Sieglinde Bösl wollte nicht an den Main ziehen, weil sie Wasser nicht mag. Auf der Höhe bei Eßfeld ist weit und breit kein Fluss, nur der schmalen Saarbach schlängelt sich ins Tal. Weil sie glaubte, hier sicher vor Überschwemmungen zu sein, ließ sich Sieglinde Bösl mit ihrer Keramikwerkstatt nieder.
Doch dann kam der 29. Mai. Mehr als 80 Liter Regen fielen pro Quadratmeter, eine gigantische Welle überschwemmte Eßfeld und viele andere Ortschaften im südlichen Landkreis Würzburg. Schlamm setzte sich fest, blieb hartnäckig in jeder Ritze haften.
Ein halbes Jahr später dreht sich bei Sieglinde Bösl die Töpferscheibe wieder. Vier Monate fiel die Produktion aus. Das schwere Unwetter vor einem halben Jahr hat ihr und vielen anderen im südlichen Landkreis Würzburg schwer zugesetzt. Allein in Eßfeld liegt der Schaden bei weit über einer Million Euro.
Etwa 100 000 Euro sind es bei Sieglinde Bösl. „Vier Monate Betriebsausfall sind da gar nicht eingerechnet“, sagt sie. „Wie soll ich das auch beziffern?“
Eigentlich hätte sie sogar den Ofen austauschen müssen. Doch 135 000 sind ein Wort. „Das Geld habe ich nicht“, sagt die Frau. Etwa 25 Prozent ihres Schadens wurde ersetzt. Den Rest muss sie selber tragen. Damit ihre Werkstatt wieder läuft, arbeiten sie und ihre Mitarbeiter jetzt mehr denn je. „Mir geht es nicht alleine so. Das Unwetter ist für viele noch immer eine große finanzielle Belastung“, sagt sie.
Die Eßfelder hatten nach der schweren Sturmnacht vor einem halben Jahr den Eindruck, dass sie von vielen vergessen wurden. Von den Medien, von der Politik, vom Bürgermeister. Reichlich hagelte es Kritik. Eßfeld, das vergessene Dorf, sollte nicht länger vergessen sein. Zumal anfangs auch keine staatlichen Hochwasserhilfen fließen sollten.
CSU-Landtagsabgeordneter Manfred Ländner hatte sich daraufhin massiv dafür eingesetzt, dass die betroffenen Gemeinden im Landkreis Würzburg in die Kategorie „Jahrhunderthochwasser“ aufgenommen werden. „Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Sieglinde Bösl.
Mittlerweile haben die Kommunen über eine Million Euro als Sofortgeld an die Betroffenen ausbezahlt, teilt das Landratsamt Würzburg mit. Etwa 750 000 Euro davon gingen an Privathaushalte, 250 000 Euro Soforthilfe erhielten Gewerbetreibende, Selbstständige oder landwirtschaftliche Betriebe und Vereine. Sieglinde Bösl will den Eßfeldern eine Stimme geben. „Alle haben hier Angst, dass es uns beim nächsten Unwetter wieder erwischt? Wie geht es jetzt weiter? Was tut die Gemeinde?“
Es ist schon eine Zeit her, da haben sich Giebelstadts Bürgermeister Helmut Krämer zusammen mit einem Planer, dem Gemeinderat und Vertretern des Wasserwirtschaftsamtes vor Ort die brenzligen Punkte angesehen und darüber diskutiert, wo Reckenrückhaltebecken Sinn machen. Die Pläne erwartet Krämer im Dezember. Er weiß selbst, dass sich bis dahin etwas tun muss. „Sonst wird es unglaubwürdig“, sagt er. „Aber in Vergessenheit geraten ist es nicht.“
Dass aber schon im Frühjahr vor den nächsten Regenfällen gebaut werden kann, hält der Bürgermeister für unwahrscheinlich. Im Herbst 2017, so schätzt er, könnte es losgehen. Vieles hänge auch davon ab, wie sich die Landwirte verhalten werden. Die Gemeinde benötigt Flächen, um die Rückhaltebecken bauen zu können. Im Sommer, einige Wochen nach dem Unwetter, haben viele von ihnen noch erklärt, an einem Strang ziehen zu wollen.
Krämer kann sich noch gut an diese Zusagen erinnern.
Sieglinde Bösl denkt an kleinere Maßnahmen, die vielleicht schon früher umgesetzt werden können. Hecken, tiefere Gräben oder Schächte, die das Wasser aufhalten. „Damit es nicht wieder ungebremst alles überfluten kann.“ „Vielleicht ist das möglich“, sagt Krämer.
Möglicherweise ließen sich sogar die Bauern davon überzeugen, nicht nur immer Mais anzubauen, damit der Boden mehr Wasser aufnehmen kann, hofft Sieglinde Bösl. Helmut Krämer hält es für schwierig, Landwirte davon zu überzeugen, dass sie sich mit ihren Anbaukulturen danach richten.
Jetzt, wo Sieglinde Bösl die bittere Erfahrung machen musste, dass sie auch auf der Höhe bei Eßfeld und weit weg vom Main mit Hochwasser rechnen muss, hat sie eine Versicherung abgeschlossen. „Das kann ich nur jedem raten. So teuer ist das gar nicht“, sagt sie und dreht wieder die Töpferscheibe.
Kurz blickt sie noch einmal hoch und sagt mit ernstem Blick: „Vergesst uns nicht wieder!“