dinge unterschiedlich wahr, je nachdem, was wir gelernt haben.
Müssen wir skeptischer sein?
wolf: Ob man das sein muss, ist die Frage. Viele Menschen leben in einer Phantasiewelt und fühlen sich sehr wohl dabei. Dagegen ist dann eigentlich nichts zu sagen. Aber solche Phantasiewelten können auch große Schäden mit sich bringen. Ich denke zum Beispiel daran, dass viele Wünschelrutengänger der Meinung sind, dass es gefährliche Erdstrahlen gibt. Oder aber, dass Handys gefährlichen Elektrosmog aussenden. Natürlich senden sie elektromagnetische Wellen aus. Aber ob die gefährlich sind, ist eine ganz andere Sache. Und bei den Wünschelrutengängern ist es noch ein bisschen obskurer. Denn diese angeblich schädlichen Erdstrahlen hat noch niemand nachweisen können.
Was tun Sie als Skeptiker gegen Phantasiewelten?
wolf: Wir versuchen konsequent nichtdogmatische Wissenschaftler zu sein. Dogmatische Wissenschaftler sagen, das passt nicht ins Weltbild, Erdstrahlen gibt es nicht, Phantasieprodukt, Punkt. Wir sagen: Gut, sie passen nicht ins heutige Weltbild, vielleicht haben wir da etwas übersehen. Das sollte man immer im Hinterkopf haben, man sollte offen sein für alles Neue. Aber man sollte testen und nüchtern prüfen, ob man nachweisen kann, dass es so etwas gibt. Die Wünschelrute ist nach allem, was man heute weiß, mit dem Begriff gut und treffend bezeichnet. Sie schlägt dann aus, wenn der Rutengänger es bewusst oder - in der Regel - unbewusst wünscht, wenn er erwartet, an dieser Stelle ist etwas. Wenn er aber nichts weiß, dann schlägt sie rein statistisch aus. Bei Doppelblind-Tests kam bisher immer ein reines Zufallsergebnis heraus.
Das heißt, Wahrnehmung hat sehr viel mit Erwartung zu tun?
Wolf: Richtig. Und zwar mit bewusster und unbewusster Erwartung. Deshalb ist das Ganze so schwer zu fassen.
Die öffentliche GWUP-Konferenz
geht weiter am heutigen Samstag,
915 bis 18 Uhr, in den Residenz-
gaststätten.