ine knappe Viertelstunde vom geschäftigen Potsdamer Platz entfernt ein Industriegebiet, wie es überall in diesem Land stehen könnte. Vom vierten Stock des Verwaltungsgebäudes der Willy Vogel AG in Berlin Marienfelde blickt der Besucher auf ein Konglomerat an gesichtslosen Zweckbauten. Dahinten rechts verlief die Grenze, sagt Manfred E. Neubert und der Blick folgt seinem ausgestreckten Arm. Auch dort hinten weiter westlich, wo ein paar Bäume zu erkennen sind, war früher DDR. Von hier aus betreibt Vogel sein internationales Geschäft. Von ähnlichem Kaliber ist jenes Unternehmen, in dessen Kellern Hunderttausende Liter Alkohol lagern. Ein große Leuchtschrift verrät die Marke: Klosterfrau Melissengeist.
Neubert ist Chef der Willy Vogel AG. Vor zehn Jahren kam der drahtige, hoch gewachsene 52-Jährige von der Hoechst AG nach Berlin. Sein Unternehmen kennt er inzwischen bis in den letzten Winkel und bis ins letzte Detail und wird bei SKF in Schweinfurt mit Respekt "Mister Vogel" genannt. Vor eineinhalb Jahren hat der Weltmarktführer in Sachen Wälzlager den Weltmarktführer in Sachen Schmierungstechnik übernommen und das mittelständische Unternehmen in den Konzern gut integriert.
An dieser Stelle sollte man etwas zum Thema Zentralschmierung und auch dazu sagen, was die Willy Vogel AG mit ihren rund 900 Mitarbeitern weltweit für SKF so interessant macht. Die Schweden haben für ihr Geschäft fünf Plattformen definiert: Wälzlager und Wälzlagereinheiten, Dichtungen, Mechatronik, Dienstleistungen und eben Schmiersysteme.
Wälzlager sind darauf ausgelegt, Bewegungsprozesse mit möglichst geringer Reibung zu ermöglichen. Dazu müssen Wälzkörper, die in der Regel aus Metall oder Keramik bestehen, geschmiert werden. Das kann manuell oder auch automatisch geschehen. Und darin liegt ein ganz entscheidender Unterschied. Ein manuelle Schmierung erfordert teuren Personaleinsatz und führt oft zu Stillständen der Maschinen. Dass dies teuer ist, lässt sich leicht erkennen, denkt man an Windkraftanlagen, Schiffsdiesel, Papier- oder Baumaschinen, Kräne oder Eisenbahnen beispielsweise. Hier greift nun die Zentralschmierung. Sie besteht, laienhaft ausgedrückt, aus einem Schmierstoffbehälter, der über eine Pumpe und ein Leitungssystem exakt den Schmierstoff in der richtigen Menge an die Stelle bringt, an der er auch benötigt wird. Wer mit der Hand schmiert, verbraucht bis zur zehnfachen Menge.
Das Unternehmen wurde 1929 von Willy Vogel im Stadtteil Kreuzberg gegründet. "Er war ein richtiger Unternehmer, kein Erfinder", charakterisiert ihn Neubert. Der Mann liebte teure Autos und störte sich daran, dass diese alle 100 Kilometer geschmiert werden mussten. Das sollte sein Thema werden. Und er hatte Erfolg.
Acht Tochterunternehmen
Als er im Zweiten Weltkrieg umkam, führte seine Frau Lotte, eine gelernte Opernsängerin, das inzwischen fest etablierte Unternehmen weiter und baute die ersten Auslandsniederlassungen, beispielsweise in Japan auf. Das war immerhin vor bereits 37 Jahren. Heute hat die Willy Vogel AG acht internationale Tochtergesellschaften. "Wir sind immer mit unseren Kunden gegangen", umreißt Neubert die Firmenphilosophie. In Deutschland kommen zum Stammwerk in Berlin noch eine Produktionsstätte in Hockenheim hinzu.
Als sich 1989 Lotte Vogel mit 86 Jahren in den Ruhestand zurückzog, ging das Unternehmen, weil ein Erbe fehlte. an die "Hannover Finanz". Eine Investorengruppe, die zwar, so Volkswirt Neubert, klare Gewinnerwartungen formulierte, dabei aber langfristig gedacht habe. "Darum konnten wir auch immer investieren." Fünf Millionen Euro im Schnitt jährlich.
Nach 17 Jahren stand die Willy Vogel AG schließlich aber doch zum Verkauf. Gesucht wurde ein "strategischer Käufer, der unsere Unternehmenskultur versteht", erklärt Neubert. Und so kam Vogel unter das Dach von SKF, das mit seinem fein gesponnenen Vertriebsnetz den Schmierexperten neue Märkte eröffnet und mit ihm gemeinsam neue Projekte entwickelt. Mit dem "Wunschpartner sind wir auf einem erfolgreichen Weg", berichtet Neubert. Die Vogel-Leute fühlten sich akzeptiert und seien darauf auch stolz, "wir wissen, dass wir etwas einzubringen haben".
Das zeigt sich auch beim Rundgang durch die 19 000 Quadratmeter großen Produktionshallen. Sie sind hell, blitzsauber, leuchtendes Gelb dominiert. Neubert scheint jeden Mitarbeiter zu kennen, spricht viele mit Namen an. Die meisten sind Frauen und in der Regel schon sehr lange dabei. Bei Vogel wird zwar sehr viel montiert, die Fertigungstiefe ist dennoch groß. Als Besonderheit nennt Neubert die individuellen Losgrößen. 70 Prozent des Umsatzes geht an Originalhersteller, so genannte OEMs.
Jeder weiß was läuft
Standardlösungen sind die Ausnahme, Varianten machen das Gros des Umsatzes aus. Das erfordert einen umfangreichen Maschinenpark und vor allem schnelle Rüstzeiten, die in Marienfelde ausgeprägt automatisiert sind. Auffallend die vielen Bildschirme. Die gesamte Produktion wird über die Software SAP gesteuert. "Jeder Mitarbeiter weiß, was läuft." Ist damit auch über die Lage des Unternehmens weitgehend informiert.
Ein wichtiges Thema ist die Minimalmengenschmierung. Neubert kann es an der eigenen Produktion erklären. Beim Schneiden, Fräsen oder Schleifen wird der Kühl-Schmierstoff in gerade ausreichenden Mengen an das Werkzeug gebracht. Das schont die Umwelt und belastet die Mitarbeiter kaum. Darum sind die Späne, die Neubert aus einem der Behälter holt, absolut trocken, frei von Öl oder Fett. Schmierstoffe müssen nicht regeneriert, die wiederverwertbaren Späne können sortenrein verwertet werden. Die Bearbeitungszeiten verkürzen sich.
Inzwischen haben Vertriebsmitarbeiter von SKF und Vogel bereits Hunderte von Kundenbesuchen gemeinsam absolviert. Diese wollen Angebote aus einer Hand und darum werden SKF-Mitarbeiter Zug um Zug in Sachen Schmierung trainiert. Die Integration ist auf gutem Kurs, fasst "Mister Vogel" zusammen. Zehn Prozent seines Umsatzes liefert das Berliner Unternehmen inzwischen allein über die SKF Gruppe.
Daten & Fakten
Die Willy Vogel AG
90 Prozent ihres Umsatzes von 115
Millionen Euro macht die Willy
Vogel AG mit Schmiersystemen.
Zehn Prozent kommen aus dem
Geschäft mit Pumpen. Weltweit
beschäftigt das Unternehmen 900
Mitarbeiter. Fertigungsstätten gibt
es in Deutschland, USA, Japan und
Frankreich.