Technik der Liebe – IV
Zwei Liebende, die sich nach Jahren wieder treffen,
sitzen einander gegenüber wie zur Besuchszeit
in einem Gefängnis – die Trennwand zwischen ihnen und die Uhr über ihnen
und die Wächter an ihrer Seite.
Sie sprechen mit ruhigen Stimmen
über die Gründe für ihre Trennung vor langer Zeit:
"Wir wollten – jeder von uns – eine Kletterpflanze sein.
Und zugleich wollte keiner die Mauer sein, die zurückblieb.
Wir waren wie zwei Fotoapparate,
die sich gegenseitig fotografieren.
Wir waren wie zwei befestigte Städte,
von denen die erste über die zweite eine Belagerung verhängt.
Jetzt sind unsere Gefühle wie die Gedärme von Fischen
und von geschlachtetem Geflügel, die man auf die Straße geworfen hat
– ein Fressen für die von Abfällen lebende Katze und für den streunenden Hund.
Jehuda Amichai (1982)
Der in Würzburg 1924 als Ludwig Pfeuffer geborene Jehuda Amichai hätte am 3. Mai 2024 seinen 100. Geburtstag gefeiert. 1936 nach Palästina ausgewandert, lebte Amichai bis zu seinem Tod 2000 in Jerusalem. Ihm zu Ehren veröffentlicht die Main-Post unter dem Motto "Amichai lesen!" in loser Folge einige seiner Gedichte in der Übersetzung von Karlheinz Müller.
Jehuda Amichai ist der weltweit bekannteste Dichter und Schriftsteller aus Würzburg. Sein Werk umfasst einen Roman, Theaterstücke, Hörspiele und über 1500 Gedichte. Er wurde mit dem Israel-Preis und dem Würzburger Kulturpreis ausgezeichnet – und war sogar mehrfach für den Nobelpreis nominiert. Die Stadt Würzburg verlieh in diesem Jahr erstmals den mit 15.000 Euro dotierten Jehuda-Amichai-Literaturpreis. Ausgezeichnet wurde die Schriftstellerin Barbara Honigmann.
Foto: Petra Winkelhardt/Grafik: Main-Post
Die hier abgedruckten Übersetzungen sind dem Buch "Auf meinem Tisch liegt ein Stein. Festschrift zum 100. Geburtstag von Yehuda Amichai", die im Verlag Königshausen & Neumann erschienen ist (ISBN 978-3-8260-8769-1).