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OBEREUERHEIM
„Wir holen wenigstens einen Hund aus dem Dreck heraus“
Windhunde mögen es kuschelig. Im Körbchen von Sir Toby liegen deshalb Decken und Kissen. Foto Anand Anders
Foto: Anand Anders | Windhunde mögen es kuschelig. Im Körbchen von Sir Toby liegen deshalb Decken und Kissen. Foto Anand Anders
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:23 Uhr

Sie sollte ihren vier Besitzern viel Geld bringen. Aber ihr 14. Rennen führte Scarlett direkt ins „Pound“, das ist eine Tötungsstation für „retired“ (ausgemusterte) Greyhounds.

Scarlett war gut auf der Rennbahn, sehr gut, auch in diesem 14. Rennen. Sie lag ganz vorne, doch dann fiel sie plötzlich zurück, kam als Letzte ins Ziel. Sie hatte sich während des Rennens den Vorderlauf gebrochen. Für ihre vier Besitzer war sie nun wertlos. Wäre die damals vierjährige Hündin nicht von Tierschützern gerettet worden, hätte man sie getötet oder für Wetteinsätze nach China verkauft, wo solche Hunde oftmals auch im Kochtopf landen. Heute lebt Scarlett bei Lilli und Wilfried von Hessberg in Obereuerheim. Sie haben das geschundene Tier nicht nur liebevoll aufgepäppelt, sondern auch geadelt – zu Scarlett O'Hessberg. Das Video von Scarletts letztem Rennen kann man heute noch im Internet finden.

Vollgepumpt mit Anabolika

Seit vielen Jahren schon engagieren sich Lilli und Wilfried von Hessberg in der Deutschen Windhundehilfe. Nicht nur Scarlett haben sie vor dem sicheren Tod gerettet, sondern auch Sir Toby, den sie mit zwei Jahren nach Obereuerheim holten. 53 Rennen war der junge Rüde damals schon gelaufen und damit „verbraucht“. Er brachte seinem Besitzer nicht mehr genügend Gewinn auf der Rennbahn ein. Also ab in die Tötungsstation.

Tobys Glück war es, dass er an das Obereuerheimer Ehepaar vermittelt werden konnte. „Er war so vollgepumpt mit Anabolika, dass es ein Jahr lang dauerte, bis sich seine Muskulatur wieder normalisierte“, erzählt Wilfried von Hessberg. Durch das linksherum Im-Kreis-Laufen auf der Rennbahn hat Sir Toby heute eine Arthrose.

„Die Greyhounds sind die ärmsten Geschöpfe, sie haben keine Chance“, begründet Lilli von Hessberg ihr Engagement für diese Tiere. Ihre Leidenschaft gehörte schon immer Hunden, und zwar solchen aus dem Tierschutz. Zuerst holten sich die Eheleute die Bernhardiner-Hündin Gretel aus dem Tierheim und nach ihrem Tod einen Rauhaardackel, der aufgrund zu langer Haare als nicht tauglich für die Jagd dort abgegeben worden war.

Danach kam die Jack-Russel-Dame Fanny ins Haus. Und als man für sie einen tierischen Gefährten suchte, erfuhren die von Hessbergs von dem traurigen Schicksal der Windhunde. In der Fernsehsendung „Tiere, die ein Zuhause suchen“ wurden zwei Galgos vorgestellt, das sind spanische Windhunde, die für die Hetzjagd ausgebildet werden. „Wenn sie den Anforderungen ihrer Besitzer nicht mehr genügen, werden sie auf brutalste Art und Weise getötet“, verweist Lilli von Hessberg auf Bilder von erhängten Galgos, die auf den Internetseiten von Tierschutzorganisationen gezeigt werden.

„Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mir einen Windhund anzuschaffen“, sagt Lilli von Hessberg. Aber nach diesen schrecklichen Bildern stand für sie fest: „Wir holen wenigstens einen Hund aus dem Dreck heraus.“

Nach der Jagdsaison wird ausgewildert

Tara war drei Jahre alt und in Spanien für die Hasenjagd eingesetzt worden. Über die Organisation „Far from Fear“ wurde die ausgemusterte Hündin an die von Hessbergs vermittelt. „Ein Galgo in Spanien kennt kein Familienleben“, weiß Lilli von Hessberg. Diese Rasse wird traditionell als Gebrauchshund angesehen und zur Rudeljagd auf Niederwild eingesetzt. Nach der Jagdsaison, sie endet immer am 31. Januar, würden die Hunde dann ausgewildert oder fortgejagt, weil man sie nicht bis zur nächsten Jagdsaison durchfüttern will. Ihre einzige Chance sei es, durch Tierschützer in den nördlicheren europäischen Staaten ein neues Zuhause zu finden.

Es sei nicht einfach, so einen Hund zu halten, räumt Lilli von Hessberg ein. Denn Galgos sind Jäger. „Frei laufen lassen, das geht gar nicht.“ Und mit mehreren Hunden gleichzeitig spazieren gehen, das sei unverantwortlich, meint Lilli von Hessberg angesichts des Vorfalls Ende Februar in Schwebheim, wo drei Windhunde beim Spaziergang mit ihrem Herrchen einen kleinen Sheltie totbissen. „Wenn die losrennen, kann man sie nicht mehr halten.“ Windhunde zählen nach den Geparden zu den schnellsten Landtieren der Erde. Sie können je nach Rasse bis zu 70 km/h laufen.

Mit Tara stiegen die von Hessbergs aktiv in den Tierschutz ein und wurden zur Pflegestelle für den Verein Far from Fear. Jeder von den Tierschützern aus Spanien geholte Hund kommt zuerst einmal in eine Pflegefamilie, bis ein dauerhaftes Zuhause für ihn gefunden wurde. Filou war so ein Pflegeschützling, den die von Hessbergs vor vier Jahren vorübergehend betreuten. „Wir hatten teilweise bis zu vier Hunde da“, erzählt Lilli von Hessberg.

Von Geburt an keine Chance

Über die Galgos kamen die Obereuerheimer Tierschützer zu den Greyhounds. „Die haben von Geburt auf überhaupt keine Chance.“ Sie werden schon als Welpen trainiert und isoliert in winzigen Zwingern gehalten. Ihr Leben sei einzig ausgerichtet, „die Profitgier des Menschen zu befriedigen“. Sind sich nicht mehr rentabel, bedeute dies für unzählige Greys den Tod. Die Greyhoundhilfe Deutschland versucht, für diese Hunde ein Zuhause zu finden.

Dass sich solche Tiere trotz ihrer schlechten Erfahrungen mit Menschen in eine Familie einleben können, beweisen Scarlett und Toby. Die beiden Greys kamen direkt von der Rennbahn, waren ängstlich und verstört. Heute sind sie verschmust und anhänglich, nur das große Sofa lassen sie sich nicht streitig machen. Jeden Tag wird frisch gekocht für die beiden Greys – Gemüse, Hirse, Fleisch, verfeinert mit Leindotteröl. Extra für die beiden Hunde haben sich die von Hessbergs auch einen Campingwohnwagen gekauft. Denn wenn sie verreisen, gehen Scarlett und Toby natürlich mit.

Eines stellen Lilli und Wilfried von Hessberg allerdings klar: „Aus reinem Mitleid sollte man keinen Windhund aufnehmen.“ Man müsse schon eine gewisse Liebe zu diesen Tieren und vor allem die räumlichen Voraussetzungen haben. Die von Hessberg besitzen einen 2000 Quadratmeter großen Garten, genug Auslauf für Scarlett und Toby, wenn sie nach dem täglichen Spaziergang noch nicht gleich aufs Sofa wollen.

Gerettet: Sir Toby (links) und Scarlett sind ausgemusterte Rennhunde. Lilli und Wilfried von Hessberg haben sie vor dem Tod gerettet.
Foto: Anand Anders | Gerettet: Sir Toby (links) und Scarlett sind ausgemusterte Rennhunde. Lilli und Wilfried von Hessberg haben sie vor dem Tod gerettet.
Täglich machen Lilli und Wilfried von Hessberg einen ausgiebigen Spaziergang mit ihren beiden Greyhounds.
Foto: Anand Anders | Täglich machen Lilli und Wilfried von Hessberg einen ausgiebigen Spaziergang mit ihren beiden Greyhounds.
Traute Zweisamkeit: Sir Toby (links) und Scarlett.
Foto: Anand Anders | Traute Zweisamkeit: Sir Toby (links) und Scarlett.
Auf dem 2000 Quadratmeter großen Grundstück von Lilli und Wilfried von Hessberg in Obereuerheim können sich die beiden Greyhounds austoben.
Foto: Anand Anders | Auf dem 2000 Quadratmeter großen Grundstück von Lilli und Wilfried von Hessberg in Obereuerheim können sich die beiden Greyhounds austoben.
Geschafft: Nach dem Spaziergang nimmt Scarlett das Sofa in Beschlag, um auszuruhen.
Foto: Anand Anders | Geschafft: Nach dem Spaziergang nimmt Scarlett das Sofa in Beschlag, um auszuruhen.
 
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