Die bayerischen Karikaturen sind etwas einfacher gehalten“, sagt Karin Rhein und meint es gar nicht böse. Karin Rhein ist Berlinerin und seit sechseinhalb Jahren Kuratorin für Grafik am Schweinfurter Museum Georg Schäfer. Gemeinsam mit Wolf Eiermann, dem neuen Leiter, hat sie dessen Idee umgesetzt, einen ersten Blick auf den reichen Bestand an Karikatur-Zeichnungen zu werfen, die seit einer Zustiftung aus dem Jahr 2005 Teil der Sammlung sind.
Das Ergebnis, die Ausstellung „Die Drahtseilkünstlerin Germania – 100 deutsche Karikaturen, Vorzeichnungen und Druckgrafik“, ist bis 6. März zu sehen. Sie umfasst 100 Jahre Satire-Geschichte von 1840 bis 1940 mit Ausreißern in die Gegenwart: ein Titelblatt von Charlie Hebdo, erschienen kurz nach dem Attentat, und zwei griechische Karikaturen, die Merkel und Schäuble in die Nazi-Ecke stellen.
Womit bereits eine zentrale Frage benannt ist, die die Ausstellung stellt und bewusst nicht beantwortet: Darf Karikatur alles? Wolf Eiermann glaubt, dass sich mit dem Internet ein wesentlicher Parameter verändert hat: Früher richtete sich Karikatur immer an ein klar definiertes Zielpublikum. Der Betrachter musste die verwendeten Chiffren und Symbole – etwa preußischer Reichsadler oder englische Bulldogge – kennen und verstehen. Heute sei das anders, sagt Eiermann im Interview: „Ich persönlich bin der Meinung, dass uns die Karikatur aktuell nicht nur die Frage nach der Meinungsfreiheit stellt, diese Frage gibt es von Anfang an. Sondern Karikatur scheint im Moment etwas zu sein, was unsere Gesellschaft an die Grenzen bringt. Sie hat nicht bemerkt, dass wir inzwischen globalisiert sind. Eine Karikatur, die in Dänemark oder Paris erscheint, geht innerhalb von drei Sekunden um die ganze Welt. Das heißt: Das Zielpublikum ist ein anderes.“
So finden die geplagten Griechen angesichts immer neuer Sparforderungen die Internet-Montage von Angela Merkel mit Hitler-Bärtchen ja möglicherweise ganz lustig. Oder einen Wolfgang Schäuble in Wehrmachtsuniform, der in der Parteizeitung von Syriza sagt: „Die Verhandlung hat begonnen: Wir bestehen darauf, Seife aus eurem Fett zu machen ... wir diskutieren nur über Düngemittel aus eurer Asche.“ Aus deutscher Sicht wirken derlei Verknüpfungen bestenfalls geschmacklos. So hat, was selten vorkommt, Schäubles Sprecher die Syriza-Karikatur fünf Tage nach deren Erscheingen am 8. Februar „aufs Schärfste“ verurteilt.
Tatsächlich muss Karikatur an die Grenze gehen, um ihren Zweck zu erfüllen. Zumindest, wenn es darum geht, Missstände zu entlarven. Zwischen Biedermeier (ein Name, den übrigens die 1844 gegründete Satirezeitung „Fliegende Blätter“ geprägt hat) und Nationalsozialismus tun das eine Fülle von Publikaktionen für jede Schicht und jeden Geschmack.
Deren bekannteste ist sicherlich der „Simplicissimus“, gegründet 1895 von Albert Langen als „Kunst- und Kampfblatt Deutschlands“. Das Zielpublikum: „für alle Freunde und Feinde einer feinen Denkungsart“. Die Publikation mit der roten Bulldogge als Wappentier schlägt sofort ein, beim Publikum wie bei der Obrigkeit: Schon im ersten Jahr werden drei Hefte verboten.
Für den Aspekt Kunst ist der geniale Zeichner Olaf Gulbransson zuständig, dem in der Ausstellung eine ganze Wand gewidmet ist. Langen hat ihn extra aus Norwegen nach München geholt. Gulbransson selbst nennt sein künstlerisches Vorgehen „die Wurzel aus einem Gesicht ziehen“. Für jedes seiner Objekte findet er frappierend schlüssige Formen. Den Maler und Bildhauer Max Klinger, bekannt für ausladende symbolträchtige Tableaus, zeigt er mit Hahnenkamm, den menschlich eher schwierigen Komponisten Richard Strauss als schüchternen, wortwörtlich kleinkarierten Kleinbürger.
Gulbransson kann in seiner Treffsicherheit hochpolitisch sein. Das Blatt „Kaisermanöver“ von 1909 zeigt einen trotzig-zackigen Wilhelm II. mit irgendwie zu großer Pickelhaube und einen krummen, bauchigen Bayernprinzen: „Seine Majestät erklären dem Prinzen Ludwig von Bayern die feindlichen Stellungen.“ Prophetisch, wenn man an das unmittelbar bevorstehende Desaster denkt.
Für den Aspekt Kampf sind beim Simplicissimus Zeichner wie Thomas Theodor Heine zuständig. Sein Germania-Cover, das der Ausstellung den Titel gab, wirkt verglichen mit anderen Arbeiten beinahe harmlos, auch wenn es ein heikles Thema aufgreift: die deutsche Besetzung der Bucht von Kiautschou und des Hafens von Tsingtau an der chinesischen Ostküste 1897. Das kaiserliche Kunststück dabei: den kriegerischen Akt als Zeichen der deutsch-chinesischen Freundschaft umetikettieren.
Bei Heine balanciert Germania also zwischen deutschem Zollhäuschen und chinesischer Pagode über einer Bucht voller Kriegsschiffe. Der preußische Adler legt derweil ein Ei, der bayerische Löwe wendet sich mit eingezogenem Schwanz ab. Ein Soldat hat die Flinte schon bereit, für den Fall, dass Germania vom Seil fällt, während der deutsche Michel selbstgerecht und unbeteiligt sein Spitzweg-Pfeifchen raucht.
Ein weiterer spannender Aspekt – möglich geworden durch 40 Leihgaben aus Privatbesitz – ist die Zusammenführung von Vorzeichnung und gedruckter Version. Hier ist nachzuvollziehen, wie der Autor für die endgültige Fassung nochmals seine Aussage schärft.
Heine kann auch sarkastischer: In der Reihe „Durchs dunkelste Deutschland“ etwa lobt er, dass in preußischen Fürsorgeanstalten der Gesundheit der Zöglinge zuliebe die täglichen Züchtigungen im Freien stattfinden. Und zeigt dazu, wie nackte, an Bäume gefesselte Kinder ausgepeitscht werden.
Oder er zeigt 1910 unter dem Titel „Nach der Massendemonstration“ eine leere Straßenecke, auf dem Boden eine Puppe und ein Hut. Auf Gehsteig und Hauswand ein großer roter Fleck. Darunter steht: „Nur dem taktvollen und besonnenen Eingreifen der Polizei ist es zu danken, daß die Ruhe nicht gestört wurde.“
Das miefig restriktive Kaiserreich bietet reichlich Stoff, ebenso wie die Jahre der Wirtschaftskrise. Paul Thesing, Käthe Kollwitz oder Heinrich Zille suchen das untere Ende der sozialen Skala auf, letzterer mit gewohntem Witz. So rät der Strolch in der Berliner Kneipe Kindern, die gerade ihre Schularbeiten machen: „Kinder, lernt blos nischt, sonst müset ihr arbeeten!“ Thesings Tuschezeichnungen zum aufkommenden Nationalsozialismus sind Kunstwerke von expressionistischer Kraft: „Auf der Welle der sozialen Not“ von 1931 zeigt Hitler und Goebbels als Spitze einer alles überrollenden schmutzig-schwarzen Woge.
Dass Karikatur nicht immer politisch sein muss, zeigen unter anderem die eingangs erwähnten Motive aus Bayern (übrigens nicht von Preußen gezeichnet), die sich dem Reichtum bajuwarischen Brauchtums widmen. Mit dem Toni, der über den Winter zu fett zum Fensterln geworden ist. Oder der Wallfahrergruppe, die ramponiert aus Andechs heimkehrt und sich vornimmt, das nächste Mal ein gusseisernes Kruzifix mitzunehmen. Das hölzerne ist bei der Schlägerei nämlich zu Bruch gegangen.
Museum Georg Schäfer: „Die Drahtseilkünstlerin Germania – 100 deutsche Karikaturen, Vorzeichnungen und Druckgrafik“, bis 6. März. Erster Weihnachtsfeiertag 14–18, zweiter 10–17 Uhr. Zur Ausstellung ist eine Broschüre für 6 Euro erschienen.