Eigentlich sollte an diesem Wochenende der 300. Jahrestag der Grundsteinlegung für die Würzburger Residenz ausführlich gefeiert werden – daraus wurde wegen den Corona-Beschränkungen nichts, die "Residenznächte 2020" mussten abgesagt werden. Was vom geplanten Jubiläum übrig blieb: Die Skulpturen-Reihe auf der Balustrade des Mittelbaus konnte am Dienstag komplettiert werden.
Wenn Michael Rycek künftig mit Freunden oder Verwandten das Weltkulturerbe besucht, kann er seinen Begleitern voller Stolz die beiden Figuren zeigen, die er und sein Vater Boris in rund 750 Arbeitsstunden im Auftrag der Bayerischen Schlösserverwaltung hergestellt haben. "Es ist schon genial, wenn man sich als Bildhauer hier verewigen darf", sagte der Juniorchef des Würzburger Steinmetzbetriebs "Boris Rycek" am Dienstag nach getaner Arbeit.
Inklusive Vorbereitung dauerte es knapp vier Stunden, bis die beiden jeweils rund 2,5 Tonnen schweren Figuren aus Sandstein mit einem Kran auf die Balustrade gehievt und von Michael Rycek von einer Arbeitsbühne aus in schwindliger Höhe auf Edelstahlbügeln befestigt worden waren. "Sitzt auf den Millimeter", freute sich der zufriedene Steinmetz.
Bei den beiden Figuren handelt es sich um originalgetreue Bildhauerkopien von Skulpturen, die nach dem 2. Weltkrieg abgebaut und erst vor einem Jahr von Restauratorin Sabine Vogt in der Kasematte der Residenz in Einzelteilen wiedergefunden worden waren. Boris und Michael Rycek haben auch die Originale restauriert, die künftig im Inneren der Residenz ausgestellt werden.
Die Kopien – eine weibliche Figur mit einem Palmzweig und eine männliche Skulptur mit einer Pyramide – sind leicht auszumachen: Sie stehen auf beiden Seiten der Balustrade ganz außen, wo Nord- und Südflügel auf den Mittelbau treffen. Fast auf den Tag genau 300 Jahre nach der Grundsteinlegung am 22. Mai 1720 und 75 Jahre nach der Zerstörung der Residenz am 16. März 1945"konnten wir die Balustrade des Ehrenhofs wieder vervollständigen", betonte Silas Ploner, Steinrestaurator der Bayerischen Schlösserverwaltung in München.
Er geht davon aus, dass die Figuren beim Wiederaufbau der Residenz nach dem Krieg abgebaut und eingelagert wurden, um sie später wieder aufzustellen. "Auf Fotografien von 1947 sind sie noch auf der Balustrade zu sehen. Der Lagerort in der Kasematte spricht dafür, dass man später wieder ran wollte", so Ploner: "Irgendwann waren sie nicht mehr zugänglich, bis wir uns vor einigen Jahren strukturiert der Aufarbeitung der Kasematte gewidmet haben."
Beim Original der weiblichen Figur fehlte der ausgestreckte rechte Arm, der für die Kopie nach Bildern rekonstruiert wurde: "Der Arm ist essentiell für die Silhouette der Figur", erläuterte Poner. Die ursprünglichen Balustradenfiguren aus dem 18. Jahrhundert stammen aus der Werkstatt des Bildhauers Johann Wolfgang von der Auvera, kurz vor 1900 wurden sie zuletzt erneuert. "Es ist wichtig, dass wir die Hauptfront wieder komplett mit allen Figuren bestückt haben", sagte Werner Helmberger, Museumsdirektor der Schlösserverwaltung.
Was die beiden Figuren darstellen, ist noch nicht bekannt: Die Pyramide der männlichen Skulptur könnte laut Helmberger als Symbol zum Beispiel für den Ruhm des Fürstbischofs oder auch die Geometrie stehen: "Wir haben keine zeitgenössische Quelle, in der die einzelnen Figuren benannt sind. Daher können wir es nicht sicher sagen."
Aufklärung über die Bedeutung der Figuren könnte das Forschungsprojekt von Michaela Neubert bringen, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind. Die Würzburger Kunsthistorikerin wollte bei den "Residenznächten" darüber berichten, die Veranstaltung wurde aber auf den 14./15. Mai 2021 verschoben. Immerhin können die beiden Original-Figuren ab dem 2. Juni besichtigt werden: Dann ist die Residenz wieder für Besucher geöffnet.