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WÜRZBURG
31. März 1945: Bomben auf Zellerau und Unterdürrbach
Ausgebrannte Ruinen: Am 31. März 1945 wurde die Zellerau bei einem Bombenangriff schwer getroffen; viele Menschen starben.
Foto: Privat | Ausgebrannte Ruinen: Am 31. März 1945 wurde die Zellerau bei einem Bombenangriff schwer getroffen; viele Menschen starben.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 18.04.2016 15:16 Uhr

Seit dem 16. März 1945 ist die Würzburger Altstadt ein einziges Trümmerfeld. Die wenigen tausend Menschen, die nach dem nächtlichen Bombenangriff der Royal Air Force noch in der Stadt leben, hoffen, dass sie das Schlimmste hinter sich haben.

Dann kommt der Karsamstag.

Zwei Wochen lang hat es immer wieder kleinere Bombardierungen gegeben, jetzt schlagen die Amerikaner hart zu. „Über die noch einigermaßen erhaltene Zellerau ist die Golgatha-Stunde gekommen“, schreibt der 31-jährige Domkaplan Fritz Bauer an jenem Karsamstag, dem 31. März 1945, in sein Tagebuch.

Von 7 bis 12 und 14 bis 19 Uhr wird die Zellerau angegriffen, erinnert sich Carl Borschert, der damals elf Jahre alt ist. Noch heute wohnt er im Haus Leistenstraße 73, wo er als Kind die Geschehnisse dieses Tages miterlebt. „Es waren immer mehrere Flugzeuge, vermutlich Jagdbomber“, berichtet er.

„Ein Auge hing heraus, eine Hand baumelte noch am Arm, die er sich selbst abriss.“
Carl Borschert über ein Opfer des Bombenangriffs vom 31. März 1945

„Sie flogen an, warfen ihre Bomben etc. ab, flogen wieder ab und kamen dann etwa alle halbe Stunde wieder. Das Hauptziel waren wohl die Kasernen in der Zellerau.“

Domkaplan Fritz Bauer, der im Keller des zerstörten Juliusspitals haust, sieht auf der linken Mainseite mehrere hundert Meter hohe Rauchpilze; er setzt sich einen Helm auf und geht über die Luitpoldbrücke, die heute Friedensbrücke heißt, in die Zellerau.

In seinem Tagebuch steht, was er dort sieht: „Die Kasernen nach rechts in der Nähe des Mains brennen, krachend stürzen Dachstühle zusammen. Soldaten kommen langsam aus den brennenden Kasernenstraßen mit Bündeln auf dem Rücken.“

„Die Straßen sind verwüstet“, schreibt der Kaplan weiter. „Bombentrichter, umgestürzte Bäume, Steine und aufgeworfene Erdmassen bedecken den Boden. Auf Handwagen haben Leute viele Habseligkeiten geladen. Sie kommen mit den Handwagen nicht weiter und müssen sie stehen lassen.“ Im Gutshof „Zur Neuen Welt“ am Leutfresserweg erlebt die 69-jährige Malerin Gertraud Rostosky den Angriff; viele Flüchtlinge aus der Zellerau finden in den beiden Kellern unter dem Haus, in denen schon die Bewohner der „Neuen Welt“ Schutz suchen, Aufnahme. Es sind Frauen mit Kindern, junge Mädchen, aber auch Soldaten.

Gertraud Rostosky notiert ihre Erlebnisse ebenfalls in einem Tagebuch: „Die Fliegerverbände sind jetzt über uns. Einschläge dicht am Haus, ein scharfer Windzug streift uns. Ein schwerer zweiter Schlag, aber alles verhält sich ruhig. Eine verwundete grauhaarige Dame wird hereingetragen, zu den Kindern gebettet, verbunden. Im Augenblick ist eine Art Lazarett im Gewölbe hergerichtet.“

Der elfjährige Carl Borschert sieht Soldaten, die zur „Neuen Welt“ hasten und die von Fliegern verfolgt werden. Auch in der Leistenstraße sind überall Bomben gefallen. Später wird er die Bombentrichter in der Umgebung seines Hauses zählen; es sind etwa 50; weitere findet er da, wo sich heute die Kinder- und Jugendfarm befindet. Das Haus selbst ist beschädigt, steht aber noch.

In seinem Garten im Winterleitenweg besitzt der Inhaber der Firma Glas-Keil eine Art Bunker, erinnert sich Borschert, der heute 81 Jahre alt ist. Bomben fallen, acht Menschen sterben. Borschert beschreibt ein traumatisches Erlebnis: „In unserer Nachbarschaft über der Straße am Kühbach hatte sich in seinem kleinen Gartenhaus ein gehbehinderter Kriegsveteran des Ersten Weltkriegs einquartiert, der einen Stand auf dem Markt hatte und in der Handgasse ausgebombt worden war. Zwischen den Angriffen kam er öfters zu uns, um zu berichten, dass die Flieger wieder ein Paar Tassen oder Teller zerbrochen hatten. Meine Mutter sagte ihm immer wieder: ,Geh' bei uns in den Keller!', denn unser Bunker im Garten war voll besetzt.“

Den folgenden Anblick hat Borschert nie vergessen: „Er kam blutüberströmt und schreiend zu uns. Ein Auge hing heraus, die Schulter war verletzt, eine Hand baumelte noch am Arm, die er sich selbst abriss; er hatte auch noch andere Verletzungen. Ich höre ihn heute noch schreien. Meine Mutter machte Notverbände und er kam dann in den ,Beers Felsenkeller', von da ins Standortlazarett, wo er am 8. Mai starb.“

Schwer getroffen wird am jenem 31. März 1945 auch das noch unabhängige Dorf Unterdürrbach. Die damals 20-jährige Tilly Kupper sieht am Vormittag des Karsamstags große Mengen von deutschen Soldaten und Volkssturmmännern, die mit schweren Geschützen die Gemeinde passieren. Bei der Brücke, die in der Ortsmitte über den Dürrbach führt, kommen sie kaum um die Kurve. In der Nähe ist ein schussbereites Maschinengewehr postiert.

Tilly Kupper wird Zeugin einer herzergreifenden Szene. Zwei Mütter, die ihre Kinder dabei haben, bitten den Offizier, der beim MG steht, eindringlich, doch das Dorf zu verlassen. „Sie sehen doch, dass über unseren Köpfen der Feind ja förmlich am Himmel steht“, sagt eine der Frauen. „Der sieht doch alles. Dann kommen sie und bombardieren uns!“ Tilly Kupper hört auch die zynische Antwort des Offiziers: „Was liegt uns an diesem alten Kaff!“

Am Abend folgt die Katastrophe. Tilly Kupper: „Um etwa 17.15 Uhr brach das große Unglück auch über Unterdürrbach herein. Durch einen Luftangriff wurde unsere Dorfmitte ein einziger Trümmerberg. Dabei kamen 78 Mitbürger ums Leben. Die Schwerverletzten kamen auf einen in der Nachbarortschaft angeforderten Leiterwagen, der mit Stroh ausgelegt war. Sie wurden im Schutz der hereinbrechenden Nacht nach Rimpar ins Krankenhaus gefahren. Dort sind sie leider gestorben.“

Auch in der Leistenstraße marschieren Soldaten vorwärts; es ist klar, dass die Amerikaner innerhalb weniger Stunden Würzburg erreichen werden. „Wohin geht ihr?“, fragt Carl Borscherts Mutter. „Wir verteidigen jetzt Würzburg“, sagten sie. Einige tragen Panzerfäuste, andere Gewehre, wieder andere lediglich Holzprügel, erinnert sich Borschert. Sie haben keine Chance gegen die gut ausgerüsteten Gegner.

In all dem Chaos freut sich Carl Borscherts Schwester auf den nächsten Tag; am 1. April hat sie Geburtstag, sie wird vier Jahre alt. Schon am 31. März erhält sie von der Mutter eine Packung Kekse. „Ich weiß nicht, ob wir morgen noch leben“, sagt die Mutter. Am Abend flieht die Familie mit Kinderwagen, Fahrrad und Koffer nach Ochsenfurt.

Der Karsamstag, der auch in der Zellerau Dutzende Tote gefordert hat, geht zu Ende. Gegen Mitternacht wagen sich Gertraud Rostosky und eine Bekannte aus dem Keller in die darüberliegende Wohnung. Sie schauen durchs Fenster und sehen überall brennende Häuser. Die Malerin: „Durch aufgerissene, aus den Angeln gerissene Türen und Fenster weht und saust uns die Luft entgegen. Die Tür meines Zimmers liegt quer über dem Fußboden.“

Draußen kracht es noch immer; die Frauen hören Explosionen und Detonationen. Aber sie sind nicht in der Lage, noch länger wach zu bleiben: „,Wir sind todmüde und legen uns auf die Matratzen im Atelier, trotz Knallen, Krachen und Beben aus der Luft“, schreibt Gertraud Rostosky. „Wir sind richtig Front und fürchten nun, dass unsere Artillerie das Feuer beantwortet und dass wir beschossen werden.“

Der Horror ist noch nicht zu Ende: Es folgt der blutige Kampf um Würzburg, der vom 4. bis zum 6. April tobt und mehr als 1000 Opfer – deutsche und amerikanische – fordert.

Trümmer: So sah die Dorfmitte von Unterdürrbach nach dem 31. März 1945 aus.
Foto: ArchivAnni Köhler-Troll | Trümmer: So sah die Dorfmitte von Unterdürrbach nach dem 31. März 1945 aus.
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Foto: W. Röder | Gertraud Rostosky.
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Foto: Privat | Carl Borschert.
 
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