Es ist ein netter Abend, eine Freundin hat sturmfrei, sie hat die Clique eingeladen. Sebastian Steenpaß und einige Kumpels haben es sich im Wohnzimmer bei Fußball und Bier gemütlich gemacht. Und nach ein paar Stunden entdeckt er sie. Dass sie ihm nicht früher aufgefallen ist, wundert ihn fast ein bisschen. Völlig unscheinbar steht sie auf dem Wohnzimmerschrank, fast als hätte man sie einfach dort oben abgestellt. Doch der Student hat sie sofort erkannt: Kein Zweifel, es ist die „Absolut Chrome“, 2007 in Deutschland auf den Markt gekommen. Sie steht schon seit einiger Zeit auf seiner Liste. Am Ende des Abends gibt sich Sebastian Steenpaß einen Ruck.
Eigentlich ist er nicht der Typ für solche Aktionen, höfliche Zurückhaltung ist eher seine Stärke. Er fragt vorsichtig bei der Gastgeberin nach. Und die sagt: „Echt? Besonders? Nein, nie gewusst. Meinem Vater hat das Design gut gefallen und er hat sie da oben rauf gestellt. Nimm sie nur mit, wozu auch immer die gut ist!“
Wozu auch immer das gut ist, das fragen sich viele, die die Eigenart des 23-jährigen Würzburgers kennen. Sebastian Steenpaß sammelt Wodka-Flaschen. Unkommentiert klingt das ziemlich banal, vielleicht fast schon besorgniserregend. Doch den Studenten interessieren nur die versiegelten Flaschen einer einzigen Marke.
Die schwedische Vodkamarke „Absolut“ ist für ausgefallene Geschmacksrichtungen und hippe Designs unter Wodka-Liebhabern bekannt. Besonders unter jungen Leuten ist der Weizenschnaps mit Mango- oder Zimtgeschmack ein angesagtes Partygetränk. Das Marketingkonzept von „Absolut“ besagt, dass es bestimmte Editionen in einer limitierten Auflage, nur in bestimmten Ländern und dort oft nur in ausgewählten Clubs zu kaufen gibt. Ein idealer Nährboden für Sammler. Mittlerweile gibt es eine richtige Sammlergemeinde, die über ein Internetforum kommuniziert und über die neuesten Editionen diskutiert.
„Der Club in meiner Heimatstadt Wiesbaden, in dem wir als Teenager oft feierten, hatte ein besonders großes Absolut-Vodka Sortiment. So habe ich die Marke erstmals bewusst wahrgenommen“, sagt der junge Mann mit der ruhigen, bedachten Art und den asiatischen Zügen, die er von seiner Mutter geerbt hat. 2008 bekam Sebastian seine erste Flasche mit Sammlerwert. „Von da an habe ich mir immer mal wieder eine Flasche gekauft, aber eher, weil mir das Design gefallen hat, oder die Geschmacksrichtung. Im Jahr 2010 bin ich auf dieses Internetforum gestoßen, da hat mich das Sammelfieber gepackt.“ Er informierte sich näher über Marke, Firmenphilosophie und die Hintergründe der Designs.
Ein extra Motivationsschub war der Schwedentrip in diesem Sommer. Einer der bekanntesten Sammler der Szene hatte Kontakt zum Unternehmen „Absolut“ hergestellt. Ein ausgewählter Kreis der Absolut-Liebhaber wurde für ein Sammlertreffen nach Stockholm eingeladen. Ein kleiner Dank an die besten Markenbotschafter des Unternehmens, so hieß es. Sebastian war einer von ihnen. Beim Erzählen wirkt er noch immer aufgeregt: „Das war eine der wahnsinnigsten Sachen, die ich in meinem Leben machen durfte.“ Fachvorträge von Designern und dem Vizepräsidenten des Konzerns, Verköstigungen, eine Hafenrundfahrt mit Wodka-Sekt-Empfang – es fehlte den Sammlern an nichts. Zum Abschied gab es eine extra für das Treffen angefertigte Sonderedition.
Heute stehen knapp 200 Flaschen in seiner Wohnung, in seinem Jugendzimmer zu Hause und – aus Platzgründen – sogar im Keller. Die kleinsten fassen 50 Milliliter, die größte Flasche, eine Schauflasche für Bars, stolze sieben Liter. Die Regalwand mit den bunt-funkelnden, gläsernen Exemplaren im Wohnzimmer ist Sebastians ganzer Stolz.
Den Grund seiner Leidenschaft für die flotten Flaschen auf bloßen „Markenfetisch“ zu reduzieren, findet Ethnologie- und Politikwissenschaftsstudenten falsch. Die Faszination liege im Konzept der Marke „Absolut“. Sie biete eine riesige Auswahl an Geschmacksrichtungen, das Unternehmen lasse die Flaschen dazu von bekannten Künstlern und Designern wie Andy Warhol oder Keith Haring zu kleinen Schätzen verwandeln. Das Unternehmen habe außerdem politische und sozialkritische Kampagnen gestartet. 2005 brachte es eine Flasche „Absolut New Orleans“ heraus, deren Erlös den Hurrikan-Opfern der Stadt zugute kam. „Sehr gelungen fand ich auch die Kampagne gegen Homophobie. Da wurde eine Flasche mit Regenbogenfahne, einem internationalen Symbol für Schwule und Lesben, entworfen.“
Sebastian schätzt den Wert seiner Sammlung auf ungefähr 4500 Euro. Investiert hat er deutlich weniger. Für eine Flasche samt Zoll und Versand bezahlt er durchschnittlich um die 70 Euro, seine höchste Ausgabe für eine einzelne Flasche lag bei 150 Euro. Er ist ein Sicherheitstyp, das spiegelt sich auch in seinem Wesen als Sammler wieder. Um eine neue Flasche finanzieren zu können, verzichte er auf andere Dinge, erklärt der Student. Das ein oder andere Getränk beim Feiern oder ein Essen mit Freunden verkneift er sich eben. „Ich würde nie mehr ausgeben, als in meinem Budget liegt.“ Und dass viele mit Unverständnis darauf reagieren, dass er so viel Geld für die Flaschen ausgibt? „Das ist okay. Ich denke mir immer: Jeder hat doch sein Hobby.“
Das Sammeln liegt jedenfalls in seiner Familie: „Mein Opa ist ein passionierter Briefmarkensammler und mein Vater sammelt Swatch-Uhren.“ Sebastians Sammel-Philosophie: „Ansporn ist, einen geschickten Weg zu finden, an ein seltenes Modell zu kommen. Jede Flasche in meiner Sammlung hat somit ihre eigene Geschichte.“ Und davon kann der Würzburger mittlerweile viele erzählen: Als ein Freund ein halbes Jahr Neuseeland plante, bat Sebastian ihn, nach einer bestimmten Flasche zu suchen, die es nur dort zu kaufen gibt. „Er hat sie gleich zu Beginn der Reise entdeckt, gekauft und sie das ganze halbe Jahr mit sich herumgeschleppt. Das ist ein super Beispiel für den emotionalen Wert, den viele Flaschen für mich haben.“
Ganz besonders am Herzen liegt ihm deswegen auch die „Absolut Craft“, deren Geschmackskomposition von einem berühmten Barkeeper entwickelt wurde. Seine Freundin Ira hat die Flasche in ihrem Auslandssemester in Kalifornien erstanden. „Am Anfang fand sie meine Sammelleidenschaft ziemlich fragwürdig, aber mittlerweile habe ich auf sie abgefärbt, sie hat sogar ihre eigene, kleine Sammlung!“