So viel Brecht war lange nicht. Zwischen der Arte- und der ARD-Ausstrahlung von Heinrich Breloers biografischem TV-Zweiteiler „Brecht“ lädt das Würzburger Theater am Neunerplatz zum Städte-Trip nach „Mortal Sin City“. Mitten in der Wüste gelegen ist sie die Schwesterstadt von Mahagonny, der fiktiven, allein vom Geld regierten „Netzestadt“ aus Brechts Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“.
Den Handlungsfaden und die Songstruktur von Mahagonny kombiniert das Regieteam Erhard Drexler/Hella Huber mit den Gesängen aus dem Ballett „Die sieben Todsünden (Der Kleinbürger)“, ebenfalls aus der Feder von Brecht und Weill, zu 140 Minuten opulentem Musiktheater.
Das Ergebnis ist eine kurzweilige, optisch sinnliche und überaus stimmige Collage mit Liedern von Bert Brecht und Kurt Weill auf hohem musikalischem Niveau. Martin Junghans hat die Musik für ein siebenköpfiges Kammer-Ensemble neu arrangiert, das unter der musikalischen Leitung von Bernhard Kuffner (zugleich am Piano) selbst schwierigste Passagen mit Bravour meistert.
In Sven Höhnkes nur aus vier Holz-Klappleitern und zwei Holz-Dielen bestehendem Bühnenbild, erzählt „Mortal Sin City“ vom Leben und Sterben in der großen Stadt. Dort werden die Schwestern Anna 1 und Anna 2 auf ihrer Suche nach dem privaten und finanziellen Glück mit den sieben Todsünden konfrontiert. Sie müssen erfahren, dass Moral und Gerechtigkeit in der Stadt der Glücksritter und des Geldes gänzlich neue Bedeutung erhalten: Die Missachtung der Todsünden bleibt nahezu bedeutungslos; mit der Höchststrafe, dem Tod durch Erhängen, dagegen wird bestraft, wer kein Geld hat. Ein Schicksal, dem auch die Schwestern nicht entgehen, selbst wenn es nur zwei Gläser Whisky sind, die sie nicht bezahlen können.
Die Anna-Darstellerinnen Claudia Bienek und Anne Hansen sind es auch, die neben den Hauptfiguren Herrmann Drexler (Fatty, der Prokurist), Jörg Ewert (Dreieinigkeitsmoses) und vor allem Charlotte Emigholz (Witwe Leokadja Begbick) aus dem nicht nur darstellerisch, sondern auch gesanglich überzeugenden, zehnköpfigen Darsteller-Team herausragen. Abgerundet wird die sinnliche Opulenz durch die animierten Video-Sequenzen von Karin Amrhein und die von Caro Auer für nahezu jede Szene individuell erarbeitete Choreographie, die Spiel und Gesang in fließender Bewegung halten. Ein packender Musik-Theater-Abend, der in seiner überbordenden Sinnlichkeit wohl auch Brecht, zumindest dem der 20er Jahre, gefallen hätte. Stürmischer Applaus.