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WÜRZBURG
15 Aktivisten retten in Würzburg täglich gut genießbare Lebensmittel
Die Würzburger „Foodsaver“. Sie wollen nicht nur die Tatsache bedauern, dass Millionen von Menschen in einer Welt des Überflusses hungern. Hjördis Ferstl, Dietmar Kaiser, Julia Stretz, Lena Klingler und Nina Bärnreuther (im Bild von links) tun auch etwas aktiv dagegen.
Foto: Pat Christ | Die Würzburger „Foodsaver“. Sie wollen nicht nur die Tatsache bedauern, dass Millionen von Menschen in einer Welt des Überflusses hungern.
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 30.06.2020 14:58 Uhr

Was macht man mit Schokolade im Wert von über 20.000 Euro? Vor diesem Problem stand das Team der „Foodsharing“-Gruppe zu Jahresbeginn. Eine 35 Kilometer von Würzburg entfernte Firma hatte 6.000 Päckchen veganer Edelschokolade abzugeben. „Wir brachten sie zu Nachbarn und Freunden, in die Gemeinschaftsunterkunft und ins Goldene Kinderdorf“, erzählt Hjördis Ferstl, Botschafterin der vor einem Jahr gegründeten Foodsharing-Gruppe Würzburg.

Oft sind die „geretteten“ Lebensmittel noch ausgezeichnet. Hin und wieder haben Äpfel kleine Dallen. Oder einige schlechte Beeren müssen aus einem Büschel Trauben aussortiert werden. „Es ist verrückt, was alles weggeschmissen wird“, meint Ferstl, die sich im bundesweiten Orga-Team von Foodsharing engagiert. Die soeben fertig studierte Sozialpädagogin muss es wissen, begann sie doch vor drei Jahren, zu „containern“. Doch Lebensmittel aus Containern zu ziehen, ist eigentlich nicht erlaubt. Essen zu „retten“ und mit anderen Menschen zu teilen hingegen, dagegen kann niemand etwas haben.

Am Würzburger Markt im Einsatz

Während es der Organisation „Tafel“ vorrangig darum geht, die Folgen von Armut zu lindern, verfolgt Food-sharing das Ziel, der gigantischen Verschwendung von Lebensmitteln etwas entgegenzusetzen. Für dieses Ziel setzen sich derzeit 15 Aktive in Würzburg an sechs Tagen in der Woche ein. „Wir holen an jedem Werktag sowie samstags Nahrungsmittel von zwei Würzburger Marktständen ab“, berichtet Ferstl. Außerdem kooperieren die „Foodsaver“ mit einem Laden im Würzburger Landkreis.

Auf diese Weise wird sicher noch keine gesellschaftliche Kehrwende eingeleitet. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland Schätzungen zufolge bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel jedes Jahr im Müll landen, ist dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Doch es geht auch nicht darum, die ganze Welt zu retten. Die Gruppe will vielmehr darauf aufmerksam machen, dass jeder einzelne Mensch etwas gegen die Verschwendung von Essen tun kann. Dabei hüten sich die „Foodsaver“ vor Selbstüberforderung, so Hjördis Ferstl: „Wir wollen langsam wachsen.“

Was die 15 „Retter“ vor der Vernichtung bewahren, landet als Abendessen auf dem eigenen Tisch, kommt Freunden oder auch Fremden zugute. Immer dann, wenn Julia Stretz viel mehr Lebensmittel vom Marktstand abgeholt hat, als sie in ihrem kleinen Netzwerk verteilen kann, stellt sie die Sachen in Facebook ein: „Dann kommen die Leute zu mir nach Hause, um sich Obst und Gemüse abzuholen.“ Natürlich sei dies ein wenig aufwändig: „Ich muss an dem jeweiligen Tag die ganze Zeit daheim sein.“ Bis alles weg ist. Doch der schöne Nebeneffekt bestehe darin, dass sie auf diese Weise interessante Menschen kennen lerne.

Viele dieser Menschen wiederum finden es hervorragend, dass sich Leute in Würzburg gegen die Verschwendung von Lebensmittel engagieren. Einige können als neue „Foodsaver“ gewonnen werden. So kamen Nina Bärnreuther und Lena Klingler zu der Truppe. Laut der 26-jährigen Lena, die Papiertechnik studiert, könnten es sich viele Leute, die „gerettete“ Lebensmittel abholen, leisten, ganz normal im Supermarkt einzukaufen.

Es kommen aber auch Menschen, denen es finanziell schlecht geht. Doch das spiele prinzipiell keine Rolle, betont Dietmar Kaiser, der sich gerade für einen „Fairteiler“ vor dem Laden „Freiraum“ im Inneren Graben einsetzt. Der soll in einem „schönen Schrank“ bestehen, aus dem sich in Kürze jeder mit gerettetem Essen bedienen kann.

Oft transportieren die „Foodsaver“ die Lebensmittel mit dem Bollerwagen. Nur bei Spezialaktionen, etwa vor wenigen Wochen, als 600 Kilo Schokolade abgeholt werden mussten, war es nötig, zwei Autos zu organisieren.

Woher das Benzingeld stammt? „Das bezahlen wir aus eigener Tasche“, meint Hjördis Ferstl. Einnahmen hat die Gruppe nicht, es gibt weder Mitgliedsbeiträge noch muss, wie bei der Tafel, ein Obolus abgetreten werden, um Essen zu erhalten: „Sollten wir Geld brauchen, zum Beispiel als Raummiete für eine Veranstaltung, stellen wir eine Spendenbox auf.“

Für Porto muss ebenfalls nichts ausgegeben werden, weil der Informationsfluss über das Internet läuft. Die Treffen an jedem 2. Sonntag um 16 Uhr werden sommers im „Luftschloss“ und winters im „Freiraum“ organisiert. Raummiete fällt also nicht an, anders als in Gaststätten besteht keine Verzehrpflicht. Im Gegenteil. Oft ist etwas da, was gegessen werden darf und soll. Weil es andernfalls verderben würde.

Der Stammtisch findet ommer am 2. Sonntag im Monat in der ESG statt, los gehts um 16 Uhr.

Kontaktdaten für weitere Informationen: wuerzburg@foodsharing.network

 

 

 
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    Freundliche Grüße
    Lukas Will
    Redaktion Digitale Medien
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  • A. S.
    ich hab aber vor 1 Tag (oder war´s vor 2?) was geschrieben - dann hab ich vielleicht vergessen den Absendebutton zu klicken,
    wenn das so gewesen ist bitte ich um Entschuldigung.

    In dem Kommentar hatte ich geschrieben, dass wir die Alten(heime) nicht vergessen sollten, die würden sich bestimmt auch über Schokolade freuen.
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  • A. S.
    wurde hier eigentlich mein Kommentar von vor 1 Tag hier nicht veröffentlicht. Er war weder böse noch zynisch - ich habe die jungen Leute gelobt und finde es super. Das mit den alten Leuten die man hier nicht vergessen darf war doch kein Vorwurf an die Jungs/Mädels.

    Auch wenn die Redaktion das nicht glauben kann, ich bin sehr umweltbewußt, ich hasse die Verschwendung von Lebensmitteln sowie die unartgerechte Haltung von Tieren.

    Ich bin auch kein Rassist oder habe ideolog. Wahnvorstellungen, aber dem Multikultiwahn bin ich halt auch nicht anhängig - dies hat auch nichts mit dem Artikel über diese jungen Leute zu tun, aber anscheinend dürfen Leute wie ich hier kein Lob aussprechen traurig
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