Ein Großunternehmen in Deutschland hatte bei einem Sicherheitstag einen Stuntman auf 40 Werksräder gesetzt. Der Profi fuhr die Räder in den verschiedenen Werken zu Schrott, etwa beim Aufprall auf eine Mauer. Gezeigt wurde so, welche enormen Kräfte selbst bei niedrigen Geschwindigkeiten frei werden.
Das Ergebnis begutachten nun die neun Mitarbeiter und die zwei Auszubildenden in der Gustav-Heusinger-Straße. Verformungen, Brüche am Rahmen, gerissene Bremszüge – all das interessiert die Spezialisten, die sich um die Sicherheit auf dem Fahrrad kümmern.
Ganz so spektakulär ist jedoch der Arbeitsalltag nicht immer. In den Werkstätten werden in der Regel Gutachten nach Unfällen und über neue Fahrräder und andere muskelbetriebene Fahrzeuge erstellt. Zu den Kunden gehören auf der einen Seite Gerichte und Versicherungen, auf der anderen Fahrradproduzenten aus der ganzen Welt; aus Deutschland, China, Taiwan oder etwa den USA. Unterstützt werden die Zweiradmechaniker und Fahrradtechniker von einem Dutzend Testfahrer (Profis und Amateure), die auf der Straße und im Gelände die Sicherheit der Räder und die Wirkung von Schaltungen oder Bremsen prüfen. Stimmt alles, dann darf velotech.de zertifizieren, also die begehrten Gütesiegel verteilen.
Gutachtertätigkeit und die Tests für die neuen Serien ergänzen sich bestens. Und weil es in Deutschland nur rund ein Dutzend Gutachter gibt, von denen sich nur wenige ganz auf das Zweirad spezialisiert haben, ist Ernst Brust mit der Auftragslage in seiner 1991 gegründeten Firma mehr als zufrieden.
10 000 Bremsungen
In den Hallen herrscht permanent Bewegung, obwohl vielfach kein Mensch zu sehen ist. Auf den Prüfständen stehen ganze Fahrräder oder auch nur einzelne Komponenten in Dauertests. Dort bekommt ein Lenker gerade den 100 000. vom Computer veranlassten Schlag ab. Auf dem Stand daneben werden 10 000 Bremsungen an einem Werksfahrrad simuliert. An den Decken hängen unzählige Fahrräder. Sie alle wurden einmal getestet, bleiben im Firmenbesitz, womit sich jederzeit feststellen lassen kann, ob ein Hersteller wirklich bis in die Kleinigkeiten das verkauft hat, was einst auf dem Prüfstand stand. Die Decken reichen für die untersuchten Drahtesel schon längst nicht mehr aus. Zwei Lagerräume mit mehr als 200 Quadratmeter Fläche sind zusätzlich gefüllt.
Auf den Prüfständen wurden anfangs die Räder mit Sandsäcken beschwert, um Körpergewicht und Bewegungen der Radler vorzutäuschen. Doch Sand schwabbelt nicht. In Schweinfurt werden aber Kugellager hergestellt. Der „Abfall“ aus der Produktion der Großbetriebe brachte Brust auf die Idee, gut geölte, jedoch leicht deformierte Stahlkugeln in Säcke zu packen, die dann bei jeder Bewegung wunschgemäß schwabbeln.
Vor 19 Jahren hat der vereidigte Fahrradsachverständige Brust sein Dienstleistungszentrum für Produktsicherheit gegründet. 20 Jahre Erfahrung in der Wälzlager- und drei Jahre in der Fahrradindustrie (Technischer Leiter bei Winora) brachte er mit. 1992 sorgte er mit einer neuartigen Lichtverkabelung für Schlagzeilen. Er packte eine stromleitende Folie in das Gabelschaftrohr. Das gerade dort so oft reißende Kabel muss es seitdem nicht mehr geben.
Brust weitete in den folgenden Jahren sein Tätigkeitsfeld aus. Heute prüft er auch Dachkoffer und Fahrradträger für Autos, alle möglichen Rollsportgeräte wie Inline–Skater und selbst Golfschläger. Zu seinen Kunden gehören nicht nur Produzenten, sondern auch Fachzeitschriften wie die Stiftung Warentest, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club ADFC und der ADAC.
Die von seiner Firma ausgetüftelten Erfassungssysteme sind teilweise mobil einsetzbar. So notieren Kleinstcomputer selbst bei der Testfahrt im Gelände wichtige Daten über Sicherheit und Belastbarkeit von Fahrradkomponenten. Die ermittelten Betriebslasten werden in Programme umgerechnet. Die Kontrollen erfolgen in durchmischten Lastzyklen auf selbstentwickelten Sondermaschinen. All diese Test haben unter anderem ergeben, dass der Verschleiß bei Fahrrädern zu rund 70 Prozent auf Fahrbahnstöße, zu 20 Prozent auf Bremsbelastungen und zu zehn Prozent auf die Antriebskräfte zurückzuführen ist.