Der erste Kontakt ergab sich zufällig nach einem Termin in der Nachbarschaft. Der erste Eindruck blieb und bestätigte sich am ersten Freitag im April, am ersten Tag des Monats, also am Zahltag.
Ich wollte im Januar nur fragen, was dran ist an dem Gerücht, wonach die Armenspeisung im Maria-Theresia-Heim schließt. Nein, sie bleibt offen, werde mehr denn je gebraucht, hatte damals Schwester Simone gesagt, die mir, der ich am Nachmittag zur Zeit der Brotzeitausgabe nachfragte, ein Lunchpaket in die Hände drücken wollte – einfach so, ohne jede Nachfrage, dafür mit Herzlichkeit.
22 Tage geschlossen - und die Gerüchte kochten hoch
Zwei Gründe für das Gerücht waren schnell ausgemacht: Die Schwestern Caritas und Chiara übergaben gerade die Maria-Theresia-Stube an die Schwestern Simone und Ludgera. Und weil die Vesperkirche in St. Johannis geöffnet hatte, blieb die Stube 22 Tage im Januar und Februar am Mittag geschlossen.
Zwei Monate später, am 1. April, komme ich um 10 Uhr. Die beiden Schwestern der Kongregation der Schwestern des Erlösers (die Ordensgemeinschaft wurde 1849 von Elisabeth Eppinger in Niederbronn im Elsaß gegründet und breitete sich rasch aus, auch im unterfränkischen Raum, wo eine selbstständige Kongregation in Würzburg entstand) begrüßen mich und führen mich in die Küche, wo sie die Brotzeit richten, die die Mittagsgäste für den Abend mitnehmen werden. Beim Schmieren der Brote hilft – wie so oft – die 88-jährige Schwester Williberta.
In der Maria-Theresia-Stube kommt Schwester Lydia, die Oberin, zur kleinen wie auch kurzen Gesprächsrunde dazu. Die Frauen freuen sich, dass vor einigen Jahren endlich ein Saal für die traditionelle Armenspeisung im Maria-Theresia-Heim gefunden wurde. Seither wird um 10.30 Uhr aufgeschlossen. Die frühen Gäste bekommen Kaffee und Tee, ehe eine Stunde später Suppe, Matjes und Nudelsalat verteilt werden wird.
35 Sitzplätze gibt es, oft sind sie alle besetzt
35 Sitzplätze hat die Stube. „Oft sind wir voll besetzt“, sagen die Schwestern, die am Zahltag mit einem vergleichsweise mauen Besuch rechnen. Mehr als 20 Personen sollten es dann an diesem 1. April auch nicht werden. Die Gäste kommen aus fast allen Altersstufen. Nur die Jugend macht sich rar. Gleiches gelte für die Kundschaft am Nachmittag, die sich eine Vesper zwischen 16 und 16.30 Uhr abholen kann.
„Es gibt Gutes und ein Lächeln dazu“, zitiert Schwester Simone
einen Gast, der „das für uns schönste Lob“ ausgesprochen habe, denn ein solches Wirken sei die ureigene Aufgabe der Kongregation, die sich der Armen und Bedürftigen annehme. Dass es stets „Gutes“ gibt, liegt nicht zuletzt an der Küche des St. Josef Krankenhauses, die täglich frisch und extra für die Stube kocht. Die Kosten – auch für die Brotzeiten – übernimmt die Kongregation.
Der erste Gast kann um 10.30 Uhr kommen
Um 10.30 Uhr ist von Montag mit Freitag aufgeschlossen. Simone und Ludgera gehen zurück in die Küche, in der sie seit 8 Uhr standen und bis 14 Uhr zu tun haben. Erst wenn alles geputzt ist, bleibt Zeit für die Pause, ehe ab 15.30 Uhr erneut Brote zu schmieren sind.
Zwei Minuten nach Öffnung ist der erste Stammgast da, der gerne über die große Gastfreundschaft der Schwestern spricht – von einer Freundschaft, die nicht nachfragt, die sich kümmert, wenn man es will, die guttue.
Die Schwestern sagen über ihre Gäste, dass vielen in der Kindheit oder der Jugend die Chance auf Selbstständigkeit nicht geboten worden sei, etwa dem Mann, der sich in der letzten Woche nach zwei Tagen auf ein erstes warmes Essen gefreut habe, oder jener, der sechs Wochen lang im Gebüsch geschlafen habe, weil er Angst vor einem streitbaren Mitbewohner in seiner Unterkunft hat.
Über 40 Jahre hat er gearbeitet, heute lebt er von Hartz IV
Unaufgefordert erzählt der Mann am Fenster von seinem vierten Schlaganfall, von „vielen Faulenzern“, die sich auf Hartz IV ausruhen würden, die nicht – wie er – über 40 Jahre gearbeitet hätten und nun mit 645 Euro im Monat auskommen müssten.
Nach Abzug von 300 Euro für die Wohnung und dem Abschlag für Strom bleibe nicht viel übrig. Zigaretten könne er sich nicht leisten, Tabak schon, den er mit den Resten aus den Hülsen weggeworfener Kippen streckt.
Dem Mann neben ihm ist die Waschmaschine kaputt gegangen. Die beiden halten Lagebesprechung, während weitere Neuankömmlinge sich Tee und Kaffee einschenken und auf ihre Handys starren.
Der Saal füllt sich, doch es bleibt ruhig und so bekommt jeder mit, wie eine Frau über ihren Hausarzt schimpft, weil der sie mit Antibiotika abgespeist und die dringend notwendige Blutuntersuchung verschoben habe. Die Schwestern sprechen mit der Frau, die kurze Zeit später von einem weiteren Termin erzählt, der sowieso nichts bringe.
Essen, Gespräche und Hilfe
Einer, der sich „aus der Bellevue (Obdachlosenunterkunft) herausgekämpft hat“, fragt die Schwestern, ob er helfen kann, ein anderer meldet sich ab, weil er drei Tage auf Therapie geht. Ein Pärchen hat einen ganzen Sack voller Probleme mitgebracht. Bei den Lösungen sollen Bekannte helfen, obwohl die auch nur Stress machen würden.
Wie an jedem Montag, Mittwoch und Freitag fragt Simone zehn Minuten vor der Essensausgabe, ob die „Minute der Stille“ gewünscht ist. Die Zustimmung kommt spontan. Der Mann am Fenster hat darauf schon gewartet.
Aus der Konserve spielt Musik – Altblockflöte mit Begleitung. Sofort tritt Ruhe ein. Manche schließen die Augen, die Stirn wird gehalten, das Gesicht in den Händen vergraben, die Augen auf einen Punkt auf dem Tisch fixiert. Als aus dem Lautsprecher die Stimme von Oswald Sattler ertönt, singen zwei Gäste beim Vaterunser mit, lautlos formen einige Lippen die Worte des Gebetes.
Nach der Stärkung für die Seele gibt es dann die Stärkung für den Körper und Simone wünscht: „Ganz guten Appetit.“