Das Gesicht der Welt, selbst die hässliche Fratze des Krieges haben sich gewandelt in den vergangenen Jahrzehnten. Immer seltener befehden sich Staaten mit Waffengewalt. Heute sind es zunehmend religiöse Konflikte, die einen hohen Blutzoll fordern. Nicht erst seit dem 11. September 2001. Man denke auch an den bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert schwelenden Nahost-Konflikt.
Vor dem Hintergrund stetig neuer Schlagzeilen aus Israel, Afghanistan, Somalia, Irak oder jüngst aus Mali, gewinnt ein Theaterstück zunehmend wieder an Aktualität, das Gotthold Ephraim Lessing vor mehr als 200 Jahren, 1779, veröffentlicht hat – „Nathan der Weise“. Jenes Stück, das um 1192, während des Dritten Kreuzzuges spielt und mit seiner berühmten Ringparabel vor allem eines ist: Ein leidenschaftliches Plädoyer für Toleranz unter den drei großen, monotheistischen Weltreligionen. Denn die einzig wahre Religion, so Lessings Botschaft, die gibt es nicht.
Ein aktuelles und wieder durchaus anspruchsvolles Stück also, das sich Silvia Kirchhof diesmal nach dem „Großen Welttheater“ und der „Pension Schöller“ für ihr „Kleines Stadttheater Gerolzhofen“ ausgesucht hat. Bei der Besetzung der neun Rollen griff die Regisseurin fast ausschließlich auf bewährte Kräfte ihres Ensembles zurück. Nur die 17-jährige Claudia Schwab, die die Recha spielt, hat bislang noch keine Theaterluft geschnuppert.
Kürzlich hat Kirchhof ihre Darstellerschar erstmals um sich gesammelt und zur Einstimmung mit ihr „Nathan“ als Stummfilm aus dem Jahr 1922 geschaut. „Ganz bewusst ein Film ohne Ton“, sagt sie. „Denn das soll unser Stück werden. Wir wollen niemanden nachmachen.“
Theater in der „tiefsten Provinz“
Seit gut zwei Wochen haben die Schauspieler nun ihr Skript. Jetzt sitzen sie erstmals im evangelischen Gemeindezentrum, wo Ende April auch die Aufführungen stattfinden werden, zusammen. Textarbeit ist angesagt. Konzentriert lesen die Akteure ihre Passagen vor. Gekommen sind auch die beiden Profischauspieler, die Kirchhof mit ins Boot geholt hat.
Einer davon ist Jürgen Bauer aus München. Er ist das, was man landläufig „alter Hase“ nennt. 42 Jahre spielt er Theater, hat mit Größen wie Liane Hielscher, Diana Körner und Gisela Uhlen gearbeitet, war an vielen Theatern engagiert und hat 28 Tourneen im deutschsprachigen Raum hinter sich. Und doch kann es auch für einen wie ihn noch Premieren geben. Es ist nämlich das erste Mal, dass er mit Amateuren zusammen auf der Bühne stehen wird. „Ich finde es bemerkenswert von Silvia Kirchhof, hier in der tiefsten Provinz derart engagiertes Theater zu machen“, sagt der erfahrene Mime.
Deshalb hat er auch nicht lange gezögert, als Kirchhof ihm die Rolle des Nathan anbot. „Das ist für mich auf meine alten Tage noch einmal eine schöne Herausforderung“, meint er und erzählt: „Vor ungefähr 30 Jahren habe ich im Nathan auf Tournee schon einmal den Sultan Saladin gespielt. So holt einen die Vergangenheit wieder ein.“
Den Saladin wird in der Gerolzhöfer Inszenierung Wilhelm Beck geben, der zweite Profi im Ensemble. Eigentlich war für diese Rolle Lothar Zachmann vorgesehen. Doch da der Dingolshäuser Bürgermeister in Kürze den Vorsitz der VG übernehmen wird und „Nathan kein Stück ist, dass man mal eben so aus dem Ärmel schüttelt“, musste Kirchhof umdisponieren. Bei der Suche nach einem neuen Saladin kontaktierte sie auch ihren „Nathan“ Jürgen Bauer. Und der fragte einfach mal bei seinem Kollegen Wilhelm Beck nach.
Auch der hat nicht lange gezögert. „Ein Laientheater spielt den Nathan? In einer Kirche? Und ein evangelischer Pfarrer spielt den Tempelherrn? Das finde ich spannend“, gibt er zu. Auch das Thema hat ihn gereizt, gerade in unseren Tagen.
Wie Bauer steht auch er, der ursprünglich Kostüm- und Bühnenbildner gelernt hat, schon seit rund 40 Jahren auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Sein erstes Engagement nach dem Schauspielstudium führte ihn Ende der 70er Jahre schon einmal nach Unterfranken – ans Fränkische Theater Schloss Maßbach.
Alle voll bei der Sache
Wie sein Kollege hat auch Beck noch nie mit Amateuren gearbeitet. Und beim ersten Beschnuppern haben seine künftigen Mitspieler schon einmal einen guten Eindruck hinterlassen: „Ich merke, dass sie alle voll bei der Sache sind“, lobt er.
Auch Kirchhof muss ihre Profis an diesem Tag erst einmal beschnuppern. „Ich muss ja wissen, wie sie spielen, um sie in das Ensemble einzubauen“, erklärt sie. Bauer, so hat sie festgestellt, ist „ein Schauspieler der ganz alten Schule“, sehr nuanciert seine Sprache. Beck dagegen spielt „eher minimalistisch“, was auch auf seine Fernseherfahrung zurückzuführen sein dürfte.
Bis zum Ende der Proben werden die beiden noch fünfmal den Weg nach Gerolzhofen antreten und zum restlichen Ensemble stoßen. Dann soll so intensiv wie möglich miteinander gearbeitet werden, wünscht sich Kirchhof. „Es wird viel Arbeit, aber es wird sich lohnen“, gibt sich die Theatermacherin optimistisch.