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Würzburg
30 Jahre und schon vergessen: Hannelore Schlaffer schreibt von lebendiger Erinnerung
Szenen einer Signierstunde: Die 83-jährige Wahlstuttgarterin kehrte in den Talkessel ihrer Jugend zurück.
Foto: Joachim Fildhaut | Szenen einer Signierstunde: Die 83-jährige Wahlstuttgarterin kehrte in den Talkessel ihrer Jugend zurück.
Joachim Fildhaut
 |  aktualisiert: 07.05.2023 02:27 Uhr

"Ich bin Geschichte, das ist ein Geschichtsbuch", sagte Hannelore Schlaffer über das 184 Seiten kurze Buch "Zeit meines Lebens. Was war und noch ist", das sie im Würzburger Falkenhaus vorstellte. Der Satz fiel etwas zufällig wie eine Randbemerkung, fasst den essayistischen Ansatz der Germanistin und Autorin aber so gut zusammen wie der äußerst gelungene Buchtitel. Denn – und das hört und sieht man der Dame nicht an, wenn man sie bei so einer Erzählabend-Lesung erlebt: Schlaffer ist 83 Jahre alt und kann von mehreren mentalitätsgeschichtlichen Epochen Zeugnis geben und analysieren. Und zwar mit der Leitfrage: Welche dieser Begebenheiten meines Lebens sind für die Gegenwart noch wesentlich? Das Bonmot vom Anfang und der Buchtitel fassen diesen Denkansatz herrlich zusammen.

Hannelore Schlaffers Auftritt passt dazu. Im Gespräch mit Regina Frisch vom Literaturhaus Würzburg ist sie immer sofort mittendrin, nicht nur im Thema, sondern in Raum (Dauthendey-Saal) und Gegenwart (3. Mai), sprich: unglaublich präsent in Betonung, Timing, Mimik, Gestik, zumindest solange sie aus dem Stegreif spricht. Eine große Vorleserin ist sie erstaunlicherweise überhaupt nicht. Doch man möchte sich auch nicht vorstellen, dass sie ihren Vortrag vor einem Spiegel auf Show oder auch nur auf einen guten Flow hin trainiert.

Wunderbare freie Rednerin

Also: das Buch selber lesen und die Autorin als wunderbare freie Rednerin in Erinnerung behalten. Die gelegentlich Absätze mit dem Kommentar überblätterte "Das wird Sie nicht sonderlich interessieren", weil sie ja genau wusste, dass ihre Zuhörerinnen und Zuhörer vor allem gekommen waren, damit sie aus dem Würzburg der 1950er Jahre erzähle. Auf der Keesburg wuchs sie als jüngstes Kind unter fünf Brüdern auf. Schon allein die Familienkonstellation prägte die künftige Feministin auf etwas unberechenbare Weise – während die Bischofsstadt die kleine Hannelore zur "katholischen Heidin" reifen ließ, die zwischen Kirchenfenstern und Handybildschirmen wesentliche Beziehungen erkennt. Über derlei schreibt sie vollkommen unakademisch, auch und grade über das Leben unter Geisteswissenschaftlern, da bietet sie Materialien zu einer Sozialgeschichte deutscher Universitäten.

Szenen einer Signierstunde: Die 83-jährige Wahlstuttgarterin kehrte in den Talkessel ihrer Jugend zurück.
Foto: Joachim Fildhaut | Szenen einer Signierstunde: Die 83-jährige Wahlstuttgarterin kehrte in den Talkessel ihrer Jugend zurück.

Und etliches andere mehr über "Zustände, in die sich Menschen im Lauf ihres Lebens hineinbugsiert haben". Denn: "Es ist erst 30 Jahre her und schon vergessen", warf sie anlässlich eines dieser "Zustände" ein. Erinnern möchte sie an Vieles, um daran zu messen, dass in den letzten acht Jahrzehnten doch durchaus Dinge zum Guten verändert wurden.

Ihr Buch hat einen festen Einband und ist erschienen im Zu Klampen Verlag (20 Euro).

 
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