Pflegenotstand, Ärztemangel – das ist jedem ein Begriff. Dass es auch einen akuten Therapienotstand gibt, darauf will Daniela Verne jetzt die Öffentlichkeit aufmerksam machen. Die 48-Jährige, die seit 14 Jahren eine Praxis für Physiotherapie, Ergotherapie und Prävention in Grafenrheinfeld betreibt, hat eine Petition an den Bayerischen Landtag gerichtet, „damit sich endlich mal was bewegt“.
„Es brennt“, beschreibt Daniela Verne den Zustand in der Heilmittelbranche. Patienten müssten vier bis sechs Wochen auf einen Termin für eine Therapie warten. „Und da geht es nicht um den Ü-80-Senior, sondern um frisch operierte oder erkrankte junge Menschen, die mit einer Heilmittelverordnung des Arztes kommen und wieder arbeits- oder alltagsfähig gemacht werden müssen.“ Tagtäglich müsse sie – wie viele andere Praxen in und um Schweinfurt auch – diese Menschen wieder nach Hause schicken. „Nicht, weil wir keine adäquate Therapie anbieten können oder wollen, sondern weil wir keinen Therapietermin vergeben können.“
Rückläufige Schülerzahlen
Der Grund für diesen „Notstand“ ist laut Daniela Verne der Fachkräftemangel in den Therapieberufen. „Wir suchen permanent nach Verstärkung unseres Teams. Und das seit Jahren, aber ohne Erfolg.“ Junge Menschen würden diesen Beruf nur noch halb so oft ergreifen wie vor 15 oder 20 Jahren. Daniela Verne belegt das mit einem Beispiel: Als sie 1996 ihre Ausbildung zur Ergotherapeutin machte, gab es 500 Bewerbungen auf 30 Ausbildungsplätze. Heute sei es schon fast umgekehrt. Dass die Schülerzahlen extrem rückläufig sind, bestätigt auch Sybille von Beck, Leiterin der Berufsfachschule für Physiotherapie an Hans-Weinberger-Akademie der AWO in Schweinfurt. „Innerhalb von zwei Jahren gingen die Anfragen geeigneter Bewerber um 30 Prozent zurück.“
Warum ist der Beruf so uninteressant geworden? „Die Berufsfachschule kostet viel Geld“, sagt Daniela Verne. Für die dreijährige Ausbildung muss man rund 12 000 Euro berappen. „Und dann ist der Verdienst danach schlecht.“ Berufseinsteiger gehen gerade mal mit 2100 Euro nach Hause. „Und das bei einer großen medizinischen Verantwortung, die ein Therapeut hat.“ Ein Physiotherapeut sei heute schließlich mehr als einer, „der ein bisschen massiert“. Er braucht fundierte medizinische Kenntnisse, ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und viel Einfühlungsvermögen. „Die Ausbildung ist anspruchsvoll und ambitioniert – und auch körperlich anstrengend“, betont Daniela Verne. Folglich würden sich junge Leute eher für einen Beruf in der Industrie oder im Büro entscheiden, wo sie die Ausbildung nicht zahlen müssen und danach wesentlich mehr verdienen. Das bestätigt auch Schulleiterin von Beck: „Wir spüren an unserer Schule die gute Konjunktur der letzten Jahre.“
Je besser es der Wirtschaft geht, desto schlechter geht es demnach den Berufsfachschulen. Wenn dieser Trend anhält, „gibt es in ein paar Jahren eine Katastrophe“, prognostiziert Daniela Verne. Sie befürchtet gar, dass es mittelfristig eine Heilmittelversorgung als Kassenleistung überhaupt nicht mehr geben wird, sondern nur noch über eine Zusatzversicherung für Physiotherapie. Dabei könnten jetzt schon manche Patienten die Rezeptgebühren gar nicht zahlen.
Ausbildungsgebühren abschaffen
Mit ihrer Petition will Daniela Verne Alarm schlagen und die Politik zum Handeln bringen. Sie fordert die Abschaffung der Ausbildungsgebühren und eine höhere Vergütung der Behandlungen durch die Krankenkassen, um den Therapeuten so bessere Verdienstmöglichkeiten zu verschaffen. „In fünf bis zehn Jahren können wir Therapeuten nur noch einen Bruchteil der bedürftigen Personen versorgen“, heißt es in der Petition. Und weiter: „Es herrscht jetzt schon akuter Therapienotstand. Für die Patienten geht es stetig bergab.“
Daniela Verne würde sich zudem wünschen, dass der Beruf des Therapeuten gesellschaftlich eine höhere Anerkennung findet. „In den Niederlanden sind Therapeuten auf Augenhöhe mit den Ärzten“, und in den USA stehe der Beruf des Physiotherapeuten auf dem zweiten Platz in der Beliebtheitsskala. „Bei uns aber fehlt leider die Wertschätzung.“