Das Stadtarchiv Würzburg verwahrt einen in seiner Geschlossenheit außergewöhnlichen Quellenbestand: Die Würzburger Ratsprotokolle setzen bereits 1432 ein und sind bis in die Frühe Neuzeit fast lückenlos erhalten; sie gehören zu den ältesten überlieferten Texten ihrer Art im deutschsprachigen Raum und sind eine zentrale Quelle für die spätmittelalterliche Stadtgeschichte. In einem mehrjährigen Projekt, das am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften der Universität angesiedelt war, ist es gelungen, diese für Würzburg und Mainfranken aufschlussreichen Texte für den Zeitraum von 1432 bis 1465 mit ausführlichem Kommentar zu veröffentlichen. Der soeben fertiggestellte zweite Band ist in der renommierten Quellenreihe „Fränkische Urkundenbücher und Regestenwerke“ der Gesellschaft für Fränkische Geschichte erschienen.
Turbulente Phase der Würzburger Stadtgeschichte
Mit der von Antonia Bieber erstellten Edition der Ratsprotokolle können nun, soweit es die Stadt Würzburg angeht, alle intern relevanten, aber auch wichtige mainfränkische Ereignisse im Bearbeitungszeitraum nachverfolgt werden. Erläuterungen zu Fakten und Personen vermitteln einen Einblick in eine turbulente Phase der Würzburger Stadtgeschichte. Das städtische Leitungsgremium hatte sich unter schwierigen Rahmenbedingungen mit der Regierung von zwei fürstbischöflichen Stadtherren, nämlich Gottfried IV. Schenk von Limpurg (1443–1455) und Johann III. von Grumbach (1455–1466), auseinanderzusetzen.
Enorme Schuldenlast und viele Fehden
Bischof Gottfried hatte eine enorme, von seinem Vorgänger Bischof Johann II. von Brunn hinterlassene Schuldenlast zu bewältigen. Finanzpolitische Aspekte bestimmten daher zwangsläufig sein politisches Handeln: neue Steuern waren somit angesagt. In seinen außenpolitischen Aktionen ging es ihm vorrangig darum, die Rechte des Hochstifts zu sichern. Die aggressive Politik des benachbarten Markgrafen Albrecht Achilles führte mehrfach zu Fehden. Würzburger Truppen, die vom Bischof angefordert worden waren, kämpften auf der Seite der Städte, insbesondere Nürnbergs.
In einer Münzvereinbarung mit benachbarten Territorien versuchte Gottfried, die Geldwirtschaft zu fördern. Seine sparsame Haushaltsführung zielte darauf ab, verpfändete Herrschaften und Rechte wieder einzulösen.
Wenig Begeisterung über Sondersteuer
Gegenüber der Stadt Würzburg verhielt er sich maßvoll; er respektierte die überlieferten Rechte, gewährte Zollfreiheiten und stellte Geleitbriefe, Schutzgarantien für Kaufleute, Boten und Reisende aus. Über die Sondersteuern zur Tilgung der Finanzkrise war die Bürgerschaft allerdings nicht begeistert: Dennoch stimmte sie 1446 mit dem Domkapitel einer „Stadtsteuer“ von 1 Gulden pro Herd (Haushalt) und 1447 einer mehrjährigen Umsatzsteuer (Ungeld) auf Wein und Getreide zu. Teuer waren die Aufwendungen für die Verteidigungsmaßnahmen der Residenzstadt (Stadtmauer, Geschütze, Munition, Anwerbung von Söldnern). Im geistlichen Bereich hielt der Bischof mehrfach Diözesansynoden ab, verfügte Ablässe für die Kirchen des Bistums, die Geld einbringen sollten, und ging energisch gegen hussitische Abweichler im Aischgrund vor.
Unter seinem Nachfolger Johann von Grumbach, der als Mitglied des u. a. für Polizei, Wirtschaft und Justiz zuständigen Würzburger Oberrates schon vor seiner Wahl Einblick in die kommunalen Verwaltungsgeschäfte erhalten hatte, wurden die bereits eingeleiteten Reformansätze nicht weitergeführt; er war ein notorischer Gegner seines Vorgängers. Nach Amtsantritt ließ er den Würzburger Schultheißen Hans Hessler, einen engen Vertrauten Bischof Gottfrieds, gefangen setzen und dessen Güter einziehen. Außenpolitisch scheute er nicht davor zurück, die langwierigen Fehden gegen den vom Kaiser geförderten Markgrafen Albrecht Achilles weiterzuführen. Auch hier unterstützte die Stadt Würzburg die Aufgebote mit städtischen Söldnern.
Ausbau des Grafeneckart
Beim vergeblichen Sturm auf die Stadt Uffenheim erlitt das würzburgische Kontingent große Verluste. Der Rat sah sich dadurch gezwungen, das Waffenarsenal der Stadt zu erweitern. Als der Bischof versuchte, die Kompetenzen des Rates einzuschränken, schlug ihm Widerstand entgegen. 1453 wurde das Rathaus, der Grafeneckart, als repräsentativer Sitz der Bürgerschaft ausgebaut und innerhalb von drei Jahren mit einem weithin sichtbaren Turm als Zeichen städtischer Wehrhaftigkeit erweitert.
Dies alles ist in den nicht immer leicht verständlichen Ratsprotokollen verzeichnet, die durch einen Sachkommentar erschlossen werden. Die Niederschriften des Stadtschreibers weisen ein weites und buntes Themenspektrum auf. Sie geben etwa Auskunft über Rechtsstreitigkeiten, in welche die Stadt involviert war. So betreffen viele Notizen einen langjährigen Prozess der Stadt gegen den auch in der Literaturgeschichte bekannten Ritter Jakob Püterich von Reichertshausen. Dieser hatte die Stadt wegen ererbter Ansprüche auf Geldschulden am kaiserlichen Kammergericht verklagt und diese in die Aberacht gebracht; sie war damit recht- und friedlos. Daraufhin befassten sich nicht nur die römische Kurie, sondern auch mehrere Schiedsgerichte mit dem Fall.
Text: Ulrich Wagner