Würzburg war auf den verheerenden Bombenangriff, der rund 5000 Opfer forderte und weite Teile der Stadt zerstörte, schlecht vorbereitet. Die Nazi-Herrscher hatten wenig für die Rettung möglichst vieler Bürger getan.
Zwei Jahre vor der fast völligen Zerstörung Würzburgs und dem Tod von annähernd 5000 Einwohnern veröffentlichte das in Würzburg erscheinende NS-Organ „Mainfränkische Zeitung“ am 23. Februar 1943 einen kleinen Artikel mit der Überschrift „Unsere Luftschutzmahnung“. „Ziehe beim Alarm stets derbe Sachen an! Vielleicht musst du dich über brennendes Gerümpel retten“, hieß es da. „Wenn du verschüttet bist, dauert die Befreiung vielleicht Stunden. Versorge dich deshalb auch stets mit Lebensmitteln und Getränken!“
Obwohl Stalingrad vor Kurzem gefallen war und die deutschen Heere im Osten langsam zurückwichen, lasen wohl die meisten Würzburger die Notiz mit einem Achselzucken. Viele glaubten noch immer an den „Endsieg“. Und wenn auch auf Städte im Ruhrgebiet und auf Berlin längst Bombenteppiche niedergingen, so schien doch Würzburg – eine Ansammlung von Kunstdenkmälern und Krankenhäusern – ungefährdet. Bis jetzt war noch keine einzige Bombe auf die Stadt gefallen.
Siebzehn Monate später dann der Schock: Am 21. Juli 1944, einem Freitag, erlebten die Würzburger zum ersten Mal, was es bedeutete, bombardiert zu werden.
Feindliche Flieger hatten tagsüber die Kugellager-Stadt Schweinfurt attackiert. Plötzlich näherte sich ein kleiner Verband von etwa 20 Maschinen Würzburg von Osten her und warf rund 50 schwere Bomben auf das Gebiet um Löwenbrücke, Leistenstraße und Nikolausstraße ab. Möglicherweise wurden die Bomben ein paar Sekunden zu spät ausgelöst und waren eigentlich für die Star Kugelhalter GmbH in der Sanderau oder eine der Mainbrücken gedacht.
Es gab 42 Tote und zahlreiche Schwerverletzte. Die meisten Menschen waren, obwohl inzwischen immer häufiger die Alarmsirenen heulten, auch diesmal nicht in die Luftschutzkeller gegangen. Würzburg, so dachten viele, könne kein Hauptziel für feindliche Bomberverbände sein.
Ganz anders der pensionierte Telegrafendirektor Matthäus Schleypen. Bei einem noch größeren Bombenangriff „werden ungezählte Tausende in der Altstadt einen grauenhaften Tod finden, dessen Schrecken zu beschreiben die kühnste Fantasie nicht imstande sein wird" schrieb der 69-Jährige am 31. August 1944. Schleypen, der am Oberen Bogenweg wohnte, versuchte verzweifelt, die Würzburger Behörden zum Handeln zu bewegen.
In mehreren Briefen wies er auf die seiner Ansicht nach unzureichenden Luftschutz-Einrichtungen in der Domstadt hin. Schleypen, der mit Evakuierten aus zerstörten Städten gesprochen hatte, sah „fürchterliche Verluste" voraus, da die Altstadt „fast nur leichte Fachwerkhäuser mit alten brüchigen Kellern" aufweise. Diese morschen Gewölbe könnten Menschen nicht schützen, warnte Schleypen in einem seiner Briefe, die heute im Staatsarchiv in der Residenz aufbewahrt werden. Plastisch malte der 69-Jährige das unvermeidliche Chaos aus, „wenn die Menschen in ihrer Todesnot sich aus den Kellern herausarbeiten, um in ein Flammenmeer zu geraten".
Eine durchgreifende Verbesserung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu erreichen. Ein einziger massiver Hochbunker stand nahe dem Haus des bei vielen Bürgern verhassten NSDAP-Gauleiters Otto Hellmuth am Letzten Hieb. Der Betonbau beherbergte die Luftschutz-Befehlsstelle und wurde – zur Empörung vieler Würzburger – auch von Hellmuth und seiner Familie genutzt.
Eindringlich mahnte Schleypen den Bau weiterer Hochbunker an – vergebens. Für die Würzburger blieben private Keller, öffentliche Luftschutzkeller und unfertige Stollen, die in die Höhen um die Stadt gegraben wurden.
Dass ein Angriff gewaltige Lösch-Anstrengungen nötig machen würde, wussten die Verantwortlichen immerhin. Zur Verbesserung der Wasserversorgung entstanden Löschwasserbehälter, zum Beispiel ein unterirdischer am Residenzplatz sowie überirdische an Marktplatz, Wagnerplatz, Paradeplatz, Dominikanerplatz, an verschiedenen Stellen im Glacis, am Zeller Tor, vor dem Luitpoldkrankenhaus, vor der Stephanskirche, in der Sedanstraße und in der Weißenburgstraße.
Ihre Bewährung erlebten diese Behälter am 16. März „zwar nicht im Sinne ihrer eigentlichen Bestimmung zum Löschen von Bränden, sondern als Oasen im Feuersturm, zu denen sich die gejagten Menschen flüchteten, um Haut und Kleidung zu kühlen oder Decken und Mäntel voll Wasser saugen zu lassen und damit den Weg ins Freie zu erkämpfen", schrieb der Historiker Max Domarus später.
Die meisten Würzburger wollten nicht wahrhaben, dass so etwas eintreten könnte. Sie klammerten sich auch deshalb an die Hoffnung, ihre Stadt werde verschont, weil der englische Premierminister Winston Churchill angeblich in Würzburg studiert hatte, was nicht stimmte, und weil es hier keine nennenswerte Industrie gebe.
Letzteres war nur teilweise richtig. Tatsächlich war mit der Errichtung eines Zweigwerkes der Schweinfurter Star Kugelhalter GmbH im Opel-Betrieb in der Eichendorffstraße eine kriegswichtige Produktionsstätte entstanden, was unter den Bürgern beträchtliche Unruhe auslöste. Im November 1943 beschwichtigte OB Theo Memmel. Dies werde „der einzige Fall“ bleiben, der zudem nur vorübergehender Natur sei.
Im Rahmen des „totalen Kriegs“ mussten Würzburger Firmen ihre Kapazitäten zur Verfügung stellen. Bei der Stahlbaufirma Noell entstanden Teile von U-Booten; die Werkstatt der Schnellpressen-Fabrik Koenig & Bauer reparierte nach jedem Angriff auf Schweinfurt die dort beschädigten Kugellagermaschinen. Städtische Betriebe, die Stadtwerke, der Schlachthof und der Holzhof, wurden für Rüstungszwecke freigegeben, hauptsächlich zum Abfüllen von Munition. Dennoch entwickelte sich Würzburg nicht zu einem wirklichen Rüstungszentrum.
Immerhin war die Stadt ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt mit einem Binnenhafen, in dem im Jahr 1943 beinahe eine Million Tonnen Güter – Kohle, Erze, Getreide, Baumaterialien und Lebensmittel – umgeschlagen wurden. Der im Dritten Reich ausgebaute Fliegerhorst am Galgenberg diente als Versuchsstation der Luftwaffe. „Ich kann mich erinnern, wie die Me 262, der erste Düsenjäger der Welt, beim Landen und Starten hier aufheulte“, schrieb der Würzburger Hermann Knell nach seiner Emigration nach Kanada. Von militärischer Bedeutung waren auch die Kaserne des 55. Infanterieregimentes, die daneben liegende Artilleriekaserne, die Unterkunft einer Heeresnachrichteneinheit und die Hindenburg-Kaserne.
Auf einen Großangriff, wenn auch nicht auf die totale Zerstörung der Stadt, waren die Würzburger Luftschutzleitung und die Stadtverwaltung einigermaßen vorbereitet. Um Fluchtwege aus der eng bebauten Innenstadt zum Main zu bahnen, wurden zum Main hin mehrere Durchbrüche geschaffen. Neben dem Holztor verschwand beispielsweise eine Stallung und neben dem Hotel Schwan (heute Wöhrl) in der Büttnergasse ein kleines Haus. Diese Mauerdurchbrüche erwiesen sich ebenso wie jene zwischen den Kellern der Privathäuser der Innenstadt in der Nacht des 16. März 1945 für Tausende als rettender Fluchtweg.
Weil die Stadt nicht als besonders luftgefährdet galt, bestanden die weiteren behördlichen Vorkehrungen vor allem im Bau und Ausbau von Luftschutzkellern in Privathäusern und Amtsgebäuden. Unter dem Marktplatz und dem Sternplatz, bei der Tellsteige, unter dem Kriegerdenkmal im Husarenwäldchen, unterhalb der Hofgartenmauer am Rennweg und an der Jahnhöhe in Heidingsfeld befanden sich öffentliche Schutzräume. In einige Felsen wurden Stollen gebohrt. Am 16. März 1945 waren sie nicht fertig, aber teilweise benutzbar: in der Füchsleinstraße, in der Mergentheimer Straße bei der Löwenbrücke und an der Veitshöchheimer Straße.
Als die Würzburger am 31. Dezember 1944 Silvester feierten, ahnen viele, dass das kommende Jahr eine Entscheidung bringen musste. Manche klammerten sich an die Hoffnung auf die von der NS-Führung versprochenen „Wunderwaffen“. Die meisten waren einfach nur ausgelaugt und müde, so wie die alten Männer, die im Januar als „Volkssturm“ an die Ostfront geschickt wurden und die Zurückgebliebenen, die kaum noch aus dem Luftschutzkeller herauskamen und immer verheerendere Bombenangriffe erlebten.
Matthäus Schleypen sah dem von ihm befürchteten Inferno für sich persönlich gefasst entgegen. „Ich wohne nicht in der Altstadt", schrieb er am 15. Oktober 1944, „und ich beabsichtige auch nicht, im Keller meines Hauses zu ersticken oder zu verbrennen."
Der Pensionär erlebte Würzburgs Untergang nicht mehr mit. Schleypen starb am 12. März 1945.