Selbstbewusst, mit offenem Blick sitzt Meike Beer am Esstisch. Ihre Stimme ist tief und klar. Meike Beer heißt nicht wirklich Beer, aber das, was sie zu erzählen hat, möchte sie lieber anonym tun – das erspare Ärger. Sie sei ihrer Chefin schon seit längerem ein Dorn im Auge, meint die junge Frau.
Seit vielen Jahren arbeitet Meike Beer schon im Seniorenheim, irgendwo in der Nähe von Würzburg. Oft gehe sie frustriert nach Hause, mit dem Gefühl, den Bewohnern nicht gerecht zu werden. An besonders schlimmen Tagen setzt sie sich hin und schreibt sich ihren Frust von der Seele. So sind schon einige Texte entstanden. Den letzten hat sie an diese Redaktion geschickt. Beer sagt, sie möchte damit zum Nachdenken anregen.
Alle Namen in ihrem Text sind frei erfunden, die Ereignisse nicht. Sie stammen alle aus ihrem Arbeitsalltag als Altenpflegerin. Beer hat sie in einem Text zusammengefasst und aus Sicht einer Bewohnerin geschrieben.
Eine fiktive Bewohnerin erzählt
„Um sechs Uhr ist die Nacht zu Ende. Der Pfleger kommt ins Zimmer, meist ohne zu klopfen, macht ohne Vorwarnung das Licht an und grüßt mit einem mürrischen ,Morgen‘. Du weißt nie, wer dich heute pflegt. Kommt die freundliche, aber gestresste Schwester Anne? Oder der dauermürrische Norbert? Die aufgedrehte Ellen? Die rabiate Uschi? Ich weiß es nicht. Es ist jeden Tag eine Überraschung. Und es macht mir Angst. Ich komme nicht mit jedem zurecht. Und ich bin alt. Das Alter macht es mir manchmal schwer zu denken, zu reden, zu handeln. Ich kann nicht mehr so wie früher.“
Die Frühschicht sei am anstrengendsten, sagt Meike Beer. Eigentlich beginne die Schicht um sechs Uhr und gehe bis 14.30 Uhr. Die erste Pflegekraft komme aber immer schon um 5.30 Uhr, um eine richtige Übergabe mit der Nachtschicht zu machen. Diese halbe Stunde ist Freizeit. Um Überstunden abzubauen, gibt es in Meike Beers Seniorenheim Schichten, die unter der Hand vergeben werden. Bei teilweise 400 bis 500 Überstunden pro Pflegekraft wirkt das wie ein verzweifelter Versuch, irgendetwas zu tun.
Zu Beginn der Frühschicht arbeitet eine Person alleine, denn Verstärkung kommt erst ab 6.30 Uhr. Vier Schwestern sind dann für knapp 40 Bewohner zuständig. Am Wochenende seien es sogar nur drei. Da brauchen die Bewohner wohl weniger Pflege, vermutet Beer mit einem verzweifelten Lachen.
Als sie angefangen hat, waren es noch fünf Mitarbeiter. Durch das inoffizielle Schichtsystem ist die Station kaum mehr als vier Stunden voll besetzt. Das heißt, dass die Pflegekräfte knapp zehn Minuten Zeit haben, die Bewohner zu wecken, zu waschen und anzuziehen.
Das Gefühl, ausgeliefert zu sein
„Das Wasser ist kalt. Keine Zeit, die Temperatur richtig einzustellen. Die Heizung im Bad war über Nacht aus. Aber heute ist Duschtag. Es muss geduscht werden, sonst ist diese Woche keine Zeit mehr dafür. Also Augen zu und durch. Entweder werde ich alleine am Waschbecken mir selbst überlassen, egal ob ich kann oder nicht, oder die Schwester übernimmt alles. ,Weil es schneller geht.‘ Da wird nicht mehr nach Individualität oder Vorlieben gefragt. Das ist beides unerwünscht. Lästig. Wenn du eine bestimmte Creme für das Gesicht möchtest, giltst du als anspruchsvoll. Als wäre das etwas Besonderes. Wenn du einen anderen Pullover anziehen möchtest, wird dem zwar Folge geleistet, aber die Schwester verdreht die Augen. Ich merke das. Ich möchte niemandem zur Last fallen und versuche daher, viel selbst zu machen.“
Die wenige Zeit für die Patienten bringe die Pflegekräfte in ein Dilemma. Sie seien zwar angehalten ,aktivierend zu pflegen‘, also die Bewohner so viel wie möglich selbst machen zu lassen, dafür fehle allerdings die Zeit. Also machen die Pflegekräfte alles selber. Das gehe dann zwar schneller, aber der Patient werde dadurch noch pflegebedürftiger, sagt Meike Beer. Vor allem die Dokumentationspflicht sieht sie als großes Problem. Die Hälfte ihrer Zeit sei sie damit beschäftigt, jede Kleinigkeit der Patienten aufzuschreiben. Alles soll und muss lückenlos dokumentiert sein. Aber auch dafür fehle eigentlich die Zeit. Also werden Dinge unterschrieben, die nicht stattgefunden haben. Meike Beer erzählt, wie beispielsweise auf der Liste des Bewohners ein Haken hinter „Stützstrümpfe tragen“ gesetzt wird, obwohl der Bewohner diese gar nicht getragen hat.
„Viele Kollegen sind massiv unzufrieden“, sagt die Mittzwanzigerin. „Teilweise brechen sie in der Schicht zusammen und weinen.“ Das hat Beer nicht nur einmal erlebt. Viele Kollegen flüchten daher in die Teilzeit. Anders würden sie die Arbeit nicht aushalten, meint Beer. Vor allem im Krankheitsfall werde es fast unerträglich. Dann wird Beer schon mal aus dem Urlaub geholt. Entziehen könne man sich dem nicht. Ihre Chefin rufe nicht nur an, sondern schreibe auch Whats App Nachrichten. In der Berufsschule wurde sie teilweise aus dem Unterricht geholt, erzählt die junge Frau. Ihren Mitschülern ging es oft nicht anders. Es werde gedroht und gefleht. Meike Beer sagt, man brauche in diesem Beruf eine sehr hohe Frustrationsgrenze und müsse unglaublich viel von seinem Privatleben abgeben.
Keine Zeit zum Helfen
„Ich stürze, dabei wollte ich nur alleine zur Toilette gehen. Weil ich nicht schon wieder ,wegen jeder Kleinigkeit klingeln wollte' und ,schon wieder zur Toilette muss'. Dass ich aber mehrere Medikamente nehme, die harntreibend sind, sieht keiner. Ich bin nur die nervige Oma, die ständig pinkeln muss. Und jetzt das: Ich bin gestürzt. Die Schwester kommt und schimpft mit mir.
Schimpft mich aus wie ein kleines Kind. Ich fühle mich elend. Ich weine. Vor Schreck, vor Scham. Die Schwester merkt, dass sie mir unrecht getan hat. Entschuldigt sich. Hilft mir hoch und versorgt mich. Aber das ist nicht immer so.
Ich gehe zum Frühstück. Da ich so zittere, habe ich Probleme, mein Brötchen zu halten. Mit fällt ein Stück herunter auf meine Bluse. Oh nein. Da kommt schon wieder die Schwester und schimpft vor allen Bewohnern mit mir. Ich schäme mich. Aber ich lasse alles über mich ergehen. Die anderen Patienten sagen nichts. Ich glaube, sie haben Angst. Schließlich sind wir hier alle ausgeliefert. Nach dem Frühstück werde ich im Flur abgesetzt. Hier sitze ich jetzt am besten bis zum Mittagessen und habe keine Wünsche mehr. Ich sitze hier und starre die Wand an. Mit vielen ,Mitinsassen' kann ich mich nicht unterhalten. Die meisten sind dement und reden wirre Sachen.
Unter Dauerstress
Demente Bewohner seien eine der größten Herausforderungen in Meike Beers Altenheim. Sie bräuchten jede Menge Zeit und viel Betreuung. Aber für sie bekomme das Pflegeheim weniger Geld als für schwerst Pflegebedürftige Bewohner. Und weniger Geld bedeutet keine neuen Arbeitsplätze, die doch so dringend gebraucht würden. Am einfachsten seien daher Patienten mit Pflegestufe drei. „Die können nicht mehr viel machen und brauchen wenig Pflege“, sagt Beer. Allerdings bekomme das Seniorenheim hierfür das meiste Geld. Meike Beer sagt, das alles sei ein Systemfehler, der eindeutig bei der Politik liege.
Pausen hat Meike Beer eigentlich keine. Auch in der vorgeschriebenen halben Stunde klingle das Telefon ständig. Mal sei es der Arzt, der nur kurz etwas abklären möchte, mal sei es ihre Chefin oder ein Pfleger. Das stresst. Aber Beer wurde gewarnt. Als sie im Praktikum ihren damaligen Kollegen erzählte, dass sie eine Ausbildung zur Altenpflegerin machen möchte, verstanden sie das nicht. „Sie haben mich gefragt, ob ich mir da wirklich sicher bin und ob ich das wirklich machen möchte.“
Was genau auf sie zukommt, wurde ihr erst nach der Ausbildung so richtig bewusst. Heute sagt sie sarkastisch: „Ich habe meine Seele an das Altenheim verkauft“. Bezahlt hat sie das mit ihrer Gesundheit. Die quirlige, lebenslustig wirkende Beer, habe schon Burn-out mit starken Depressionen gehabt. Trotzdem liebt sie ihren Job. Wenn sie so da sitzt, in ihrem Wohnzimmer, ist das keine verbitterte junge Frau. Sie klagt nicht, sondern erzählt einfach nur über ihren Arbeitsalltag. Trocken, nüchtern und ohne Vorwürfe. Wenn die junge Frau über ihre Patienten berichtet, kommt sie ins Schwärmen. Dann leuchten ihre Augen und es schwingt ein Ton voller Respekt und ganz viel Liebe mit. Sie sagt, die Bewohner seien für sie wie eine zweite Familie.
Ein Leben ohne Sinn
„Die meisten Pfleger die ich kennen gelernt habe, sind sehr bemüht. Aber auch ausgelaugt. Manche sehe ich bis zu zehn Tage hintereinander, immer zu einer anderen Tageszeit. Oft beschweren sie sich über die vielen Aufgaben, die ihnen zugeteilt werden. Dass alles immer mehr wird. Dass immer weniger Leute da sind. Manchmal weinen die Schwestern bei mir. Schütten mir ihr Herz aus. Ich würde ihnen gerne helfen, doch ich kann nicht. So versuche ich einfach weiter so wenig Arbeit wie möglich zu machen.
Mittlerweile ist es halb zwölf. Zeit zum Mittagsessen. Alle gehen wieder in den Speisesaal. Ich kann kaum die Gabel halten. Manchmal bekomme ich Hilfe. Aber nur wenn Zeit ist. Manchmal helfen mir auch die anderen Bewohner beim Essen. Nach dem Essen geht es wieder in den Flur, die Wand anschauen.
Es ist gerade einmal halb fünf. Die Schwestern fangen jetzt schon an, manchen Patienten das Essen zu reichen. Sonst schaffen sie es nicht, alle zu Bett zu bringen. Manche gehen dementsprechend um fünf ins Bett. Ob sie wollen oder nicht. Meistens die, die sich nicht mehr äußern können. Für alle Anderen gibt es gegen halb sechs das Abendbrot. Danach gehen alle – sogar die Fitten – freiwillig zu Bett. Es gibt schließlich nichts Neues zu sehen an der altbekannten Wand.
Ich liege im Bett. Starre die Decke an. Es ist viel zu früh, um schlafen zu gehen. Aber was soll ich sonst machen? Du gibst hier deine Persönlichkeit am Eingang ab. Hier sollst du keine Wünsche haben. Du sollst einfach das tun, was von dir verlangt wird. Und so liege ich hier und warte auf den Morgen. Damit wieder ein neuer Tag beginnt. Welchen Tag wir haben? Weiß ich nicht mehr, denn hier ist jeder Tag gleich.
Du hast hier keine Persönlichkeit mehr. Du bist hier kein Mensch. Ich wurde hier vergessen. Ich bin eigentlich gar nicht mehr hier. Ich existiere nur noch auf dem Papier. Ich bekomme keinen Besuch. Ich werde nur versorgt, um weiterzuleben. Ein Leben, in dem ich keinen Sinn mehr sehe. Es ist kein Leben. Es ist nur noch eine reine Existenz. Ich habe nichts mehr. Ich habe nur noch die Schwestern und die haben keine Zeit für mich um mir Liebe zu geben. Nähe. Es fehlt mir so sehr. Es fehlt mir, Mensch zu sein.
Und so liege ich hier und warte. Warte auf den Tod, der mich endlich erlöst aus dem Albtraum Altenheim.“
Nach meinem Erleben ergeben sich zwei Fakten:
Pflegekräfte sind in vielen Fällen unterbesetzt, also eine Frage des Kostenaufwandes. Höhere Vergütungen sollten an direkte Kontrollen gebunden sein, weil hier die „Schwarzen Schafe“ höhere Zuschüsse, aber keine verbesserten Leistungen erbringen würden. Und hier zu Punkt 2:
Die derzeitigen Dokumentationsorgien belasten die Pflegekräfte unverhältnismäßig. Sie stehlen einen nicht geringen Teil ihrer ohnehin knapp bemessenen Zeit und verleiten dazu, Dinge zu dokumentieren, so gar nicht erbracht wurden. Ich drücke es überspitzt aus, „wer gut lügt, kommt am Besten weg“.
Mit unangemeldeten Kontrollen und gleichzeitiger wesentlicher Reduzierung des Dokumentations-Umfanges könnte die Situation sicher verbessert werden.
Für geänderte Zuschüsse und effektive Kontrollen ist die Politik gefordert
Aber auch jede/r von uns, der nicht einmal das Pflegeheim um die Ecke kennt, nie drin war und die Bewohner nicht sihet, ausser es trifft die eigene Familie, muss sich an die eigene Nase fassen. Und alle , die beim ersten Anzeichen von Demenz rufen: Heim, Heim , Heim - sind nicht minder verantwortlich. Demenz, Krankheit, Alter, Behinderung, all das gehört zu unserer Gesellschaft und es ist NICHT damit getan, es hinter Einrichtungsmauern zu verstecken. Kümmern wir uns, helfen wir, verstehen wir, seien wir geduldig und pumpen wir endlich mehr Geld hinein und nicht in Banken, Straßenbau,, Waffen und Fussballstadien...
Und die großen Einrichtungen haben ausgedient, es muss kleinere, menschlichere und überschaubare Einheiten, EGs und dergleichen geben. So möchte ich alt wird
Ich war über 35 Jahre als Krankenschwester berufstätig. 10 Jahre davon im Dauernachtdienst. Es gab schlimme Situationen und Nächte wenn man über 40 Chir. Patienten allein betreuen muß. Jeden Patienten wollte man doch gerecht werden. Mit einem guten Gefühl nach Hause gehen!!! Geschafft wurde nur das Notwendige. Von wegen "optimale Pflege". Gespräche mit Vorgesetzten: NULL!!
Die zuständigen Politiker denken NUR bis zur nächsten Wahl. Und die wenigen, die was ändern wollen, werden überstimmt.
Die Situation ist im Altenheimbereich und Krankenhaus gleich. Dem Bericht kann ich nur zustimmen.
Manager in Banken und Industrie verdienen sich dumm und dämlich und müssen nur für einen Bruchteil ihres Einkommens Beiträge in Kranken- und Pflegeversichersicherung zahlen.
Und wer da glaubt, dass die AfD daran etwas ändern würde ist auf dem Holzweg. In deren Programm ist im Gegenteil die weitgehende Streichung von allgemeinverbindlichen Sozialversicherungen vorgesehen. Danach wäre die finanzielle Ausstattung der Kassen vermutlich so schlecht, dass die meisten Heime nur noch eine noch geringere Zahl an Pflegefach- und -Hilfskräften bezahlen könnten.
In den Augen der AfD macht das nicht, denn deren Ziel ist ja, dass solche Lasten ausschließlich privat getragen werden. Die Frauen sollen sich ja auch wieder auf die Familien konzentrieren und die nach der Zerschlagung des Exports übriggebliebenen Arbeitsplätze sollen von Männern besetzt werden.
Aber für die Menschen, die jahrzehntelang dafür gerackert haben, dass wir es heute haben - ja nee, also hätten sie anständig verdient, dann würden sie jetzt auch anständig behandelt. Aber erst im Niedriglohnbereich arbeiten und dann Ansprüche stellen - das geht ja wohl gar nicht.
Und dann auch noch diese perverse Idee mit dem bedingungslosen Grundeinkommen - da würde ja gar niemand mehr weiterschaffen aus Angst um seinen Arbeitsplatz (und die zu erwartende Minirente), weil sich viel mehr Leute um ihre Angehörigen kümmern könnten ohne Rücksicht auf ihre Not leidenden Arbeitgeber!
Mal sehen, wie lang "die Menschheit" das noch durchhält...
Was ist aus unserem Land geworden - alles ist wichtiger als das eigene Volk.
Warum ist für alles Geld da, nur nicht dafür die
Menschen anständig zu bezahlen und für mehr Personal
zu sorgen. Diese Menschen reisen sich den*******auf. Für was???
Diesen Bericht kann man nahtlos auf andere Berufe übertragen.
Als da wären, Polizei,Briefzusteller, Paketdienste,Kindergärten....usw.
Bin gespannt wie lange das noch gut geht.
Es muss uns wohl erst mal wieder richtig schlecht gehen,
bevor sich im Staate mal was rührt.
Zeigt alle mal Flagge und den Oberen das es so nicht
weitergehen kann und darf.