Mehrsprachigkeit von Kindesbeinen an als Chance zu begreifen, statt als Hemmschuh auf dem späteren Bildungsweg, darum geht es dem Freistaat Bayern beim Integrationsprojekt "Zweisprachige Bücherbox". Es wurde in Schweinfurt stellvertretend für ganz Nordbayern gestartet.
Die bayerische Integrationsbeauftragte Gudrun Brendel-Fischer versorgt Kitas mit polyglott geschriebenen Kinderbüchern: Die bunten Bilder versteht ohnehin jedes Kind. Zum Startschuss in Franken gab es eine Vorleserunde im Garten des Kindergartens der Gustav-Adolf-Kirche, natürlich coronakonform, mit getesteten Kindern und Erwachsenen, mit Abstand und Mundschutz.
BR-Journalistin Shahrzad Osterer stammt aus dem Iran, ein Land, in dem Kinderbücher eine große Tradition haben. Osterer hatte das deutsch-arabische Kinderbuch "Das Allerwichtigste" dabei, in dem es um die Tiere des Waldes geht, die sich darüber zanken, was das Wichtigste im Leben ist: Igelstacheln, ein Elefantenrüssel oder der lange Hals einer Giraffe? Das Wichtigste ist natürlich, sich über sowas nicht zu streiten, sondern gemeinsam seine jeweiligen Vorzüge zu nutzen. Die Deutschiranerin, Jahrgang 1984, hat Arabisch noch als Fremdsprache gelernt, in ihrer alten Heimat.
Erzieherin Elena Gräf schlägt die Geschichte von der "Owl Howl" auf, der Heule-Eule, die es auf Deutsch und Englisch gibt. Auch diese Geschichte spielt im Wald der Tiere, wo eine kleine Eule herzerweichend weint. Jeder fragt sich, warum, am Ende stellt sich heraus: Sie hat's längst vergessen.
International ist auch der Regenbogenfisch unterwegs: 2016 hat sogar First Lady Michelle Obama aus dem populären Kinderbuch des Schweizer Autors Marcus Pfister vorgelesen, beim Osterfest im Weißen Haus. In Schweinfurt präsentiert Kindergartenleiterin Natalie Leirich den modernen Klassiker, rund um einen eitlen jungen Meeresbewohner. Der "Raduschnaja Rybka" muss in den Büchern vieles lernen, etwa seine glitzernden Schuppen mit anderen zu teilen, oder, wie in diesem Fall, auch mal gegen andere zu verlieren. Leirich stammt aus einer Spätaussiedler-Familie aus Kasachstan.
Mit bei der Vorleseaktion dabei war auch Simone Kunert-Kamusin, vom Trägerverbund der evangelischen Kitas im Dekanat Schweinfurt. Rund 80 Prozent der Kinder des Kindergartens an der Gustav-Adolf-Kirche (der als Namensgeber bekanntlich Schwede war) haben Migrationshintergrund. Die vier Kinder, die stellvertretend für alle zuhören dürfen, sind da nur eine kleiner Auswahl – Margaritas Muttersprachen sind Deutsch und Russisch, Artem stammt aus Weißrussland oder Belarus, Joud spricht (auch) arabisch, Harleen ist eine gebürtige Inderin.
An Deutsch führt hierzulande natürlich kein Weg vorbei. "Mein Papa lernt es noch", heißt es in der Runde. Aber Gudrun Brendel-Fischer findet es gut, wenn Kinder mehrsprachig aufwachsen: "Die Herkunftssprache darf nicht vernachlässigt werden." Die Bayreutherin wird an die hundert Kitas in ganz Bayern beliefern, mit zweisprachigen Vorlesebüchern in neun unterschiedlichen Sprachen, auf die der jeweilige Nachwuchs stolz sein soll. In der Bücherbox des Kindergartens an der Gustav-Adolf-Kirche gibt es nun Bücher auf Bosnisch, Türkisch, Griechisch, Polnisch, Serbisch, Albanisch, Kroatisch, Russisch und natürlich Deutsch.
Für die CSU-Landtagsabgeordnete sind die Familien der Ansatzpunkt, um Menschen mit Migrationshintergrund in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, nicht zuletzt die "Muttis": Unter anderem mit Hilfe von (Vor-)Lesematerial, aber auch selbstbewussten jungen Menschen, die beide Welten von Kindesbeinen an kennen.