In mehreren Themenblöcken tauschten die Teilnehmer an der Steigerwaldbahn-Konferenz am Montag im Landratsamt Schweinfurt ihre Argumente aus. Die Gegnerschaft einer Reaktivierung rekrutierte sich vorwiegend aus den Bürgermeistern der Gemeinden längs der Strecke (mit Ausnahme von Thorsten Wozniak aus Gerolzhofen) und Busunternehmern. Pro Bahn oder zumindest für eine weitere und dann verbindliche Studie zur Strecke durch die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) sprachen sich vor allem die Wirtschaftskammern, mehrere Parteien und der Verkehrsclub Deutschland aus.
Hier nun die wichtigsten Beiträge der Themenkomplexe:
Verkehrliche Belange
Thorsten Wozniak (Bürgermeister Gerolzhofen): Die Stadt befürwortet eine Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Der motorisierte Individualverkehr (MIV) wird an Bedeutung verlieren. In der Ost-Westverbindung müssten Expressbusse die Verbindungen verbessern. Die Bahnlinie Schweinfurt-Gerolzhofen könnte vielleicht eine Modellstrecke für wasserstoffgetriebene Züge werden. Eine Bahnanbindung wäre ein starker Impuls für die Ansiedlung von Fachkräften und Betrieben. Für die Reaktivierung der Strecke sprachen sich auch Wolfgang Gutgesell (Kreisrat Die Linke) und Norbert Lenhard, Betriebsratsvorsitzender bei Schaeffler, aus.
Ewald Vögler (Bürgermeister Grettstadt und Sprecher der Anrainergemeinden exklusive Stadt Gerolzhofen): Eine Bahnlinie aus dem 19. Jahrhundert ist nicht mehr zeitgemäß. Busverbindungen haben viel mehr Haltestellen. Das kann die Bahn nicht leisten. Außerdem: Wie kommt ein Bahnfahrer in das Gewerbegebiet Maintal in Schweinfurt? Auch Einkaufen mit dem Zug ist fast nicht möglich.
Rudolf Frimberger (Verkehrsgemeinschaft Schweinfurt, ein Zusammenschluss der Busunternehmer): Die Busunternehmer wickeln nahezu den gesamten öffentlichen Nahverkehr im Landkreis ab und zwar ohne Zuschuss der öffentlichen Hand. Zwischen Schweinfurt und Gerolzhofen gibt es auf zwei Routen 65 Verbindungen mit zentralen Haltestellen. Haltestellen könnten außerdem leichter verlegt werden als bei der Bahn.
Lothar Zachmann (Bürgermeister Dingolshausen): Eine Studie der Bayerischen Eisenbahngesellschaft soll her. Dafür hat sich der Gemeinderat Dingolshausen einstimmig ausgesprochen.
Simon Suffa (Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt; Büroleiter Schweinfurt): Die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) hat die Plausibilität der Schliephake-Studie bestätigt. Bei anderen Reaktivierungen wurden die Schätzungen oft um ein Vielfaches übertroffen. Der ÖPNV ist ein Gesamtereignis, das heißt, Bus und Bahn sollten nicht gegeneinander entwickelt werden.
Auswirkung der Bahn auf die Siedlungsentwicklung
Werner Knaier, Bürgermeister von Wiesentheid: Aus der Bahntrasse sollte ein Bestandteil des Kernwegenetzes für landwirtschaftliche Großfahrzeuge werden.
Ewald Vögler: Die Anrainergemeinden an der Strecke haben sich auch ohne Bahn weiterentwickelt.
Jürgen Bode (stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt): Aus Mittelfranken heißt es, dass Kommunen an der Schiene bei der Bevölkerung zugelegt haben.
Umwelt, Klima, Gesundheit (Lärm)
Christian Loos, Verkehrsclub Deutschland, Kreisverband Main-Rhön: Eine relativ schnelle Verkehrswende, das heißt weniger Autos und Flugzeuge, ist nötig für das Überleben des Menschen. Die Bahn hat den niedrigsten Energie- und Flächenverbrauch und macht den wenigsten Lärm.
Ewald Vögler: Ein Zug macht auch Lärm.
Thomas Vizl (Kreisrat der Grünen): Die Anwohner an Straßen werden entlastet, wenn der Zug fährt. Den vorgeschlagenen Radschnellweg auf der Bahntrasse braucht es nicht, weil es bereits einen durchgehenden Radweg von Gerolzhofen nach Schweinfurt gibt.
Simon Suffa: Die Autoindustrie teilt mit, dass in Zeiten des Elektromobils ein Auto für Menschen mit kleinerem Geldbeutel nicht mehr erschwinglich sein wird. Deswegen muss es alternative Verkehrsmittel geben. Der Freistaat hat die Notwendigkeit eines Mobilitätswandels erkannt und Reaktivierung von Bahnlinien, wo nötig und machbar, im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern verankert.
Kreisentwicklung, Wirtschaftförderung
Wolfgang Anger (Bürgermeister Lülsfeld): Seit 30 Jahren hat die Bevölkerung ein Leben ohne Bahn organisiert. Auch Betriebe sehen keinen Bedarf. Ein mittelständisches Lülsfelder Unternehmen hat bereits Interesse am Erwerb eines Teils des Bahngeländes signalisiert.
Ludwig Paul (Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken): Die Bahn ist gut für noch nicht mobile Azubis. Sie bietet einen Standortvorteil. Die Region Schweinfurt sollte sich nicht von den Ballungszentren abhängen lassen. Die Möglichkeit einer Reaktivierung darf nicht ungenutzt verstreichen.
Christian Loos: Die Bahn ist in Zeiten des Fachkräftemangels ein starker Faktor. Sie ist auch attraktiv in Zeiten des zunehmenden Wandertourismus. Im Zug kann der Fahrgast hinterher auch mal einen Schoppen oder ein Bierchen konsumieren.
Beate Glotzmann (CSU-Kreisrätin und Tourist-Info-Leiterin in Gerolzhofen): Wenn die Bahn kommt, dann muss der Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) neben Haßfurt, Bamberg und Kitzingen auch in den Landkreis Schweinfurt und auf die Steigerwaldbahn ausgedehnt werden.
Ewald Vögler: Er hat noch von keiner Firma gehört, die ihren Standort von einem Bahnanschluss abhängig gemacht hat. Die Bahn verbraucht außerdem viel Fläche und hat hohe Fixkosten.
Peter Roßkothen (Gutachter von Kobra, auf eine Frage von Gerlinde Stier, Bürgermeisterin Kleinlangheim, ob die Strecke bei unter 1000 Reisendenkilometern zwischen Gerolzhofen und Kitzingen überhaupt reaktiviert werden kann): Auf der gesamten Strecke liegen die Reisendenkilometer über den geforderten 1000, also könnte sie reaktiviert werden. Allerdings gebe es im Südteil noch ungeklärte Punkte wie den Übergang über den Main zur Strecke Würzburg-Nürnberg.
Hartmut Bräuer (SPD-Kreisrat): Aus der Not heraus haben Gemeinden alles unternommen, um einen halbwegs guten ÖPNV hinzubekommen. Jetzt muss der Kreis das Bahn-Gutachten der BEG einfordern.
Kosten und Finanzierung
Ewald Vögler: Eine Subvention für diesen Streckenausbau ist ein Rückschritt.
Rolf Frimberger: Im Falle einer Reaktivierung blieben für Busunternehmer nur noch kurze Fahrten. Das würde nicht mehr eigenwirtschaftlich machbar sein, also den Landkreis Geld kosten. Für die Unternehmer könnte das existenziell bedrohlich werden.
Jürgen Bode: Nach der zwölf- und mehrjährigen Bestellgarantie hat es für reaktivierte Strecken immer eine Verlängerung dieser Garantie gegeben. An den Kreistag geht die Bitte, die Vorarbeiten für eine BEG-Studie zu leisten. Jetzt gilt es Partikularinterssen hinter die Interessen eines zukunftsträchtigen Schweinfurter Landes zurückzustellen.
Christian Loos: In Straßen wird viel mehr investiert als in die Schiene. Durch den Straßenverkehr werden kommunale Haushalte viel defizitärer als durch den ÖPNV.
Beate Glotzmann gelang es am Ende nicht, Landrat Florian Töpper zu seiner Haltung pro oder kontra Bahn zu bewegen. Töpper sagte lediglich, es gehe nun um "die Vorbereitung von Beschlüssen in diesem Haus." Bei einer Abstimmung der noch im Saal verbliebenen Konferenzteilnehmer zeichnete sich ein Patt ab. Auch die Zuhörer konnten Fragen und Meinungen zum Thema aufschreiben. Sie deckten sich weitgehend mit denen in der Diskussion.
Die Konferenz moderierte Dorte Meyer-Marquart vom Büro für Umwelt- und Regionalentwicklung in Obernburg auf sehr professionelle Weise.
Herr Wozniak ist der einzige Bürgermeister, der zukunftsorientiert und visionär denken kann. Die anderen Bürgermeister denken viel zu klein & kurzsichtig. Zu den SWer Vororten ein weiterer Grund, die Eingemeindungen endlich nachzuholen! Die Bürgermeisterin von Gochsheim sagte mir: "Wir sind ländlicher Raum", entsprechend sind auch ihre Ansichten. Sennfeld & Gochsheim müssen mit SW Stadtentwicklung betreiben, wozu Dörfer natürlich überfordert sind. Dasselbe bei Niederwerrn und Geldersheim mit den Conn Barracks: seit sieben(!) Jahren ist der US-Abzug bekannt und nichts hat sich seitdem getan, i. Ggs. zu SW, wo das erste Gebäude des i-Campus bereits steht.
Einen Vorwurf kann man aber nicht den überforderten Gemeinden machen und dem überforderten LA (siehe Steigerwaldbahn), sondern dem Freistaat, dass er die zwingend nötigen Eingemeindungen nicht schon längst nachgeholt hat. Jedes Jahr bringt sonst weiteren Schaden.
# Grettstadt ist in Wirklichkeit gar keine Stadt
# das Autoparadies EZB ist schon lange Geschichte, nur eine Bushaltestelle erinnert noch daran
# kein Auto haben heißt nicht, dass man gleich verhungern würde
# es gibt sogar Firmen die ÖPNV-Haltestellen fordern und ko-finanzieren
Aber hallo, Herr Vögler: Wenn Sie sich im Internet umsehen, finden Sie zahlreiche Berichte über erfolgreiche Reaktivierungen von Eisenbahnstrecken, zum Teil solche, die weitaus länger als die Gerolzhöfer stilllagen. Erfolgsmodell ist die Bahnlinie Senden - Weißenhorn unweit von Ulm. Hier werden stteigende Fahrgastzahlen registriert, und Weißenhorn hat mit seinem Umfeld in etwa die Größe von Gerolzhofen.
Die zunehmende Belastung mit Individualverkehr ist nicht mehr "zeitgemäß", um bei Ihrem Vokabular zu bleiben. Wir können es uns nicht mehr erlauben, noch mehr Flächen dem Straßenbau zu opfern. Hinzu kommen die Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Grettstadt mag noch eine "gute" Luft haben - in den Zentren (auch schon Schweinfurt!) sieht es anders aus. Hier ist gegenseitige Rücksichtnahme gefordert und kein Kirchturmdenken.
Die Bürgermeister sollten sich ihren Kollegen Wozniak aus Gerolzhofen zum Vorbild nehmen, das einzige Ortsoberhaupt der Region seit Gudrun Grieser mit Visionen. Ohne die gibt es keine Orts-, Landkreis- oder Verkehrsentwicklung, sondern nur Flickwerk.
Bei Salzburg wurde eine Nebenbahn unumkehrbar stillgelegt, was man heute bereut, da in diesem Bereich die Stadt- und Umlandentwicklung völlig verfahren ist und man nicht mehr aus dem Dilemma herauskommt.
Fakt ist: sollte es zu einer Reaktivierung der Strecke kommen, geht die Bayerische Eisenbahngesellschaft von einer Geschwindigkeit von 80 km/h aus. Bahnübergänge müssen dann zwingend mit mechanischen Einrichtungen (= Schranken) gesichert werden. Zuständig für die Bedienung ist hier die Fahrdienstleitung im nächsten Stellwerk, wohl Schweinfurt-Hbf.
Es gibt eine preisgünstige Alternative: so genannte Anrufschranken. Die bleiben ständig geschlossen. Wenn jemand hier die Gleise überqueren will, muss sich über eine Sprechanlage an die Fahrdienstleitung wenden. Nur für die Dauer der Überquerung wird die Schranke geöffnet. Wie so etwas funktioniert, zeigt eine derartige Einrichtung an der stark befahrenen Strecke Richtung Würzburg bei Oberndorf.
Bevor die Bürgermeister der Anrainergemeinden weiter laut gegen die Reaktivierung tönen: erst einmal informieren. Aber richtig.
Wie klein ist das gedacht. In einem Verkehrsverbund bildet die Schiene Hauptachsen und die Busse Querachsen, die sehr lang sein können. Beide profitieren voneinander.
Es scheint, mehrere Diskussionsteilnehmer kennen keine (großstädtischen) Verkehrsverbünde. Man denkt viel zu provinziell im Raum SW. Junge Leute stellen heute weit höhere Anforderungen an den ÖPNV am Wohnort.
Zitat: "Beate Glotzmann gelang es am Ende nicht, Landrat Florian Töpper zu seiner Haltung pro oder kontra Bahn zu bewegen."
Weil er es allen (Wählern) Recht machen will. Ein Landrat sollte aber eine Vision haben - ohne eigene Vision geht nichts. Plato: "Wenn du willst, dass eine Sache schief läuft, frage viele Leute" oder "Viele Köche verderben den Brei".
Bürger sollten v.a. nicht vergessen, dass das Einsparen von 2. und 3. Autos den eigenen Haushalt oft weit mehr entlastet als der vermeintlich so teure ÖPNV kostet.