Wir wissen nicht, ob es eine Liste legendär langer Stadtratssitzungen gibt, aber die gemeinsame Sitzung von Bau- und Umwelt und Haupt- und Finanzausschuss am Dienstag könnte auf einer solchen einen der vorderen Plätze belegen. Sieben Stunden, zwanzig Minuten, das ist recht ordentlich.
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Netterweise hatte das Rathaus Teilchen (süß und salzig), Kaffee und Kaltgetränke bereitgestellt, was, so ein erfahrener Stadtrat, nicht unbedingt die Regel ist. Zudem war der Saal aufs Angenehmste klimatisiert. Beides womöglich ein Fehler: In einem überhitzten Saal, den Verdurstungstod vor Augen, hätte der ein oder andere Straßenbauexperte unter den Stadträten seine Koreferate vielleicht etwas knapper gehalten.
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Um 12.04 Uhr, vier Stunden nach Eröffnung der Sitzung, postete SPD-Stadtrat Ralf Hofmann einen verzweifelten Hilferuf auf Facebook: „Oh du schönes Ehrenamt. [Smile-Emoticon] Seit 8 Uhr im Stadtrat und aktuell bei Tagesordnungspunkt 5 – von 31.
“ Abzuarbeiten war in der Tat eine stattliche Liste durchaus wichtiger Themen, allein die Öffnung oder Nichtöffnung der Heeresstraße zum Beispiel soll ja die ganze Stadt in Atem halten.
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Interessanterweise scheint der Oberbürgermeister derzeit mehr Freunde in der Opposition zu haben als in der eigenen Partei. Jedenfalls bläst ihm und seinen Referenten der Wind vor allem aus der Mitte des Saals entgegen, wo die CSU sitzt. So war es CSU-Mann Rüdiger Köhler, der sich ein ums andere Mal genötigt sah, Kollegen wie Referenten über Dinge zu belehren, die ja wohl jedem Kind einleuchten müssten. Über den Baureferenten Ralf Brettin musste er sich gar richtig wundern, weil der die Unverfrorenheit besessen hatte, auf die skandalöse Tatsache hinzuweisen, dass für das Areal Kessler Field/Yorktown Village ein rechtsgültiger Bebauungsplan existiert.
Nun empfiehlt aber das neue Integrierte Städtebauliche Entwicklungskonzept, das auf die hübsche Abkürzung ISEK hört, ausdrücklich keine Wohnbebauung im Bereich Yorktown Village. Dass da 34 Doppelhäuer stehen, die offenbar auch noch in ordentlichem Zustand sind, ist jetzt halt blöd. Das Areal kaufen und dann die Häuser wegreißen, käme wohl nicht besonders gut an. Wer wollte es Rüdiger Köhler also verdenken, dass er sauer auf den Baureferenten wurde, als der, ein feines Lächeln auf den Lippen, von einer „normativen Kraft des Bestehenden“ sprach.
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Der Satz von der „Normativen Kraft des Faktischen“ geht übrigens auf einen Burschen namens Georg Jellinek (1851–1911) zurück. Er bedeutet im Wesentlichen, dass sich die Rechtsordnung mit Phänomenen wie einer Revolution einfach abfinden muss. Anders gesagt: Wenn's ist, wie's ist, kann man halt nix machen. Sowas hört kein Stadtrat gern.
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Ach ja, was denn am Dienstag alles beschlossen wurde? Man nahm das ISEK zur Kenntnis, lehnte die Heeresstraße als Geschenk dankend ab, vertagte die Entscheidung zu Yorktown Village und winkte ein paar Empfehlungen zum Thema Kultur durch. Sowas kann schon mal gut sieben Stunden dauern.