Es muss ein Höllenlärm gewesen sein. Ein gewaltiges „Donnergetöse“ über der Stadt, viele Würzburger glaubten an ein Erdbeben. In den Tagen zuvor erst war die neue Stahlkonstruktion des Dachstuhls fertiggestellt worden. Im Lang- und Querhaus waren Holzsparren aufgerichtet, Chor und Seitenschiff waren mit Pappe eingedeckt. Der Kiliansdom hatte wieder ein Dach.
Wie ein Wunder war das Gotteshaus am 16. März 1945 beim Luftangriff der Royal Air Force stehen geblieben – als Bauwerk zumindest. Das Dominnere war stark beschädigt, der hölzerne Dachstuhl war verbrannt. Doch die Mauern, zwei Meter dick, standen. Ein neues Dach sollte Wind und Wetter fernhalten.
Dann kam die Katastrophe nach der Katastrophe. In der Nacht zum 20. Februar 1946 stürzte die nördliche Langhauswand des Domes ein. Die Dachgewölbe des Hauptschiffs und des Seitenschiffs im Norden brachen zusammen – und mit ihnen unersetzliche Stuckarbeiten.
Schon Anfang Februar hatten sich an einem Pfeiler Risse gezeigt. Putzteile hatten sich gelöst, einzelne Steinquader begannen zu bröckeln. Am 17. Februar kam ein Wettersturz mit reichlich Regen. Das Landbauamt wurde verständigt, es kündigte an, am 20. Februar die zentimeterbreiten Risse und Schäden in Augenschein nehmen zu wollen. Kirchenarchitekt Albert Boßlet war am 19. Februar morgens in den Dom gekommen – und sprach von Veränderungen im Fundament. Eine unmittelbare Gefahr bestehe nicht.
An jenem Tag sollten die Amerikaner am Schenkenturm eine große Menge Restmunition sprengen. Ganz Würzburg muss davon erschüttert worden sein. Am Nachmittag hört es Kunsthistoriker Dr. Rudolf Edwin Kuhn im Dom in den Pfeilern knirschen. Alle Handwerker, so ordnet er an, sollen das Gotteshaus sofort verlassen. Er lässt den Dom sperren und eilt zur Militärregierung.
Wenige Stunden später stürzt „unter donnerndem Krachen“, wie Ohrenzeugen später berichten, die Wand des nördlichen Hochschiffs ein. Die Mauern und Pfeiler des Kiliansdoms hatten das neue, eigentlich leichtere Dach nicht mehr tragen können. Aus übrig gebliebenem U-Boot-Stahl war die Tragekonstruktion im Winter 1945/1946 entstanden. John Davis Skilton, der amerikanische Kunstschutzoffizier, hatte es geschafft, dass Eisen aus Rüstungsbeständen für das Gotteshaus freigegeben wurde. Die Würzburger Stahlfirma Noell nämlich hatte bis 1944 Teile von Unterseebooten gebaut. Und als der Dom nun ein neues Dach brauchte, war es ausgerechnet der zweieinhalb Zentimeter dicke Spezialstahl, der das verbrannte, schwere Holz ersetzte.
Das Eisen aber war nicht verantwortlich für das Unglück. Zu fragil war die Dom-Ruine gewesen, ihre Mauern ruhten nicht auf Fels, sondern auf aufgeweichtem, feuchten Untergrund. Und die massiv wirkenden Säulen sahen zwar heil und stabil aus, waren aber hohl. Und gefüllt mit einem Gemisch aus Schotter und Kalk.
Fassungslos standen die Würzburger vor dem Trümmerhaufen. Die intakten Dommauern waren seit dem 16. März 1945 ein Symbol und Zeichen der Hoffnung gewesen. Sie standen noch – und standen für den Wiederaufbau in der zerstörten Stadt.
Und jetzt alle Bemühungen vergebens?
„Das konnte mit dem Dom nicht gut gehen“, erinnerte sich der damalige „Schuttkaplan“ Peter Pretscher später. „Im Innern des Domes tropfte es von den Gewölben. Immer wieder fielen Stuckteile von der Decke. An den Pfeilern der Nordwand platzten Steinbrocken ab. Der Dom war in Gefahr.“
Im Ruhestand schrieb Pretscher auf, wie er den 20. Februar 1946, den Einsturz, erlebte. Mitten in der Nacht habe er von seiner Schlafstatt, einer Kammer in einer Beichtzelle in der Kirche der Erlöserschwestern, ein lautes Poltern gehört. Eine Ruinenwand sei eingestürzt, vermutete er. An den Dom dachte er nicht. Im Morgengrauen zog der Kaplan mit den Erlöserschwestern und Ministranten vom Mutterhaus in der Ebracher Gasse zur Domkapelle. „Beim Eintritt in den Kreuzgang fielen die hellen Fenster der Südwand des Domes auf“, schrieb er in seinem Bericht. Ein Ministrant lief ins Gotteshaus – und kam mit erschreckender Nachricht zurück: Das Hauptschiff hatte kein Gewölbe und kein Dach mehr: „Alles liegt durcheinander im Dominnern!“
Als Pretscher später das Unglück in Kloster Oberzelle dem Dompfarrer Rümmer meldete, soll dieser nicht gejammert haben. Er gab die Anweisung, brauchbare herabgestürzte Bretter für das Häuschen neben der Domkapelle zu verwenden, als Fußbodenbelag. Dort sollten Räume für die Dompfarrei und auch die Caritas und die „Jugendstelle“ der Diözese eingerichtet werden.
Als meist rat- und hilflos schildert Pretscher später die Reaktionen der Würzburger auf den Trümmerhügeln des Domes: Oberbürgermeister Hans Löffler habe weinend auf dem Schutt gestanden. Bischof Matthias Ehrenfried schien völlig unbeeindruckt zu sein, doch er brach – zurück in Oberzell – zusammen.
In seinen Erinnerungen nennt Pretscher auch erste Warnzeichen vor dem Einsturz des Domdaches, wie das abgefallene Gesicht eines Bischofsdenkmals oder das zerbrochene Treppenhaus. „Ruinensteinen aus einem Feuersturm konnte man nicht mehr trauen.“ Die Regenperiode im Februar 1946, die manche Kellerbewohner der Würzburger Innenstadt fast zur Verzweiflung trieb, habe dann den Ruinen des Kiliansdoms den Rest gegeben.
Radio-Tipp: Der Bayerische Rundfunk berichtet am Sonntag, 21. Februar, in der Sendung „Zeit für Bayern“ von 12.05 bis 13 Uhr auf Bayern 2 über den Würzburger Kiliansdom. Der Beitrag gibt Einblicke in die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und die folgenden Renovierungen.