Ist Hermann Hesse out? War es ein allzu mutiges Unterfangen der a-gon Tourneeproduktion, Hermann Hesses (1877-1962) Erzählung "Siddhartha" von 1922 als Musical auf die Bühne zu bringen? Sicher nicht. Das Publikum der zweimaligen Aufführung im Gemeindehaus honorierte diese Münchner Neuproduktion jedenfalls mit großem Applaus, Bravorufen und stehenden Ovationen.
Autor und Regisseur Stefan Zimmermann zeigt mit seinem Team aus Wolfgang Böhmer (Komposition), Carsten Golbeck (Liedtexte) und Chris Bihlmaier (Band), dass es sich bei Siddhartha nicht nur um ein ganz populäres Buch der Gegenkultur der 60er- und 70er-Jahre (Woodstock, Flower-Power-Bewegung) handelt, sondern dass sich jede Generation aufs Neue mit dem Roman identifizieren kann: mit Siddharthas Sehnsucht nach Sinngebung, nach Frieden und Liebe. Und ihn begleiten kann auf seiner Reise zum Selbst und seiner Suche nach dem eigenen Platz in der Welt.
Hesses Roman spielt im 6. Jahrhundert vor Christus in Indien. Der junge Fürstensohn Siddhartha begibt sich mit seinem Freund Govinda auf die Suche nach Erkenntnis und Erleuchtung. Sie verlassen ihr Elternhaus und leben mit Bettelmönchen in Askese ("Chor der Mönche"). Doch das bringt Siddhartha nicht weiter: Während sich sein Freund dem Buddha Gautama anschließt, zieht es ihn in die Welt, um sie in all ihren Facetten kennenzulernen.
Reichen Lust und Reichtum?
Siddhartha begegnet der Kurtisane Kamala, die ihn in die Kunst der Liebe einführt. Später wird er Angestellter des reichen Kaufmanns Kamaswami, lebt bald in Erfolg und Luxus. Doch er erkennt, dass weder Lust noch Reichtum ihn erfüllen. Sein Retter wird der Fährmann Vasudeva, der ihm entscheidende Impulse gibt, damit die Erkenntnis reifen kann: "Weisheit kann nicht gelehrt werden, man kann sie nur durch persönliche Erfahrung erlangen."
Zu der stimmigen Konzeption der Neuproduktion passt auch die gelungene Auswahl der Darstellerinnen und Darsteller: Alexander Bambach spielt die Titelrolle mit jugendlichem Elan, der immer wieder von nachdenklichem Innehalten unterbrochen wird. Ingo Brosch gibt dem Vater Siddharthas und dem älter gewordenen Suchenden mit Stimme und Gestalt großartige Würde und Glaubwürdigkeit.
Simone Werner ist die verführerische Kurtisane, die dem Jüngling unter roter Seide neue Erkenntnisse vermittelt (Song "Kamalas Spiel"). Doch da ist noch mehr: Sie ist fasziniert von seiner tiefen Spiritualität, in der sie ihr eigenes Suchen nach Wahrheit erkennt. Bewegend gestaltet die Schauspielerin nach einem späteren Wiedersehen ihre Sterbeszene ("In deinen Augen").
Markus Schöttl spielt den lebenslangen Freund Govinda voller Treue, Toleranz und Verständnis. Stepan Karelin als selbstbewusster Kaufmann ("Die Kaufmannskunst") und Norbert Heckner als Fährmann ("Höre dem Fluss zu") sind weitere wichtige Begegnungen auf Siddharthas Weg zur Erkenntnis. Und Olivia Tobari gibt der Freundin von Siddharthas Sohn unbekümmerte Lebendigkeit. Zusätzliche Tiefe erhält das Stück durch Hermann Hesses Gedicht "Stufen", das in vielen Zitaten und im Song "Stufen" das Leben eines jeden einzelnen Menschen offenbart.