
Die gebürtige Gelchsheimerin Gaby Reuß hat sich 1985 zusammen mit drei Freunden auf den Weg vom Ochsenfurter Gau nach Kapstadt in Südafrika gemacht: 30 000 Kilometer Fahrt in einem zum Wohnmobil umgebauten Mercedes 508D. Über 30 Jahre später hat sie das Buch „Zehn Monate durch Afrika“ herausgebracht, in dem sie von einer Art zu reisen erzählt, die längst vergangen ist – ohne Smartphone, Navi und sonstige technische Hilfsmittel. Im Interview erzählt die Wahl-Münchnerin von einem Roadtrip, der ihr Leben bis heute geprägt hat.
FRAGE: Was hat Sie nach über 30 Jahren dazu bewogen, das Buch herauszubringen?
Gaby Reuß: Der Text an sich besteht seit über 20 Jahren. Ich habe damals fünf dicke Notizbücher Reisetagebuch geschrieben und hatte immer vor, es zu veröffentlichen. In den 90ern habe ich meine Mitschriften auf dem PC abgetippt. Als es mit der Digitalfotografie losging, habe ich in das Ganze Bilder eingefügt. Vor ein paar Jahren habe ich von der Möglichkeit von „books on demand“ erfahren – und 2017 hab‘ ich mich hingesetzt, das fast 500 Seiten lange Reisetagebuch gekürzt und es rausgebracht.
Sie haben sehr detaillierte Aufzeichnungen von damals.
Reuß: Ich habe während der Reise täglich mindestens eine Stunde geschrieben. Tagsüber waren wir mit dem Auto unterwegs, gegen 17 Uhr haben wir Stopp gemacht, gekocht, gegessen – und um 18 Uhr begann mit der Dunkelheit der Abend. Was macht man da? Wir haben Briefe geschrieben, und ich habe sehr viel Tagebuch geführt.
Waren die zehn Monate in Afrika die prägendste Reise Ihres bisherigen Lebens?
Reuß: Auf jeden Fall. Ich habe das Reisen für mich entdeckt und ganz viel fürs Leben mitgenommen: Offenheit für andere Kulturen und die Neugier, Neues zu sehen und zu erleben. Das ist prägend bis heute.
Wie kam es zu der Reise?
Reuß: Die Idee kam von meinem Freund Hermi, der schon mal in Afrika war. Mit seiner Freundin Christine wollte er nochmal hin – diesmal in einem zum Wohnmobil umgebauten Mercedes 508D durch den ganzen Kontinent bis Kapstadt. Dass ich dazukam, war reiner Zufall. Als die beiden bei mir in München zu Besuch waren, um ihre Ausrüstung für die Reise zu kaufen, kam spontan die Frage: Du kannst doch mitfahren, hast du Lust? Erst hat mich das gar nicht gereizt. Dann hab‘ ich mich mit der Thematik beschäftigt und entschieden: Ich komme mit. Ebenso wie ein weiterer Freund, Josef.
Wie war die Reaktion Ihrer Familie?
Reuß: Die Familie war natürlich nicht begeistert. So weit weg – und Afrika? Es gab ja damals noch kein Internet, kein Handy, nichts. Der Kontakt beschränkte sich auf einen Brief auf blauem Luftpostpapier alle sechs Wochen. Wir konnten auch nur selten anrufen, weil man auf eine Telefonleitung auch mal bis zu vier Stunden warten musste.
Wie konnten Ihre Leute Kontakt zu Ihnen halten?
Reuß: Wir hatten einen Plan, wann wir ungefähr in welcher Hauptstadt sein würden: im Februar in Niger, im Mai in Nairobi in Kenia – an die jeweilige Botschaft haben wir uns Briefe schicken lassen. Das hat meist geklappt, und es war immer wunderbar, von zuhause zu hören.
Was haben Sie von den politischen Verhältnissen und der Apartheid mitbekommen?
Reuß: Die Leute in Deutschland haben uns gewarnt: Es gibt Unruhen in Südafrika, wollt Ihr da wirklich hin? Wir dachten: Wir schauen einfach mal. Wir haben nichts gespürt von Aufständen, das meiste hat sich in den Townships abgespielt. Für uns war Südafrika ein Land wie jedes andere – abgesehen von Einschränkungen wie getrennten Stränden oder Sanitäreinrichtungen. Oder wenn man bei Leuten zu Besuch war und mit den Angestellten gesprochen hat, die einem von den Lebensverhältnissen und Problemen in Soweto oder den Townships von Kapstadt erzählt haben.
Haben Sie während Ihrer Reise etwas vom Weltgeschehen mitgekriegt?
Reuß: Oh, wir waren in unserer Reiseblase! Man kam auch nicht an Informationen. Wir waren froh, wenn wir Touristen getroffen haben, die uns den „Spiegel“ oder eine andere Zeitschrift überlassen haben, die wir dann von der ersten Seite bis zum Impressum studiert haben. Mitgekriegt haben wir das, was uns Verwandte und Freunde in Briefen berichtet haben: dass mit Gorbatschow ein moderater Mann in der Sowjetunion an der Macht ist, vom Glykolwein-Skandal in Österreich und der Aids-Problematik.
Wie haben Sie sich auf die Reise vorbereitet?
Reuß: Für die bekannteren Reiseländer wie Kenia, Tansania und Südafrika existierten Reiseführer mit den wichtigsten Informationen, für Länder wie Niger oder Zentralafrika aber nichts Offizielles. Es gab dafür damals das berühmte Buch „Durch Afrika“ – mit Streckenbeschreibungen von Travellern, die mit dem Auto durch den Kontinent gereist sind und dem Verlag ihre Informationen weitergegeben haben. Wir hatten dadurch viele grobe Routenbeschreibungen, auf die wir uns verlassen haben – da war nichts mit GPS und Google Maps.
Wie lange haben die Vorbereitungen gedauert?
Reuß: Knapp fünf Monate: Wir mussten den Bus, Baujahr 1972, herrichten, die benötigten Visa in Bonn einholen. Man war beim Arzt, hatte viele Impfungen, musste Bescheinigungen einholen – die Organisation war sehr aufwändig. Aber wir waren jung und dachten: „Wir wollen von Deutschland nach Kapstadt – und erledigen jetzt alles, was wir dafür brauchen.“
Wie haben Sie die Reise finanziert?
Reuß: Die Reise hat jeden von uns 4000 DM gekostet. Unterwegs haben wir Geld verdient, indem wir diverse Sachen verkauft haben, z.B. billige Uhren, die wir vorher besorgt hatten. Wir hatten außerdem drei Säcke mit Altkleidern dabei – Kleidung, Schuhe und Bettwäsche – alles, was wir zuhause nicht mehr benötigt haben. Davon haben wir Sprit gekauft oder Geld getauscht.
Was war der schrecklichste, was der schönste Moment der Reise?
Reuß: Schreckliche Momente, in denen uns die Knie gezittert haben, waren die Brückenüberquerungen in Zahir, wo Christine und ich oft ausgestiegen sind und Angst hatten, dass das Auto zehn Meter in den Fluss runterfällt. Wenn einem von uns oder dem Auto was passiert wäre, wären wir erst mal tagelang ohne eine Menschenseele festgesessen. Schöne Erlebnisse gab es viele: Die Stille in der Sahara zum Beispiel war unglaublich schön.
Was finden Sie aus heutiger Sicht am unglaublichsten?
Reuß: Dieses „An das Gute glauben“. Wir haben meist nicht weit weg vom Straßenrand gecampt – oft mit offener Tür über Nacht. Dass uns da nie was passiert ist, finde ich im Nachhinein noch immer unglaublich. In Ostafrika haben wir uns außerdem auch außerhalb von Nationalparks häufig in die Pampa gestellt, auf dem Busdach übernachtet und sind nachts die Leiter runter und hinter den nächsten Busch auf Toilette. Ich weiß nicht, wie oft da ein Löwe, eine Schlange oder sonstige Tiere waren! Das ist das Gute am Reisen, wenn man so jung ist: Man denkt an viele Risiken einfach nicht. Wenn man an das Gute glaubt, dann geht auch alles gut (lacht).
Hatten Sie nach Ihrer Rückkehr Schwierigkeiten, in den Alltag zurückzufinden?
Reuß: Oh ja, das war sehr gewöhnungsbedürftig. Ich erinnere mich, dass ich Anfang Dezember in der Münchner Innenstadt war und nach einer Stunde unbedingt nach Hause musste. Weil ich es nicht ertragen habe – die vielen Menschen, die Lichter, den Konsum. Es kam mir alles so unwichtig vor. Ich spürte: Ich habe was erlebt und im Gefühl, was andere nicht nachvollziehen können. Unter Afrika-Reisenden spricht man außerdem vom Afrika-Virus: Wer einmal dort war, wird sich immer daran erinnern und muss zurückkehren.
Haben Sie manchmal Sehnsucht nach der damaligen Art zu reisen – ohne technische Hilfsmittel?
Reuß: Ohne Hilfsmittel hat man mehr Zeit gebraucht, ich empfinde sie eher als Erleichterung. Aber ich habe auf Reisen später oft ganz bewusst das Handy oder Tablet zur Seite gelegt, weil ich dachte: Warum sitz‘ ich auf meiner Terrasse in der Savanne und lese E-Mails von zuhause? Ich bin jetzt in Afrika und da will ich auch sein. Das Problem am technischen Equipment ist: Man ist nie ganz weg, wenn man unterwegs ist. Man muss sich mal davon lösen, um das, was ist, auch genießen zu können.
Wir waren während unserer Reise darauf zurückgeworfen, den Tag und den Moment wahrzunehmen, es gab keine Ablenkung. Vielleicht sind deswegen die Eindrücke so stark – weil alles ganz pur war.
Was bedeutet die Reise und das Buch für Sie?
Reuß: Andere Menschen sagen, sie möchten ein Haus bauen oder einen Baum pflanzen – ich wollte schon immer ein Buch veröffentlichen. Ich freu' mich, wenn andere beim Lesen Spaß an unserer Reise haben und ich Verständnis und Interesse für Afrika wecken kann – Werbung für diesen Kontinent, der oft als minderwertig betrachtet wird und dabei so viel bietet. Mich beeindruckt immer wieder die Freundlichkeit, Zufriedenheit und Lebensfreude der Menschen dort – trotz aller Armut und Widrigkeiten des Alltags.
Gaby Reuß

