Die Interaktion zwischen Kindern und Eltern spielt eine große Rolle. Chefarzt Dr. Wolfgang Briegel von der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Leopoldina-Krankenhaus hat die aus den USA stammende „Parent Child Interaction Therapy“ (PCIT) vor zehn Jahren nach Deutschland gebracht. Dabei sollen Eltern unter Anleitung mit ihren Kindern interagieren und so gewünschte Veränderungen bewirken. Kürzlich fand zu dem Thema ein erster Weltkongress in Schweinfurt statt.
Dr. Wolfgang Briegel: Die seit den 70er-Jahren entwickelte Therapieform „PCIT“ breitet sich weltweit immer mehr aus und bietet mittlerweile auch in Deutschland einen wichtigen therapeutischen Ansatz. Hier in Schweinfurt bilden wir alle Therapeuten im deutschsprachigen Raum aus. Nun habe ich einen Kongress in Schweinfurt organisiert, damit sich Experten und Therapeuten aus vier Kontinenten über die besondere Behandlungsart austauschen können. Außerhalb der USA ist das der erste Kongress zu dem Thema überhaupt.
Dr. Briegel: Die Therapie ist primär für zwei- bis sechsjährige Kinder gedacht, die eine Störung ihres Sozialverhaltens aufweisen. Dazu gehören Kinder, die über das normale Maß hinaus verweigernd sind, nicht auf ihre Eltern hören, andere Kinder schlagen oder auch aus dem Kindergarten rausfliegen. Die Behandlung ist in verschiedene Phasen unterteilt. Im ersten Teil der Therapie lernen Eltern, mit ihrem Kind auf wertschätzende Weise zu spielen. Im zweiten Teil geht es um erzieherische Aspekte.
Dr. Briegel: Sowohl während des Spiel- als auch des Erziehungstrainings spielt das Kind mit einem Elternteil, beispielsweise der Mutter in einem Raum. Durch eine verspiegelte Glasscheibe beobachtet dies ein Therapeut und gibt über ein Headset Rückmeldungen an die Mutter, die alles über einen Knopf im Ohr hört. So versuchen wir die Eltern anzuleiten, ohne dass es das Kind mitbekommt. Wir therapieren die Kinder also über ihre Eltern.
Dr. Briegel: Wir statten die Eltern mit Fertigkeiten aus, die das beschädigte Verhältnis zwischen Eltern und Kind wieder verbessern sollen. In erster Linie geht es darum, dass Eltern ihren Kindern mehr positive Rückmeldungen geben und Fragen und Kritik so gut es geht vermeiden. Auch der Therapeut wendet dieses Prinzip für seine Rückmeldungen an die Eltern an. Die Mutter soll das Kind also beispielsweise lieber für ein gemaltes Bild loben als es zu kritisieren, weil es für das Hausdach die grüne Farbe gewählt hat. Ähnlich lobt der Therapeut die Eltern für alle Bemühungen, die in die richtige Richtung gehen. Wir bestimmen auch exakt, wie oft zum Beispiel gelobt wird. Viele Eltern haben eine ganz andere Vorstellung davon, was oft ist. Ziel der Behandlung ist, dass Eltern ihr Kind beispielsweise zehn Mal in fünf Minuten spezifisch loben und in dieser Zeit höchstens drei Fragen stellen.
Dr. Briegel: Das betrifft nicht nur Kinder mit Störungen des Sozialverhaltens. Alle Menschen fühlen sich wohler, wenn sie gelobt werden. Wenn Sie am Arbeitsplatz nie gelobt werden und Ihnen nur bei Fehlern gesagt wird: „das war nichts“, dann wollen Sie dort nicht mehr gerne arbeiten. So ist es auch im alltäglichen Verhalten der Kinder. Studien zeigen, dass eine positive Rückmeldung durch die Eltern gravierende Veränderungen des Sozialverhaltens hervorrufen kann. Da wir während unseren Therapiestunden direkt für eine solche positive Rückmeldung durch unsere Anweisungen sorgen, kann man schon nach wenigen Sitzungen erkennen, dass sich die Beziehung zwischen Eltern und Kind verbessert hat.
Dr. Briegel: Nein. In der ersten Therapiephase geht es aber darum, den Kindern die Führung im Spiel zu geben. Sie sollen das Gefühl bekommen, dass auch ihre Eltern Spaß am Spielen haben. Gelingt das, dann sorgt die zweite Therapiephase dafür, dass gewisse Grenzen und Regeln leichter akzeptiert werden. Wenn ein Kind Schimpfwörter benutzt, dann werden diese natürlich nicht positiv verstärkt, sondern ignoriert. In der Erziehungsphase leiten wir die Eltern dann dazu an, Anweisungen zu machen, wenn diese wirklich nötig sind und diese dann auch konsequent durchzusetzen.
Wenn die Mutter ihr sechsjähriges Kind rechtzeitig zum Kindergarten bringen muss, dann ist es tatsächlich notwendig, dass das Kind sich rechtzeitig anzieht. Das sollte dann auch dementsprechend kommuniziert werden. Wenn ein Kind hingegen die Zeitung für den Vater holen soll, weil dieser nicht aus dem Sessel aufstehen will, dann ist das keine notwendige Anweisung. Das müssen Eltern erst lernen. Sie geben im Alltag zu viele Anweisungen. Es müssen weniger werden und diese müssen einen unmittelbaren Sinn ergeben, den die Kinder auch nachvollziehen können. Auch darauf achten unsere Therapeuten, wenn sie hinter der Scheibe sitzen und die Eltern anleiten.
Dinge, die sein müssen, müssen auch durchgesetzt werden. Kinder mit Störung des Sozialverhaltens müssen lernen, sich an Regeln zu halten, sonst haben sie später viele Probleme, insbesondere in der Schule. Weigert sich das Kind beharrlich, eine notwendige und sinnvolle Anweisung zu befolgen, dann muss es auf einen Auszeitstuhl. Dort muss es einfach so lange sitzen bleiben, bis es die Anweisung befolgt. Es gibt Momente, da ziehen Kinder mit Störung des Sozialverhaltens die Hosen aus und pinkeln vom Stuhl runter. Solange das Kind auf dem Stuhl bleibt, wird das in dem Moment toleriert. Wichtig ist, dass das Kind nach der Auszeit die ursprüngliche Anweisung befolgt. Es ist für die Eltern oft enorm schwer, sich dabei durchzusetzen.
Weltweit ist „PCIT“ als eine der effektivsten Behandlungsformen für zwei- bis sechsjährige Kinder anerkannt. Hier in Schweinfurt haben wir rund 40 solcher Behandlungen im Jahr. Unsere zehn PCIT-Therapeuten haben alle ungefähr zwei Fälle am Laufen. Die Erfolge sind in der Regel enorm und auch Jahre nach der Behandlung verschlechtert sich das Verhalten der Kinder meist nicht mehr. Neben unseren Behandlungsterminen geben wir den Eltern auch Hausaufgaben, um die gewünschten Fähigkeiten daheim zu üben. So können die Familien stetig an ihrer Interaktion arbeiten. Anhand der Ergebnisse sehen wir, dass sich durch die Therapie nicht nur das Verhältnis zwischen Eltern und Kind verbessert hat. Auch das Verhalten des Kindes im Kindergarten oder allgemein in der Öffentlichkeit verbessert sich meist sehr deutlich. Ich würde sagen, dass wir von einer Wirksamkeit der Therapie sprechen, wie man sie sonst nur durch Medikamente feststellen kann.