
Die Erinnerung an den 16. März 1945 ist vor allem für viele ältere Würzburger auch 66 Jahre nach der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg immer noch ein nicht überwundenes Trauma. Seit Ende der 1980er Jahre gibt es im Erdgeschoss des Grafeneckart-Turms im Rathaus einen Gedenkraum mit Text-/Bildtafeln und dem Stadtmodell des zerstörten Würzburg. Hier drängten sich oft auswärtige Besuchergruppen, während gleichzeitg geschäftige Rathausbesucher mehr oder weniger achtlos an den Tafeln vorbeiliefen. Auf Initiative von Kulturreferent Muchtar Al Ghusain wird der Raum jetzt umgestaltet und ist ab 16. März diesen Jahres wieder zugänglich.
Dem Kulturreferenten geht es dabei um mehr als nur kosmetische Verbesserungen. „Es ist die Aufgabe unserer Generation, die nationalsozialistische Vergangenheit unserer Stadt aufzuarbeiten und, wo nötig, unmissverständlich Stellung zu beziehen“, schrieb er im Kulturbericht 2010, in dem er sich für eine zeitgemäße Gedenk- und Erinnerungskultur stark machte. Der neu gestaltete Gedenkraum soll ein erster Schritt in diese Richtung sein.
„Die Gedenkkultur in unserer Stadt war über viele Jahre vom Gedenken an die Zerstörung Würzburgs geprägt“, schrieb Al Ghusain im Kulturbericht und fuhr fort: „Dies ist und bleibt richtig und notwendig, es darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass diese Zerstörung im verbrecherischen System der deutschen Nationalsozialisten ihre Ursache hatte. Dies zu erkennen ist vielleicht erst in der Gegenwart in der notwendigen Nüchternheit und Klarheit möglich.“ Eine Einschätzung, die auch Oberbürgermeister Georg Rosenthal immer wieder betont. Und Al Ghusain fügt im Gespräch einen bemerkenswerten Satz hinzu: „Auch wenn die Vernichtungsangriffe in der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges Kriegsverbrechen gewesen sind, sind sie doch nicht von der Vorgeschichte abzutrennen.“
Kulturreferent Muchtar Al Ghusain
Folglich hat auch die erste der acht neuen Text-/Bildtafeln im Gedenkraum dieses Thema zum Inhalt. Unter der Überschrift „Nationalsozialismus in Würzburg“ wird beschrieben, dass der Nationalsozialismus – wie in allen anderen größeren Städten Deutschlands – auch in Würzburg frühzeitig Einzug gehalten hatte. Bereits Ende August 1933 bestand der Stadtrat nur noch aus NSDAP-Mitgliedern. Es wird darüber informiert, dass die Nationalsozialisten schon im März 1933 alle wichtigen Positionen übernahmen. Die SA besetzte Gebäude, politische Gegner wurden verhaftet und in „wilden KZs“ auf der Festung und in der Stadt inhaftiert, Bücher wurden verbrannt. Der Betrachter erfährt auch, dass als Zeichen für die „Machtergreifung“ zahlreiche Straßen umbenannt wurden. Bereits im März 1933 kam es zu Boykottaktionen gegen Juden, Einrichtungen der katholischen Kirche wurden gewaltsam besetzt und durchsucht.
Auf der zweiten Tafel wird dargestellt, warum sich Würzburg als sichere Stadt im Krieg wähnte. Ein großes Foto zeigt aber auch eine Panzerparade auf dem Residenzplatz – die Aufrüstung und Kriegsbereitschaft war also für die Bürger unübersehbar. Die dritte Tafel erklärt den Krieg aus der Luft, die vierte stellt den Angriff auf Würzburg am 16. März 1945 dar, bei dem 5000 Menschen starben. Ein Ereignis, das angesichts des Bombenangriffs etwas in den Hintergrund rückte, war die endgültige Eroberung der Stadt durch US-Soldaten vom 2. bis 6. April 1945, die auf der fünften Tafel erläutert wird. Auf den weiteren Tafeln werden das Ergebnis der Bombardierung, die Jahre nach Kriegsende und schließlich die Versöhnung mit den Kriegsgegnern (Städtepartnerschaften mit Rochester und Caen) dargestellt.
Für die Texte auf den Tafeln war in erster Linie Dr. Hans-Peter Baum, der langjährige Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums, zuständig. Daneben waren aber auch zahlreiche weitere Spezialisten aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen involviert und gaben Anregungen. Da die Texte auf den Tafeln sehr knapp gefasst sind, müssten sie besonders gut sein und dürften keine Fehler beinhalten, sagt Al Ghusain: „Das gewährleisten wir.“ Einige der Fotografien auf den Tafeln sind erstmals öffentlich ausgestellt. Und auf jeder Tafel gibt es am Ende eine komprimierte Zusammenfassung der Texte in englischer Sprache.
Neben den neuen Wandtafeln wird auch das Stadtmodell des zerstörten Würzburg, das während der Umbauzeit im Erdgeschoss des Rathauses (Eingang Vierröhrenbrunnen) ausgestellt ist, wieder im neu gestalteten Gedenkraum zu sehen sein.
Al Ghusain ist sich bewusst, dass die neue Darstellung im Gedenkraum für Diskussionen sorgen könnte. Beispielsweise könnte es missfallen, dass gleich auf der ersten Fotografie Hakenkreuzfahnen am Rathaus zu sehen sind und deutlich vor Augen führen, dass der Nationalsozialismus nicht vor den Grenzen der Stadt aufhörte.
Das ist aber auch der Punkt, an dem eine neue Gedenk- und Erinnerungskultur ansetzt. Der Gedenkraum ist nämlich nicht primär als Stätte des persönlichen und privaten Erinnerns an die Opfer und Verwandten gedacht, erklärt Al Ghusain. Er soll den Gästen der Stadt einen ersten Eindruck von der Geschichte der Stadt im Dritten Reich vermitteln. Dies müsse aber speziell im Hinblick auf die auswärtigen und ausländischen Besucher „auf der Höhe der Zeit und historisch korrekt geschehen.“
Als Ort der Andacht für die Würzburger, als Stätte des Besinnens und Erinnerns an die Opfer des 16. März 1945 sieht Al Ghusain das Kriegerdenkmal am Hauptfriedhof an. Hier gedenke man am 16. März alljährlich der Toten, die dort auch begraben seien. „Das persönliche Trauern um die Opfer ist für viele Würzburger eine traumatische Erfahrung,“ die man zu respektieren habe.