Das Wort Frieden besteht größtenteils aus "R-eden". Zumindest stechen letztere Buchstaben auf der Pinnwand hervor, bei der Wörtercollage zu einem Projekt afghanischer Schützlinge der Hugo-von-Trimberg-Schule. Es geht um Spracherwerb, aber auch ein wenig mehr Selbstbewusstsein für junge Asylbewerber, die ein zweisprachiges Hörbuch aufgenommen haben und es nun mit gemeinsamen Liedern präsentieren.
Die globale Flüchtlingswelle brandet momentan wieder hoch, im Ankerzentrum auf dem Gelände der Conn Barracks. Über tausend "reguläre" Bewohner hat Yener Yildirim als stellvertretender Leiter der Asylunterkunft gezählt. Vor der Einfahrt reihen sich bereits Autos mit "UA"-Kennzeichen. Die ukrainischen Flüchtlinge werden vom ehemaligen Militärgelände aus meist zügig auf weitere Unterkünfte verteilt, die ersten Kinder schon (in Niederwerrn) unterrichtet.
Der weite Weg der Geschwister Karim und Yara
Vor dem Ukraineinferno war der Rückfall Afghanistans an die Steinzeitislamisten ein medienbeherrschendes Thema. Schulleiterin Andrea Orth steuert zusammen mit Yener Yildirim, Konrektorin Georgia Niemeyer sowie den "Asyl-Lehrerinnen" Andrea Slesinski und Anita Hajani die "Kapelle" an, als gute Stube des Kasernengeländes. Die Mittelschüler vom Hindukusch werden vor Ort in einer Zweigstelle der Schule unterrichtet: "Wir haben etwas unglaublich Großes geschafft", nennt sich das Hörbuch von Johanna Ringwald, in dem es um den weiten Weg der Geschwister Karim und Yara geht, zusammen mit ihren Eltern. Die Illustrationen des "Buchs zur Stärkung von Kindern mit Fluchthintergrund" stammen von Marie Braner. Die Afghanen leben erst seit ein paar Wochen an der Wern. Das Hörbuch haben sie auf Deutsch und Dari eingelesen. Karims Fluchtgeschichte ist im Grunde ihre eigene. Das Buch gibt es auch mit Arabisch, Kurdisch, Englisch oder Persisch als Zweitsprachen.
"Bitte vergesst nicht, was ihr schon schon Großartiges im Leben geschafft habt", sagt Anita Hajani zur Begrüßung. Auch die anwesenden Eltern dürfen stolz auf ihre Kinder sein. Es werden selbstgebackene Waffeln, Eistee und Osterhasen verteilt. Bei den Vorbereitungen hat "Gastlehrerin" Diana Hick geholfen. Als Übersetzer fungieren Mohammad Jawad und Sayed Mudaser, zwei Autodidakten. Viele Afghanen haben den Iran als Zwischenstation hinter sich. Vollverschleierung war für die jungen Frauen auch im Nachbargottesstaat Pflicht. Am Ende der Odyssee stand oft die Flucht über das Mittelmeer, in überfüllten Booten voller Nichtschwimmern.
Das Erleben von Schutzlosigkeit als ständiger Begleiter
Nach dem Verlust der Heimat wird Angst, Traurigkeit, das Erleben von Schutzlosigkeit ein ständiger Begleiter: "Plötzlich war alles anders", heißt es im Hörbuch, das sich vor allem um psychische Belastungen und deren Bewältigung dreht. Kälte, Nässe, Traumata, fremde Sprachen, Landschaften, Menschen, Regeln: bei den Schlagworten ahnt man, was in den Teenagern vor sich geht, die bislang nur Dari gesprochen haben.
Das Einspielen der Geschichte soll ein erstes Erfolgserlebnis hierzulande sein, sagt Hajani. "Sie haben die Texte so oft gelesen und geprobt, bis sie es so schafften", lobt die Lehrerin. Maryam, Roubina, Aida, Lida, Daryoush, Mohamad Boker, Mohammad Jawad, Mohammad Hamed, Rustam, Sayed Mudaser und Farshid sind an mehreren Nachmittagen extra in die Schule gekommen. Am Ende bedankt sich der Bruder einer Schülerin für die gastfreundliche Aufnahme. Er hat es mit der Familie nach Deutschland geschafft, die Schwester ist elternlos hierhergekommen. Jetzt hoffen die Neuankömmlinge auf eine friedlichere Zukunft – auf das Erleben von Sicherheit.