Sie hat ein abgeschlossenes Studium, sie hat einen Job als Führungskraft, sie hat ein Kind. Eigentlich führt die Angeklagte ein ganz bürgerliches Leben. Aber im Mai rastete sie in einer Diskothek aus.
Ein proppenvoller Club, laute Musik, gute Stimmung, viel Alkohol. Mittendrin eine Gruppe kostümierter junger Leute. Eine 30-Jährige ist als „die Schöne“ aus dem Märchen „Die Schöne und das Biest“ verkleidet. Aber weil das Leben meist nicht märchenhaft ist, entpuppt sie sich nach kurzer Zeit als „Biest“.
Auslöser für den Ausraster blieb ungeklärt
Das Opfer der Frau erzählt im Zeugenstand vor dem Amtsgericht, wo die 30-Jährige wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt ist, was damals passiert ist. „Absichtlich geschubst“ habe „die Schöne“ sie, sagt die Studentin. Und deshalb habe sie halt zurückgeschubst. Dann habe die Angeklagte ihr „ein leeres Longdrink-Glas ins Gesicht geschlagen.“ Die Folge: eine Risswunde an der Stirn, eine blutige Nase und eine „leichte Benommenheit“.
Von letzterer erholte sich die Studentin so schnell, dass sie ihrer Kontrahentin noch an den Haaren ziehen konnte. Türsteher griffen ein, die Polizei wurde alarmiert, „die Schöne“ wurde angezeigt, die Studentin musste sich in einem Krankenhaus behandeln lassen. Warum die 30-Jährige ausgerastet ist, blieb im Dunkeln. „Die Vorgeschichte war nicht zu klären“, sagt einer der Beamten, die vor Ort waren, vor Gericht.
Auch jetzt, während der Verhandlung, ist der Hintergrund der Tat nicht zu ergründen. Die Angeklagte, die ohne Verteidiger erscheint, macht von ihrem Schweigerecht Gebrauch. Warum sie das tut, erklärt sie erst gegen Ende des Prozesses: „Ich habe keine Erinnerung mehr an den Abend. Wenn es so war, wie die Zeugin es geschildert hat, tut es mir leid.“ Tatsache ist, dass sie zur Tatzeit 1,98 Promille hatte.
Staatsanwaltschaft: Schubser rechtfertigt keinen Schlag ins Gesicht
Für die Staatsanwaltschaft ist klar, dass ein Schubser keinen Schlag mit einem Glas ins Gesicht rechtfertigt. Und in einer Notwehrsituation, so der Anklagevertreter, habe die Angeklagte sich auch nicht befunden. Seine Forderung: Eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung und 2000 Euro für eine gemeinnützige Einrichtung. Die Angeklagte, die bislang bei der Justiz nur aufgefallen ist, weil sie einmal mit einem nicht versicherten Auto durch die Gegend fuhr, stellt keinen Antrag.
Das Gericht verurteilt sie wegen gefährlicher Körperverletzung zu der „niedrigsten möglichen“ Sanktion, die das Gesetz für gefährliche Körperverletzung vorsieht: Sechs Monate Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Außerdem muss die Verurteilte 1500 Euro an den Täter-Opfer-Ausgleichsfonds der „Aktionsgemeinschaft Sozialisation“ zahlen, mit dessen Mitteln nach den Worten der Richterin Opfer von Straftaten entschädigt werden können, wenn die Täter nicht zahlungsfähig sind.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Bei nächtlichen Autounfällen liegt der Anteil bei über 50 %.
Und schließlich ist mindestens jeder fünfte Verkehrstote ein Opfer eines Alkoholunfalls.
Dazu kommen noch die vielen Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Probleme in Folge ihres Alkoholkonsums erkranken oder sterben.
Von wegen Dichter und Denker - wir sind ein Volk von Schluckspechten und Säufern. Über 10 Mio. Deutsche haben ein Alkoholproblem.
Aber es scheint so, als wäre uns unsere Sucht wichtiger als die Verletzten, die Kranken und die Toten, die durch sie entstehen. Es gibt Schätzung von bis zu 74.000 alkoholbedingten Todesfällen jährlich in Deutschland. Aber auch wer nicht stirbt, kann seiner Gesundheit und seiner Familie furchtbaren Schaden zufügen. Körperlich wie seelisch.
Wann begreifen wir endlich, dass unsere Gesellschaft ein Alkoholproblem hat - und wann unternehmen wir endlich etwas dagegen?