Fast jeder wurde schon einmal geröngt. Doch die wenigsten wissen, wie es funktioniert oder warum Wilhelm Conrad Röntgen, der als Jugendlicher von der Schule flog und später in Würzburg die x-Strahlen entdeckte, mit seiner Erfindung unzähligen Menschen das Leben rettete.
Einer, der es wissen muss, ist Professor Thorsten Bley, seit sieben Jahren Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Würzburg. Ein Gespräch über Röntgenstrahlen, Künstliche Intelligenz und die Hand von Röntgens Ehefrau Anna Bertha.
Thorsten Bley: Nein. Wilhelm Conrad Röntgen ist damals sogar von der Schule verwiesen worden, als er eine Karikatur seines Lehrers, die ein anderer Schüler gezeichnet hatte, betrachtete. Der Lehrer dachte, Röntgen war´s. Und Röntgen hat seinen Klassenkameraden nicht verpfiffen.
Bley: ...und folgte dann seinem Professor nach Würzburg. Hier durfte er als Physiker aber nicht habilitieren, weil er kein Abitur hatte. Später wurde den Würzburgern dann klar, wie brillant er ist. 1888 wurde er Rektor der Würzburger Universität...
Bley: Während er mit elektromagnetischen Wellen experimentierte, entdeckte er durch Zufall verschiedene Lichteffekte. Er legte erst Pappe, dann Holz und irgendwann seine Hand unter die Strahlen. Dabei entdeckte er, dass er mit diesen Strahlen, die bis dahin niemand kannte, den Körper durchleuchten kann.
Bley: Man braucht einen Strahler und einen Empfänger, den sogenannten Detektor. Alles, was dazwischen liegt - in der Medizin der Patient – führt zu einer Abschwächung der Strahlen. Das heißt, die Strahlen treffen auf Gewebe, auf Knochen, Flüssigkeit, Organe, Wasser oder Luft und werden in ihrer Intensität auf dem Weg zum Detektor entsprechend abgeschwächt. Knochen sind in dem Röntgenbild sehr hell - quasi weiß - und Luft ist gänzlich schwarz dargestellt. Das Gewebe dazwischen hat unterschiedlichen Graustufen - je nach Beschaffenheit des Gewebes und Abschwächung des Röntgenstrahls. Heute werden Röntgenbilder digital erstellt. Früher wurde ein Röntgenfilm wie bei der Fotografie belichtet und in der Dunkelkammer entwickelt.
Bley: Er hat es sehr schnell begriffen. Seiner Frau teilte er mit, dass er etwas mache, von dem die Leute, wenn sie es erfahren, sagen würden, er sei wohl verrückt geworden.
Bley: Nein. Zunächst hatte er seine Entdeckung intensiv Tage und Nächte lang beforscht ohne sein Büro dabei zu verlassen und erst danach, am 23. Januar 1896, hielt Röntgen vor der Physikalisch Medizinischen Gesellschaft zu Würzburg einen Vortrag "Über eine neue Art von Strahlen". Währenddessen hat er die Hand von Albert von Koelliker, dem damaligen Direktor der Anatomie, live geröntgt. Die Anwesenden waren hellauf begeistert.
Bley: Er wollte die Entdeckung der Menschheit zur Verfügung stellen. Dadurch hat er die Verbreitung und medizinische Anwendung weltweit so schnell möglich gemacht.
Bley: Daran hat man zunächst nicht gedacht. Diejenigen, die viel damit gearbeitet haben, haben Schäden davongetragen.
Bley: In der heutigen Radiologie reduzieren wir die Strahlendosis auf ein Minimum. Es gilt das Prinzip ALARA, "as low as reasonable achievable". Das heißt: Wir wollen so wenig Dosis anwenden, wie es vernünftigerweise möglich ist.
Bley: Man kann jede Art von Gewebe, das den Röntgenstrahl abschwächt, darstellen: egal, ob Lunge, Brustkorb oder Knochen. Wir können einen Menschen von Kopf bis Fuß untersuchen.
Bley: Darüber könnte ich eine Woche lang sprechen. Die Radiologie ist aus gutem Grund im Zentrum des Krankenhauses verankert. Die meisten Patienten haben während ihres Krankenhausaufenthaltes einmal Kontakt mit der Radiologie – sei es zur Diagnose, Therapie oder Therapiekontrolle.
Bley: Die räumliche Auflösung, die Kontraste, die Grauwerte, die Detektoren, die Röhren: Die Röntgen-Technik wird auch heute noch immer weiter verbessert.
Bley: In diesen Raum werden Schwerverletzte, zum Beispiel Unfallopfer, mit dem Hubschrauber eingeliefert und von einem interdisziplinären Team bestehend aus Chirurgen, Anästhesisten und Radiologen und weiteren Disziplinen versorgt. Dabei zählt jede Minute bis die richtige Diagnose gestellt und die lebensrettende Therapie eingeleitet wird. Im Schockraum haben wir einen hochmodernen Computertomographen, mit dessen Hilfe Schichtaufnahmen des ganzen Körpers in Sekundenschnelle angefertigt werden können. In dem CT befindet sich eine Röntgen-Röhre und ein Detektor, die um den Körper des Patienten rotieren. Dabei werden im Fall einer Ganzkörperuntersuchung mehrere tausend Schichtaufnahmen mit einer sehr hohen Detailschärfe aufgenommen.
Bley: Man muss sehr schnell sein, sonst ist die Aufnahme unscharf, quasi verschwommen. Gleichzeitig „bremsen“ wir den Herzschlag mit Betablockern und koordinieren die CT-Aufnahme mit dem Herzschlag über ein EKG, das uns sagt, in welchen Millisekunden eines Herzschlages die Bewegung des Herzens gering ist und wann sich das Herz in einer sehr schnellen Bewegung befindet. Damit können wir feinste Strukturen wie die Herzkranzarterie in sehr hoher Auflösung darstellen.
Bley: Allein in den letzten 20 Jahren konnte die Dosis für ein CT der Herzkranzarterien von anfangs über 20 Millisievert auf heute 0,3 Millisievert gesenkt werden. Zum Vergleich: Pro Jahr bekommen Sie in Deutschland allein durch die natürliche Strahlung der Umgebung etwa 2,1 Millisievert ab – ganz ohne ein einziges Röntgenbild zu machen.
Bley: Die angewendete Strahlendosis wurde dramatisch reduziert. Gleichzeitig wurde die Bildqualität erheblich verbessert. Dieses CT, das viermal pro Sekunde um den Körper des Patienten rotiert, ist so schwer wie ein Mittelklassewagen: etwa 1,6 Tonnen. Und damit können wir extrem präzise Aufnahmen im Submillimeterbereich erstellen. Der einzelne Bildpunkt beim CT liegt bei 400 Mikrometer und ist somit kleiner als ein halber Millimeter.
Bley: Wir können ein bis zwei Millimeter große Gefäße sehr genau darstellen und unter Verwendung von Kontrastmitteln auch ein Gerinnsel darin erkennen.
Bley: Beides. Radiologen können nicht nur Krankheiten erkennen sondern auch behandeln. Zum Beispiel können wir blutende Arterien mit Mikrospiralen oder Gewebekleber wieder verschließen und somit die Blutung stillen oder aber eine durch ein Gerinnsel verschlossene Arterie wieder eröffnen. Meist punktieren wir mit einer Nadel die Arterie in der Leiste, gehen mit einem Draht vor bis zu dem Gerinsel und saugen das Gerinnsel mit einem kleinen Katheter heraus.
Bley: Wir können während dieser Interventionen mit den Röntgenstrahlen in das Innere des Körpers sehen. Wir durchleuchten den Patienten während wir unseren Katheter bis an die entsprechende Stelle manövrieren und können dann vor Ort unter Röntgenkontrolle die Behandlung vornehmen. Das nennen wir Angiografie bzw. Interventionen. Oder aber wir zeigen dem Gynäkologen durch eine Drahtmarkierung, die wir unter Röntgenkontrolle, Ultraschallsteuerung oder im MRT vornehmen, den millimeterkleinen Tumor in der Brust, der ansonsten vom Operateur nicht auffindbar wäre. Dadurch erst kann der Operateur dann die richtige Stelle aufsuchen und den Tumor entfernen.
Bley: In den 1970er Jahren wurden die ersten Tomographen entwickelt. Nach sieben Minuten konnte man eine Schicht des Körpers bildlich darstellen. 2004 bekam man 500 Schichten in fünf Sekunden. 2020 haben wir CT mit zwei Detektoren, die den ganzen Menschen in fünf Sekunden scannen. Heute müssen Radiologen bis zu 5000 Einzelbilder einer Ganzkörperuntersuchung auswerten. Künstliche Intelligenz könnte uns in Zukunft helfen, aus der Flut der Informationen die wichtigsten Details herauszufiltern. Der Computer könnte dem Arzt sagen: "Von den 5000 Bildern sind zehn besonders auffällig. Schau dort genauer hin!"
Bley: Unbefugte könnten unsere Daten manipulieren. Man könnte sogar von den Ärzten unbemerkt einen Tumor auf einem Röntgenbild wegrechnen oder arglistig hinzufügen.
Bley: Sie war ein Segen für die Medizin. Mit Röntgentechniken konnten unzählige Menschenleben gerettet werden.