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Schweinfurt
Wirte, Zaren und Barbaren: Schweinfurter Wirtshausgeschichten
Wirtshausgeschichten Ein Wirt, der Gäste ohrfeigte, die ihm politisch nicht passten, ein Zar, der mit dem Pferd ein Treppenhaus hochritt, ein König, der einfach mal den Bürgermeister einbuchtete – in der Schweinfurter Gastronomie war immer was los.
Brauhaus am Markt, Alte Stadtansichten, Gasthäuser in Schweinfurt, historisch, Schweinfurtführer.de, Peter Hofmann
Foto: Schweinfurtführer.de | Brauhaus am Markt, Alte Stadtansichten, Gasthäuser in Schweinfurt, historisch, Schweinfurtführer.de, Peter Hofmann
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:44 Uhr

Natürlich sind es die Wirtshäuser, um die sich die deftigsten Geschichten der Schweinfurter Geschichte ranken – der Lokalgeschichte wie der Weltgeschichte. Hier kamen Menschen aller Schichten zusammen, hier wurde gesoffen, gefeiert und gestritten, hier wurden Geschäfte gemacht und Intrigen gesponnen, hier wurden Revolutionen angezettelt und Ehen begründet. Möglicherweise ging hier allerdings auch die ein oder andere Ehe zu Bruch.

Wer an der Gästeführung „Schweinfurter Wirtshausgeschichten“ mit Martina Barth teilnimmt, der erfährt einen Haufen solcher Geschichten. Martina Barth führt auch als freche Magd Minna durch die Stadt, sie ist als sie selbst ebenso wenig auf den Mund gefallen.

Wobei die These, dass in Schweinfurt die Event-Gastronomie erfunden wurde, erst einmal widerlegt werden müsste. 1840 war das, im Gasthof Zum Stern in der Nähe des Obertors. Die Idee hatte vermutlich Susanne Magdalene – Frau des Wirts Georg Josua Schwanhäuser und Mutter von zehn Kindern. Die Frage lautete: Wie bekomme ich möglichst viele Leute gleichzeitig satt. Die Wirtin ließ ein paar Böcke und Bretter herbeischaffen, auf die direkt das frisch geschlachtete und gekochte Schwein gekippt wurde.

Die Schweinfurter Schlachtschüssel war erfunden. „Wir stehen auf historischem Boden“, sagt Martina Barth. Gustav Adam, ein Sohn von Susanne und Josua Schwanhäuser, ging übrigens nach Nürnberg und kaufte eine Bleistiftfabrik. Die Marke Schwan Stabilo existiert heute noch. Wie übrigens auch der Pharma- und Chemiekonzern Merck und das Bankhaus Merck, Finck & Co. – beide gegründet von Nachfahren des Johann Merck, eines Exulanten, also von katholischem Gebiet vertriebenen Protestanten, der sich in Schweinfurt niederließ und 1611 das Gasthaus Zum Schwarzen Bären am Markt übernahm. Johann Merck hatte ein Händchen für Geld, weswegen er das Gasthaus bald seinem Schwiegersohn überließ.

Gasthof zum Löwen, Albrecht-Dürer-Platz, Alte Stadtansichten, Gasthäuser in Schweinfurt, historisch, Schweinfurtführer.de, Peter Hofmann
Foto: Schweinfurtführer.de | Gasthof zum Löwen, Albrecht-Dürer-Platz, Alte Stadtansichten, Gasthäuser in Schweinfurt, historisch, Schweinfurtführer.de, Peter Hofmann

Ihre beste Zeit hatte die Schlachtschüssel an der Wende zum 20. Jahrhundert. Da gab es den Spruch: „Schau amal ins Tachblatt nei, zwee ganze Seite sind voll Säu.“ Aber auch heute noch ist das für Auswärtige gewöhnungsbedürftige Mahl populär. 1991 fand die bislang größte Schlachtschüssel statt: Zur 1200-Jahrfeier der Stadt verspeisten mehr als 1200 Esser 24 Schweine.

Über die Wirtshauskultur in Schweinfurt vor 1554 weiß man nicht sehr viel – am 13. Juni dieses Jahres wurde die Stadt im Markgräfler Krieg geplündert und in Brand gesetzt. Das Feuer wütete neun Tage lang und vernichtete fast alle Gebäude und damit auch Chroniken – das so genannte Zweite Stadtverderben. Klar ist aber, dass Schweinfurt, an wichtigen Handelsrouten gelegen, schon immer Gäste aufnahm – Durchreisende oder Anbieter auf dem Schweinfurter Markt. Klar ist auch, dass Reisen lange Zeit kein Vergnügen war – man vermied es, wenn man irgend konnte. Martina Barth weist auf die Wortverwandtschaft zwischen dem englischen travel (Reisen) und dem französischen travail (Arbeit) hin. Und auf die indogermanische Herkunft des Worts Gast: unerwarteter und unwillkommender Fremdling.

Tatsächlich stieg in Schweinfurt, wer wirklich wichtig war, bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts in Privathäusern ab. Zum Beispiel im prächtigen Renaissancebau am oberen Ende des Markts, dort, wo heute das Brauhauses steht. Eine Gaststätte gibt es hier erst seit 1858.

Brückenstraße, Links "Zum Goldenen Anker", Alte Stadtansichten, Gasthäuser in Schweinfurt, historisch, Schweinfurtführer.de, Peter Hofmann
Foto: Schweinfurtführer.de | Brückenstraße, Links "Zum Goldenen Anker", Alte Stadtansichten, Gasthäuser in Schweinfurt, historisch, Schweinfurtführer.de, Peter Hofmann

Gebaut hatte das ursprüngliche Haus ein Herr Schopper. Besonders im Dreißigjährigen Krieg quartierten sich hier – je nach Verlauf des Kriegs – kaiserliche oder schwedische Würdenträger ein. 1625 Wallenstein etwa. Oder ein Graf Götze, der sich so danebenbenahm, dass es selbst seinen Vorgesetzten zu viel wurde. Freilich kamen diese Leute – ob Kaiserliche oder Schweden – nicht als zahlende Gäste. Man erwartete, untergebracht, verköstigt und bezahlt zu werden und benahm sich nicht selten barbarisch. Jener Graf Götze etwa verlangte monatlich 4000 Gulden für sich und seine Leute. Ein Schulmeister bekam damals 50 Gulden im Jahr. „Unter den Schweden ging es den Schweinfurtern aber besser“, sagt Martina Barth. Schweinfurt war die protestantische Insel im katholischen Mainfranken und musste unterstützt werden. Nach der Besatzung hatte Schweinfurt jedenfalls 27 000 Gulden Schulden.

Nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 war Zar Alexander hier, um seinen Bruder zu treffen. Seine Kosaken lagerten am Obertor, wo es heute noch einen Kosakenweg gibt. Alexander gefiel das Treppenhaus im Haus am Markt so gut, dass er es mit seinem Pferd hochritt. Zwölf Jahre später war König Ludwig I. von Bayern da – er war nach Schweinfurt gekommen, um die Sattlerschen Fabriken zu besichtigen. „Er hat sich vermutlich etwas besser aufgeführt als die anderen“, sagt Martina Barth.

König Gustav II. Adolf von Schweden nächtigte in seinem Todesjahr 1632 zweimal in Schweinfurt, ebenfalls in einem Privathaus am Markt. „Er hat viel für Schweinfurt getan“, sagt die Führerin, „allerdings hat er sich auch als Despot gezeigt, als er ohne jeden Grund den Bürgermeister ins Gefängnis werfen ließ.“ Und dann gibt es noch die unzähligen Geschichten der weniger bedeutenden Leute. Von der Wirtin, die ihrer Tochter außerehelichen Geschlechtsverkehr erlaubte, angezeigt und verurteilt wurde.

Vom Glaser Nikl, dem Wirt der Sonne in der Brückenstraße, der um 1848 so revolutionär gesinnt und gegen die Obrigkeit eingestellt war, dass er einen Gast ohrfeigte, weil der einen Stadtkommandanten gegrüßt hatte.

Hier stand das Gasthaus zum Raben: Martina Barth zeigt ein historisches Foto an historischem Ort. Überdauert haben nur die Arkaden des Hauses am Markt.
Foto: MArtina Müller | Hier stand das Gasthaus zum Raben: Martina Barth zeigt ein historisches Foto an historischem Ort. Überdauert haben nur die Arkaden des Hauses am Markt.

Vom Wirt der Krone am Albrecht-Dürer-Platz, dem wichtigsten Vereinslokal der Stadt. Hier wurde 1833 der Liederkranz gegründet. Der Wirt jedenfalls war nicht ganz so honorig. Er soll an so vielen Betrügereien beteiligt gewesen sein, dass sich fünf seiner geprellten Geschäftspartner das Leben nahmen und ebensoviele den Verstand verloren. Der Mann landete schließlich im Zuchthaus. Oder die Geschichte vom Kutscher, der im Gasthof Zum Raben am Markt drei reisende Juden bestahl, mit dem Geld in Bamberg protzte, überführt und zur Strafe – vermutlich – an die österreichische Armee verkauft wurde.

Eine damals nicht unübliche Strafe, die den Vorteil hatte, dass die Stadt dadurch die Gerichtskosten wieder hereinbekam.

Aus ähnlich pragmatischen Gründen entschied der Magistrat – mit Zustimmung des Kaisers – auch, nach dem Zweiten Stadtverderben keine Juden mehr in der neu aufgebauten Stadt zuzulassen – Schweinfurt war hochverschuldet, und so sparte man sich schlicht die Rückzahlung der Kredite.

Viele dieser Geschichten sind in den Büchern von Edgar Lösch („Geschichte der alten Gasthäuser in Schweinfurt“) und Hubert Gutermann („Alt-Schweinfurt in Bildern, Sitten und Sagen“) nachzulesen. Die vom Raben Jakob zum Beispiel, der im 19. Jahrhundert im gleichnamigen Gasthof am Markt lebte und sich gerne in die Röcke der Marktfrauen krallte und herumschleifen ließ. Oder im frischen Teig in der Bäckerei nebenan seine Tapser hinterließ. Oder einmal auf dem Altar von St. Johannis „ein großes Unheil“ anrichtete. Sprechen konnte er auch, und das offenbar durchaus mit Sinn. Einen schlafenden Gesellen soll er jedenfalls wie folgt angeherrscht haben: „Lump, steh auf!“

Das mit der Erlebnisgastronomie funktionierte übrigens nicht immer. Ein Herr Holler, der die Witwe des Gründers der Schönmann-Brauerei (dem späteren Brauhaus) geheiratet hatte und der in Amerika gewesen war, versuchte schon im 19. Jahrhundert, in dem Haus am oberen Markt eine Art Saloon zu etablieren. „Das kam bei den Schweinfurtern nicht so gut an“, sagt Martina Barth trocken.

 
 
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