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WÜRZBURG
100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie: „Eine geniale Idee“
Am 11. Mai 1916 veröffentlichte Albert Einstein seine berühmte Allgemeine Relativitätstheorie. Hochkomplex! Physikprofessor Thomas Trefzger von der Universität Würzburg erklärt uns, was dahintersteckt.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 14.05.2016 03:32 Uhr

Am 11. Mai 1916 ist im Fachmagazin „Annalen der Physik“ Albert Einsteins umwälzende Allgemeine Relativitätstheorie erschienen. Mit ihr revolutionierte Einstein das Weltbild der Physik – auch wenn das nicht sofort klar war. Einige Monate zuvor bereits, im November 1915, hatte der Wissenschaftler seine Theorie an der Preußischen Akademie der Wissenschaften das erste Mal öffentlich vorgestellt. Erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde deutlich, was für eine Leistung das war.

In seiner 1905 veröffentlichten Speziellen Relativitätstheorie zeigt Einstein, dass sich Raum und Zeit nicht getrennt voneinander messen lassen. In seine Allgemeine Relativitätstheorie bezog er die Schwerkraft mit ein. Schwarze Löcher, Urknall, die stetige Ausdehnung des Universums – das alles lässt sich mit der hochkomplexen Theorie erklären. Wir haben Physikdidaktiker Professor Thomas Trefzger von der Universität Würzburg gebeten, Einsteins Theorie und ihre Bedeutung in aller Kürze verständlich zu machen.

Herr Professor Trefzger, vor genau 100 Jahren ist Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie veröffentlicht worden. Die Spezielle Relativitätstheorie hatte er schon zehn Jahre vorher geschrieben. Was daran war denn jetzt „allgemein“?

Professor Thomas Trefzger: Albert Einstein wollte sämtliche Naturphänomene in seiner speziellen Relativitätstheorie einschließen. In der speziellen Relativitätstheorie hat Albert Einstein Raum und Zeit zur Raumzeit verbunden. Das bedeutet, dass bei Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit Raum und Zeit sich gegenseitig beeinflussen. Erst mit der Allgemeinen Relativitätstheorie aber verbindet Einstein die Raumzeit mit der Masse und damit auch der Materie, beziehungsweise der Energie, so dass alles zusammenhängt. In Einsteins eigenen Worten: „Früher hat man geglaubt, wenn alle Dinge aus der Welt verschwinden, so bleiben noch Raum und Zeit übrig; nach der Relativitätstheorie verschwinden aber Zeit und Raum mit den Dingen.“

... dass alles zusammenhängt? Versuchen wir mal, das zu verstehen. Können Sie es dem Physiklaien ganz kurz erklären?

Trefzger: Einsteins geniale Idee bestand darin, Gravitation nicht als Kraft, sondern als eine Eigenschaft der Geometrie von Raum und Zeit zu betrachten. Zum Beispiel kann die Vorhersage Einsteins, dass Materie die Raumzeit krümmt beziehungsweise Licht ablenkt, durch ein in einen Rahmen gespanntes Gummituch dargestellt werden: Legen Sie eine schwere Kugel auf das Gummituch, verändert sich die Krümmung des Gummituchs analog der von Einstein vorhergesagten Krümmung der Raumzeit. Eine kleine Kugel ändert ihre Bewegungsrichtung und ihre Bahn in der Nähe der schweren Kugel, analog der von Einstein vorhergesagten Krümmung des Lichts an Sternen.

Wie erklären Sie Schülern die Relativitätstheorie? Mit einem Gummituch?

100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie: „Eine geniale Idee“       -  Physiker Thomas Trefzger.
Foto: Thomas Obermeier | Physiker Thomas Trefzger.

Trefzger: Schüler wissen bereits, dass Masse eine Doppelbedeutung hat: Die Anziehung zweier Körper hängt von ihren (schweren) Massen ab, andererseits wird durch die Masse die Trägheit eines Körpers bestimmt: Je höher die Masse, desto geringer ist die Beschleunigung aufgrund einer vorgegebenen Kraft. Einstein hat gezeigt, dass schwere und träge Masse äquivalent sind. Und er hat das Äquivalenzprinzip auf alle physikalischen Experimente verallgemeinert: Nehmen Sie an, Sie sind in einem Raumschiff ohne Fenster unterwegs und ein Gegenstand fällt.

Fällt er, weil das Raumschiff bereits auf der Erde mit ihrem gleichförmigen Gravitationsfeld steht? Oder weil das Raumschiff im Weltraum gerade beschleunigt wird mit einer Beschleunigung, die gleich groß ist wie das Gravitationsfeld? Die Wirkung eines Gravitationsfeldes kann nicht von einer gleichmäßig beschleunigten Bewegung unterschieden werden. In der Schule ist es wichtig, den Schülern die Relevanz für den Alltag aufzuzeigen und Beispiele zu geben, die die Allgemeine Relativitätstheorie veranschaulichen.

Dann nach Einstein im Alltag gefragt: Stimmt es, dass die Relativitätstheorie auch im Navi steckt?

Trefzger: Ja, denn ohne Berücksichtigung der Allgemeinen Relativitätstheorie würden wir uns öfter verfahren, beziehungsweise mit GPS nicht zum Ziel kommen.

Das müssen Sie bitte erklären.

Trefzger: Damit unser GPS-System Positionen auf 15 Meter genau bestimmen kann, muss die Zeit mit einer Genauigkeit von 0,000 000 010 Sekunden gemessen werden. Dabei müssen die Uhren in den GPS-Satelliten Einsteins Relativitätstheorie berücksichtigen. Die Spezielle Relativitätstheorie sagt vorher, dass bewegte Uhren – also auch die auf einem Satelliten – langsamer gehen als ruhende Uhren. Wichtiger ist aber ein Effekt der Allgemeinen Relativitätstheorie: „Je größer die Schwerkraft, desto langsamer vergeht die Zeit!“

Und was heißt das für das Navi?

Trefzger: Die Schwerkraft im Satelliten in einer Höhe von etwa 20 000 Kilometern ist deutlich kleiner als auf der Erdoberfläche. Die Uhr im Satelliten geht also schneller als auf der Erde. Die beiden Effekte aus der Speziellen und der Allgemeinen Relativitätstheorie heben sich aber nicht auf, sondern die Zeitmessung muss entsprechend korrigiert werden. Andernfalls würde Sie ein GPS-System nach 24 Stunden an einen Ort führen, der etwa zehn Kilometer vom eigentlichen Ziel entfernt ist.

Klingt verständlich. Wie lange braucht ein Physikstudent, bis er Einsteins Theorie begriffen hat?

Trefzger: Um die Allgemeine Relativitätstheorie zu verstehen, benötigen Sie solide Mathematikkenntnisse und viele Spezialvorlesungen. Das genügt aber nicht, um die Theorie in all ihrer Schönheit zu verstehen. Nur wenige Kollegen, die sich seit vielen Jahren mit der Allgemeinen Relativitätstheorie befassen, haben die Theorie wirklich komplett verstanden.

Gravitationswellen       -  Schattenriss eines Wissenschaftlers auf einer Visualisierung von Gravitationswellen während einer Pressekonferenz am Albert Einstein Institut in Hannover.
Foto: dpa | Schattenriss eines Wissenschaftlers auf einer Visualisierung von Gravitationswellen während einer Pressekonferenz am Albert Einstein Institut in Hannover.

Abgesehen von der Schönheit – was war vor 100 Jahren daran das Revolutionäre?

Trefzger: Ich glaube, dass die Spezielle Relativitätstheorie auch ohne Albert Einstein – wenn auch 20 Jahre später – formuliert worden wäre. Die Allgemeine Relativitätstheorie würde es ohne Albert Einstein vielleicht bis heute nicht geben. Der Gedanke, dass Raum und Zeit nicht einfach feste, sondern dynamische Größen sind und durch die Materie verändert werden können, beziehungsweise dass die Raumzeit auch die Bewegung der Materie beeinflusst, war revolutionär.

Dann ist das die größte wissenschaftliche Entdeckung, die je gemacht wurde?

Trefzger: Neben anderen Entdeckungen wie der elektromagnetischen Wellen, der Quantenphysik und der Newtonschen Mechanik ist die Allgemeine Relativitätstheorie sicherlich eine der größten wissenschaftlichen Entdeckungen in der Physik.

War der Welt damals eigentlich klar, welchen Geistesblitz Einstein da gehabt hatte? War es ihm klar?

Trefzger: Ich glaube schon, dass Albert Einstein bewusst war, welchen genialen Gedanken er gehabt hat. Ein berühmtes Zitat von Albert Einstein heißt aber: „Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen”. Er war überzeugt, dass seine Theorie korrekt ist, hat aber sein ganzes Leben neue Ideen entwickelt und mit seinen Kollegen über seine Theorie diskutiert und war offen für neue Denkansätze.

Die weltberühmteste Formel kennt jeder: E=mc2. Nicht so viele wissen, was es damit auf sich hat.

Trefzger: c ist die Lichtgeschwindigkeit. Die Formel besagt, dass in jedem Gegenstand mit einer bestimmten Masse eine ungeheure Menge Energie vorhanden ist. Bestes Beispiel ist die Sonne: Jede Sekunde verwandeln sich in der Sonne Millionen Tonnen Materie in riesengroße Mengen an Strahlungsenergie, die das Leben auf der Erde erst möglich macht. Auf der Sonne wird aus vier Wasserstoffatomen ein Heliumatom gebildet, bei diesem Prozess wird Masse in Energie umgewandelt. Am Large Hadron Collider am Cern in Genf hat die Äquivalenz von Energie und Masse E=mc2 die Entdeckung des vielgesuchten Higgs-Teilchens ermöglicht: Ein Teilchenpaar vernichtet sich bei der Kollision und es entsteht Energie, die zur Produktion und Entdeckung neuer Teilchen genutzt wird.

Einstein hat angeblich nicht geglaubt, dass man Gravitationswellen jemals direkt nachweisen könnte und glaubte nicht an Schwarze Löcher. Vor wenigen Monaten haben Forscher zum ersten Mal Gravitationswellen von zwei Schwarzen Löchern aufgefangen. Was würde Einstein sagen?

Trefzger: Einstein wäre verblüfft, dass der Nachweis tatsächlich gelungen ist. Er würde sich mit uns freuen und sich bestätigt fühlen.

Ist damit in Sachen Relativitätstheorie alles klar und bestätigt?

Trefzger: Es gab seit 1916 einiges, was Einsteins Theorie schon lange experimentell bestätigt hat: die Messungen der Periheldrehung des Merkurs, der Ablenkung des Lichts im Gravitationsfeld oder der gravitativen Rotverschiebung des Lichts. Der direkte Nachweis der Gravitationswellen war aber noch einmal ein ganz entscheidender Schritt zur Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie. Trotzdem gibt es noch viele offene Fragen: Kann die Quantenphysik und die Allgemeine Relativitätstheorie in einer einzigen Theorie, der Quantengravitation, beschrieben werden? Gibt es also eine Weltformel? Was ist die dunkle Energie, aus der etwa 70 Prozent des Universums bestehen? Es gibt für uns und die nächste Generation von Physikern noch genug zu tun!

 


 

Prof. Thomas Trefzger

Der 49-jährige Wissenschaftler aus dem badischen Wehr ist seit 2007 Lehrstuhlinhaber für Physik und ihre Didaktik an der Universität Würzburg. Trefzger studierte Physik, Mathematik und Germanistik in Freiburg und habilitierte an der LMU München. Schon als Diplomand forschte er am CERN in Genf, dem bedeutendsten Forschungszentrum für Teilchenphysik.

Seit dieser Zeit ist er eng mit dem CERN verbunden. Die Forschungsgruppe, die er dort leitet, war an der Entdeckung des Higgs-Teilchens, des sogenannten Gottesteilchens, beteiligt.

 
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