2015 jährt sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Silvia Kirchhof, Regisseurin des Kleinen Stadttheaters Gerolzhofen, hat sich dafür ein besonders ambitioniertes Projekt vorgenommen. Sie will mit ihrem Ensemble, das – anders als noch beim „Brandner Kaspar“ – auch wieder mindestens ein Theaterprofi unterstützen soll, die Geschichte um die letzten Kriegstage in Gerolzhofen auf die Bühne bringen.
Um den Frauenaufstand, der die kampflose Übergabe der Stadt an die heranrückenden Amerikaner zum Ziel hatte und dieser wohl letztlich die zumindest teilweise Zerstörung erspart hat. Und um die Protagonisten dieses Massenprotestes gegen eine sinnlose Verteidigung Gerolzhofens, allen voran die Hauptlehrerin Josefine Schmitt. Stattfinden soll das ganze dann am Originalschauplatz: Open-Air auf dem Marktplatz.
Damit das Stück ein Erfolg wird, hat Silvia Kirchhof von Anfang an nichts dem Zufall überlassen. Mit dem Schriftsteller Roman Rausch hat sie einen renommierten Autor für das Stück gewonnen. Rausch, der in Gerolzhofen geboren wurde, in Reupelsdorf aufwuchs und heute in Berlin lebt und arbeitet, hat sich vor allem mit Krimis einen Namen gemacht.
Aber auch als Verfasser von Historienromanen wie „Die Kinderhexe“ oder „Die letzte Jüdin von Würzburg“ konnte er sich in den vergangenen Jahren einen gewissen Ruf erarbeiten. Anfang des Jahres hat er mit seinen Recherchen begonnen, unterstützt vom Historiker Professor Rainer Leng, der für ihn in den Tiefen der Archive wühlte und eine historische Einordnung des gefundenen Materials vornahm.
An dieser Stelle sei es erlaubt, die Uhr ein wenig zurück zu drehen. Die Zeit: Ein Tag Mitte September. Ort der Handlung: Die Wohnung von Silvia Kirchhof im Lülsfelder Weg. Die Hauptdarsteller: Silvia Kirchhof und Roman Rausch. Requisiten: Zwei Laptops. Zeitschriften, Bücher und Zeitschriften rund um Alt-Gerolzhofen und den Frauenaufstand. Jede Menge bedrucktes Papier. Ein Schälchen mit gerösteten Pistazien, Wasserflaschen. Die Mission: Dem Stück „Fräulein Schmitt und der Aufstand der Frauen“ den letzten Schliff verpassen.
Auf dem Tisch liegt die neueste Version. Zuvor lief der Austausch von Kirchhof und Rausch über das entstehende Werk vor allem über Telefon und E-Mail. „Doch wenn man zusammensitzt, ist es leichter“, sagt Kirchhof. „Leichter?“, erwidert Rausch und zieht die Augenbrauen nach oben. Nicht, dass der Frauenaufstand das erste Bühnenstück wäre, das aus seiner Feder fließt. Für Berlin-Wedding hat er bereits eines verfasst, „einen Krimi im Multikulti-Umfeld“, verrät der Autor. Und doch ist dieser Abend eine Art Premiere: „In Berlin steht die Arbeit mit dem Regisseur noch bevor.“
Die Gegenüber haben dabei grundverschiedene Ausgangspunkte, gehen ihren eigenen Weg. Das Ziel indes ist klar formuliert: Es muss eine perfekte Einheit aus Wort und Bild auf die Bühne kommen.
Auf der einen Seite also der Schriftsteller, der am liebsten im stillen Kämmerchen mit den Worten jongliert und an seinen Texten feilt. Denn ein Theaterstück erfordert ein anderes Arbeiten als ein Roman. „Als Romanschriftsteller kann ich mich über die Gedankenwelt ausdrücken“, erklärt Rausch: „Beim Theater muss man alles in Dialoge oder Monologe übersetzen.“
Und dort die Regisseurin, die eine solche Textvorgabe visualisieren muss. „Ich habe relativ schnell Bilder, Szenen vor Augen“, sagt Kirchhof. In der Phase der Recherche hat sie viel mit noch lebenden Zeitzeugen gesprochen: „Man muss ein Zeitgefühl bekommen.“
Denn mit das Spannendste an der Inszenierung des Frauenaufstandes ist für die Theaterfrau, dass sie es anders als beim Nathan, bei der Pension Schöller oder dem Brandner Kaspar diesmal mit historisch belegten Personen zu tun hat. Da sind Details wichtig.
Welche Statur hatte das historische Vorbild? Wie hat es gesprochen? Und wie hat es „getickt“? Was die Besetzung angeht, hat Regisseurin Kirchhof einen klaren Wunsch: „Ich will so nah wie möglich an der Idealfigur bleiben.“
Auch Roman Rausch hat die Videos mit den Zeitzeugeninterviews gesehen: „Vieles ist da natürlich auch verklärt. Ich sehe das mit meinem journalistischen Background naturgemäß kritischer.“ Und dann sind da ja auch noch die archivalischen Funde von Rainer Leng wie diverse Spruchkammerakten. Aus all diesen Puzzleteilchen muss seine Figuren zusammensetzen: „Die Personen müssen schlüssig sein. Mit all ihrer Widersprüchlichkeit.“
Gerade Josefine Schmitt ist schwer greifbar. Jeder kannte sie in Gerolzhofen. Und scheinbar mochten sie auch die meisten. Wirklich etwas gewusst über sie haben aber die wenigsten. „Es wird offene Fragen geben“, ist Rausch sich sicher: „Das ist aber auch so gewollt. Das Stück soll ein Nachdenken, vielleicht sogar eine Diskussion anstoßen.“
Denn das Stück endet nicht beim „Tag X“ auf dem Gerolzhöfer Marktplatz. „Das wirklich Spannende, Neue“, sinniert Rausch, „ist das, was danach, auch vor der Spruchkammer, stattgefunden hat. Denn es ist ja ein bekanntes Muster, dass dann, wenn es an die Abrechnung geht, sich eine Gruppe zusammentut, um möglichst glimpflich davonzukommen.“
Auch die Fiktion hat ihren Raum. Das heißt, sie muss ihn sogar haben. Denn nicht alles lässt sich irgendwo nachlesen. „Es gibt Lücken, die kann selbst die Forschung nicht füllen“, bekennt Rausch. Etwa, was wirklich passiert ist beim Standgericht gegen einige der Aufständler in der Schweinfurter Kaserne. Es gibt zwar Aussagen, aber keine Verhörprotokolle: „Das müssen wir rekonstruieren.“
Oder die Flucht etlicher Protagonisten, Josefine Schmitt eingeschlossen: „Da haben wir nichts Konkretes von Zeitzeugen. Da müssen wir so nah wie möglich an der vermuteten Wirklichkeit bleiben.“ Und schließlich ist auch noch das Gefühlsleben der Josefine Schmitt. Gab es einen Gesinnungswandel? Wenn ja, wann setzte er ein? Und warum? Keiner weiß es.
All diese Hürden sind mittlerweile bewältigt. Die endgültige Version liegt vor. Etwa 40 Seiten füllt sie. „Zwei Stunden Spielzeit, eine sehr schöne Länge“, meint die Regisseurin. Sie hat nun den nächsten großen Schritt zu gehen Richtung Aufführung im September 2015. Ein gutes Dutzend größere Sprechrollen hat Rausch in sein Stück geschrieben, dazu ähnlich viele Rollen mit weitaus weniger Text. Außerdem werden bis zu 50 Kinder benötigt.
Die Suche nach den passenden Darstellern für die Charaktere beginnt am kommenden Montag, 10. November, um 19.30 Uhr. Dann lädt Kirchhof ein zu einem Informationsabend in die Mittelschule am Lülsfelder Weg ein. Wer sich dafür interessiert, bei der Inszenierung dieser entscheidenden Phase der jüngeren Stadtgeschichte aktiv mitzuwirken, aber am Montag keine Zeit hat, kann sich bei der Theatermacherin melden unter Tel. (0 93 82) 58 26. Das Casting ist für Sonntag, 23. November, um 15 Uhr angesetzt. Veranstaltungsort ist auch dann die Mittelschule.