Das Theater war für Günther Fuhrmann immer ein ganz besonderer Ort. Ein Schutzraum einerseits, in dem Dinge gesagt werden konnten (und mussten), die draußen ungehört verhallt wären, oder aber (wahrscheinlicher noch) bewusst ignoriert worden wären. Gleichzeitig aber auch ein Raum, in dem jener andere Schutzmechanismus wegfiel, mit dem sich die Menschen draußen unangenehme Wahrheiten vom Leib hielten. In dem der Besucher konfrontiert wurde mit Fragen, denen er möglicherweise im Alltag lieber ausgewichen wäre.
Das machte das Theater von Günther Fuhrmann zu einem Ort der Auseinandersetzung, und diejenigen, die das Glück hatten, dabei zu sein, berichten noch heute von Inszenierungen wie etwa Franz Xaver Kroetz' „Stigma“ oder der Punk-Fassung von Schillers „Räubern“ mit dem jungen Rufus Beck in seiner ersten Hauptrolle als Franz Moor. Es gab Diskussionen, Leserbriefe, Unterschriftenlisten. Und das war genau das, was Fuhrmann wollte. Nicht (nur) aus Marketing-Gründen, wie man heute sagen würde (und wie er selbst nie gesagt hätte) – es ging ihm um die Auseinandersetzung der Menschen mit dem Theater und damit ihrem eigenen Leben.
Günther Fuhrmann, Leiter des Theaters der Stadt Schweinfurt von 1962 bis 1990, ist am 26. Januar im Alter von 88 Jahren gestorben. In Zeiten, in denen – auch in der Kunst – der Pragmatismus regiert, blieb er bis zuletzt ein Mann grundsätzlicher Gedanken. So wie er sie etwa 1966 zur Eröffnung des neu gebauten Theaters formulierte: „Und in der Tat sind es ja die kulturellen Leistungen, die im Rückblick auf die Geschichte eines Volkes, einer Stadt, als die bleibenden Grundwerte erkennbar werden. Nur Kulturbewusstsein prägt das Gesicht einer Stadt, niemals die Menge des Geldes, die man in ihr verdient. Und so zählt wohl zu Recht das Theater zu den Bauwerken, in denen sich am deutlichsten städtisches Bewusstsein ausdrücken kann. Denn Theater bietet die Chance, dass der Mensch in der Begegnung mit sich selbst sich seiner selbst bewusst wird.“
Das konnte dann schon mal heftig werden, etwa 1969 in Edward Bonds „Gerettet“ mit dem Staatsschauspiel Köln: Junge Männer warfen Steine in einen Kinderwagen. Sie steinigten ein Baby und pinkelten in den Wagen. Da verließen etliche ältere Besucher das Haus, während Jugendliche ihnen hinterherriefen „Wiedersehen Nerz“. Das Theater, so sagte er einmal, sei das Gewissen einer Zeit, das Ausschnitte der Wirklichkeit zeigen müsse. Und gewalttätige jugendliche Gangs, wie sie Bond beschrieben hatte, waren eben Teil der Realität. Günther Fuhrmann, der gebürtige Westfale, war in Schweinfurt von 1951 bis 1956 zunächst Manager des Amerika-Hauses – seine Hochachtung für die Kompromisslosigkeit der amerikanischen Dramatiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Eugene O'Neill oder Arthur Miller hat ihn ein Leben lang begleitet.
Theater wurde ab Mitte der 1950er-Jahre in der neuen Stadthalle gespielt. Erster Intendant dort war Erich Kronen, Günther Fuhrmann sein Assistent. Die beiden entwickelten das Konzept des Gastspielhauses, das später als Schweinfurter Modell bundesweit bekannt und kopiert wurde. „Wir sind uns vorgekommen wie Missionare“, sagte Fuhrmann einmal im Gespräch mit der Journalistin Katharina Winterhalter.
1962 übernahm er die Leitung, 1966 wurde er erster Intendant des neuen Hauses von Erich Schelling im Châteaudun-Park. Er machte es mit seinen anspruchsvollen und fordernden Programmen zu einem der besten Gastspielhäuser des Landes. Es gastierten hier etwa der Komponist Robert Stolz, die Sänger Anneliese Rothenberger, Jose Carreras und Dietrich Fischer-Dieskau, die Musiker Pinchas Zuckermann, Baden Powell, Friedrich Gulda und Schauspielgrößen wie Heinz Rühmann, Klaus Maria Brandauer, Josef Meinrad, Gustl Bayrhammer, Martin Benrath, Bernhard Minetti oder Maria Becker.
Christian Kreppel, heute Leiter des Theaters: „Der langjährige Kulturamtsleiter und Theaterdirektor der Stadt Schweinfurt Günther Fuhrmann hat durch seinen immerwährenden Einsatz und Engagement das kulturelle Leben seiner Wahlheimat in einem außerordentlich beeindruckenden und nachhaltigen Wege geprägt.“
Im Ruhestand blieb Günther Fuhrmann ein kritischer und geistreicher Kommentator nicht nur des Schweinfurter Kulturlebens. Man wusste besser, wovon man redete, wollte man ihm widersprechen. Dank seiner ansteckenden Lust am intellektuellen Disput war jedes Gespräch mit ihm ein Genuss und ein Gewinn. Denn es erinnerte einen immer wieder daran, wie wichtig es ist, ein Leben lang neugierig zu bleiben und die eigenen Überzeugungen immer wieder kritisch zu durchleuchten.