Bernhard Stengele, 49 Jahre alt, ein Schwabe aus dem Allgäu, gibt heute, nach acht Jahren als Schauspieldirektor, seine Abschiedsvorstellung. Auf der Bühne, im Publikum und in den Kulissen werden Tränen fließen. Und hinter den Kulissen werden manche froh sein, weil er geht.
Stengele hat Eindruck gemacht. Er sei nicht schön, aber erotisch, meint eine Theaterfreundin, knapp vor ihrem 70. Lebensjahr. Er sei, sagt Intendant Hermann Schneider, eine „außergewöhnliche und charismatische Persönlichkeit“. Er sei „kein Teamplayer, der sich an Regeln hält“, sagt eine ehemalige Wegbegleiterin. Er wolle sich „nur einen besseren Abgang verschaffen“, kommentierte Oberbürgermeister Georg Rosenthal, nachdem Stengele Pläne und Politik zur Frankenhalle kritisiert hatte.
Bevor Stengele kam, stand das städtische Theater – abgesehen von der Intendanz des glücklosen Intendanten Wolfgang Schaller in der Spielzeit 1999/2000 – hermetisch abgeschottet in der Würzburger Kulturszene. Viel Output, kaum Input. Schneider, wie Stengele 2004 nach Würzburg gekommen, sagt, Stengele habe das Theater geöffnet, es national, international und „mit der Stadt und dem soziokulturellen Raum vernetzt“. Stengele lebe „die Idee von einem Stadttheater als kulturellem Forum“.
Stengele arbeitete mit dem Jugendkulturhaus Cairo und dem jüdischen Kultur- und Gemeindezentrum Shalom Europa zusammen und gründete Euphorion, einen Verein für Kinder- und Jugendtheater. Er holte Improvisationstheater und Poetry Slams ins Große Haus und Stengele veranstaltete Lesungen in Bürgerhäusern. Stengele arbeitete auch mit dem C.I.T.O., einem Privattheater in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou, zusammen. „Les funérailles du désert“, entstanden aus der Kooperation, wurde in beiden Städten enthusiastisch gefeiert. Vor allem aber band er theaterfremde Bürgerinnen und Bürger als Partner ans Haus, als Berater, wie den Archäologieprofessor Ulrich Sinn, oder als Künstler, wie den bis zu 70-köpfigen Bürgerchor.
Im Theatermagazin Zanni beschreibt Stengele den Bürgerchor als einen zentralen Punkt seiner Arbeit. Das Theater stelle Bürgern seine Fähigkeiten zur Verfügung, im Gegenzug gäben sie Einblicke in ihre Welt und forderten die Profis heraus. Der Bürgerchor sei keine Statisterie, sondern „ein sehr lebendiger, kreativer Organismus“, der den Künstlern helfe, „Brot und Salz zu schmecken“.
Im Bürgerchor herrscht großes Bedauern über Stengeles Abschied. Der Estenfelder Lothar Wolz, seit drei Jahren dabei, berichtet, die Mitglieder hätten „unheimlich profitiert“ von der Arbeit mit dem Schauspieldirektor. Wolz berichtet von intensiven Proben und Trainings und über die Überraschung der Laien darüber, dass die Theaterprofis mit ihnen „vom ersten Tag an auf Augenhöhe gearbeitet haben“. Nie, sagt Wolz, hätte er sich so etwas vorstellen können.
Mit Stengele, unterstützt von Schneider, hat das Schauspiel den Elfenbeinturm verlassen, auch, weil das Theater Stoffe wie „Die Schutzflehenden“ auf Würzburger Verhältnisse – hier das Leben der Flüchtlinge – herunterbrach. Aus dem Musentempel ist ein Kulturzentrum geworden.
Wer Stengeles Wegbegleiter nach seinem Wirken fragt, bekommt meist anerkennend bis hymnische Antworten zu hören. Und kritische Zwischentöne.
Als Spielplangestalter im Sprechtheater konnte er es niemandem nur recht machen. Für die einen hat er in den vergangenen zwei Jahren das klassische Schauspiel vernachlässigt – Bruno Forster, der Vorsitzende des Theater- und Orchesterfördervereins, gehört zu ihnen. Anderen, wie der emsigen Theatergängerin Margot Raps-Hoelscher, war dagegen „die klassische Schiene zu viel“. Forster bewundert Stengeles Leistungen als Schauspieler und Regisseur. Raps-Hoelscher sagt, ihr habe nicht alles, was er im Schauspiel inszenierte, gefallen, rühmt aber seine Leistungen als Sänger, Rezitator und Opernregisseur. Schneider hält Stengele für einen „tollen Rezitator“, der auch als Schauspieler, etwa als Ödipus, ausgezeichnet sei. Und als Regisseur, meint er, habe Stengele „ein unglaublich gutes Gespür für die Komödie“.
Anne Simmering über
Bernhard Stengele
Dass Stengele den Bürgerchor installierte, finden Forster und Raps-Hoelscher gut. Damit habe er viele Leute eng ans Theater gebunden, meint Raps-Hoelscher. Mittlerweile aber haben beide genug davon. Forster sagt, dieses Projekt könne man nicht permanent wiederholen.
Ulrich Sinn, der ehemalige Lehrstuhlinhaber für klassische Archäologie an der Uni Würzburg, ist Stengeles Mitdenker bei der Vorbereitung antiker Stoffe. Er hat ihn bei der Aufführung der griechischen Tragödien und Komödien beraten und die Idee mit dem Bürgerchor aufgebracht. Typisch für Stengeles Idee vom Theatermachen ist der Einfluss, der er dem Fachfremden einräumte, offenbar mit Erfolg. Er meint, was Sinn für die Akzeptanz des Theaters getan habe, sei gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Wolz, das Bürgerchor-Mitglied, erzählt, Stengele sei immer offen für Vorschläge: „Er hat das erst mal angehört, ausprobiert, dann auch mal verworfen, aber er hat nie gleich abgelehnt. Er wollte immer erst sehen, wie wirkt sich das aus.“ Ähnliches berichtet Sinn. Stengele zeichne eine „völlige Offenheit und Neugierde“ aus. In der Arbeit gebe es „keine Tabus, die nicht zur Sprache kommen“.
Ungewöhnlich wäre, wenn ihn alle Ensemble-Mitglieder vermissen würden. Aber einige werden es zweifelsohne tun. Warum, erklärt die Schauspielerin Anne Simmering, die das Theater vor zwei Jahren verließ. Stengele habe „das sagenhafte Talent“, sagt sie, an Menschen zu entdecken „was sie können und es zu fördern, damit es glänzen kann“. Stengele könne jemanden „künstlerisch auf den Weg schicken“. Seit zwei Jahren arbeitet sie nicht mehr am Mainfranken Theater, aber sein „ermunterndes, rauschhaftes, assoziatives, sinnliches Arbeiten“ begleite sie bis heute. Sie hält Stengele für „einen tollen Regisseur, der einen dazu bringt, Sachen zu erfinden und zu produzieren“.
Es gibt aber auch Leute, die mit ihm zusammengearbeitet haben und ihm nicht hinterher weinen. Eine, die anonym bleiben will, berichtet von vielen künstlerisch inspirierenden Erfahrungen mit Stengele, aber er sei nicht konfliktfähig, halte sich nicht an Regeln. Mit mancher Produktion sei er „nicht auf dem Boden der Tatsachen“ geblieben, wo das Theater doch aus öffentlichen Geldern bezahlt werde, da müsse man dem Publikum doch auch was bieten. Sie findet gut, dass bald „ein frischer Wind durch Würzburg weht“.
Bernhard Stengele geht im Ärger mit Muchtar Al Ghusain, dem Kulturreferenten der Stadt. Der habe ihm mitgeteilt, die Stadt und die Theaterleitung könnten „mit einem Menschen, der mit Stadträten über die Frankenhalle redet und eine andere Meinung vertritt“, nicht zusammenarbeiten. Al Ghusain hält dagegen, er habe das so nicht gesagt. Schade sei's, sich so zu verabschieden, meint der Kulturreferent und zieht eine „erfreuliche und positive Bilanz“ der Stengele-Jahre. Für ihn war die Arbeit am Thema Afrika Stengeles Roter Faden, angefangen bei dem Musikmärchen „Zaubertrommel“ über das Engagieren von Issaka Zoungrana aus Burkina Faso bis zu „Les funérailles du désert“. Al Ghusain meint, das werde bleiben, „das war wichtig und das hat der Stadt gut getan“. Bemerkenswert findet auch er Stengeles Arbeit als Rezitator von Balladen und Gedichten.
Sinn bedauert Stengeles Abschied; der sei „schade für Würzburg“. Raps-Hoelscher hält den „Vollbluttheatermann“, so sagt sie, für unersetzbar. Schneider meint, acht Jahre seien „eine künstlerische Halbwertszeit in einer Stadt dieser Größe“, will das aber nicht auf sich selbst bezogen sehen. Stengeles Zeit sei eine gute fürs Mainfranken Theater gewesen, nun brauche er einen neuen Wirkungskreis. Stengele wechselt als Schauspieldirektor an die Bühnen der Stadt Gera und das Landestheater Altenburg, die sich in der Theater & Philharmonie Thüringen (TPT) zusammengeschlossen.
Da arbeitet er in einer Gegend, die, sagt er, ganz anders sei als Würzburg, in der es den Menschen viel schlechter gehe als hier. Da ist auch kaum Geld übrig für die Kultur. Das Schauspiel am TPT ist in Gefahr – gut möglich, dass es geschlossen wird.
„Wenn einer das Theater retten kann“, sagt die Schauspielerin Anne Simmering, „dann ist das Bernhard“.
Hier ist der Zeller Bock "State of the Art" hier kann man die Langsamkeit des "tun´s" erkennen. So muss man gestrickt sein wenn man in Würzburg weiter kommen möchte.
Hellau - diese Zeitgeister kommen in Würzburg auch voran.