Der Wipfelder Storchennachwuchs schaut ganz entspannt aus seinem Horst in luftiger Höhe an der Mainfähre, die Storchenmutter betreibt derweil intensive Gefiederpflege. Beide wissen noch nicht: Mit der Ruhe ist es gleich vorbei; dann rückt ein Vogelschutzteam mit einem tonnenschweren Hubsteiger an, um den Storchennachwuchs in Wipfeld und später dann in einem weiteren Horst auf dem Schornstein des ehemaligen Backhauses im Heidenfelder Kloster zu beringen.
Seit vielen Jahren gibt es in Heidenfeld und Wipfeld künstliche Storchennisthilfen, doch erst in den letzten Jahren haben sich dort Weißstörche niedergelassen. Seit 2018 brüten die Vögel in Wipfeld, seit 2020 auch in Heidenfeld – für die Vogelschützer eine schöne Gelegenheit, die jungen Vögel zu beringen, um so Erkenntnisse über das Fortpflanzungsverhalten und die Zugrouten zu sammeln.
Das Storchenmännchen kommt seit vier Jahren nach Wipfeld, allerdings mit wechselnden Partnerinnen. Das hat ihm in diesem Jahr den Spitznamen „Casa“ nach dem berüchtigten Frauenhelden „Casanova“ eingebracht, wie Stefan Laubender, engagierter Vogelschützer und offizieller Beringer im Landkreis, nun schmunzelnd berichtet.
Warum? Bereits Ende Februar wurde der männliche Storch erstmalig in Wipfeld gesichtet, in der letzten Märzwoche traf dann auch ein unbekanntes Weibchen am Horst ein, wie die Beringung den Vogelschützern verrät. Stutzig wurde Laubender dann aber, als nur einen Tag später ein zweites unberingtes Weibchen, er vermutet die letztjährige Partnerin, ebenfalls das Nest anflog und es sich dort gemütlich machte, während die anderen beiden wohl auf Futtersuche waren. Eine spannende Situation für Laubender, der bis in die Nacht in kurzer Hose ausharrte, um den weiteren Verlauf zu beobachten, bei Dunkelheit dann aber durchgefroren abbrach.
Am frühen nächsten Morgen war Laubender wieder zur Stelle und erkannte verwundert: Im Nest vergnügten sich Casa und seine diesjährige neue Partnerin. Was in der Nacht passiert ist, kann Laubender nicht sagen, doch bis heute beobachtet er immer wieder, dass der männliche Storch "zweigleisig" fährt. Erst schwebt er – Casanova eben – gemeinsam mit der Vorjahrespartnerin durch die Lüfte, um dann anschließend zur aktuellen, wild klappernden Partnerin in den Horst zurückzukehren.
Kein Bund fürs Leben
Weißstörche sind brutzeitmonogam, dem Partner saisonal, aber nicht ein Leben lang treu. Wohl aber ihren Nestern, wie Harald Vorberg, Kreisvorsitzender des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) erklärt und so kehren die meisten Störche wie eben auch „Casa“ alljährlich im Frühjahr aus dem Winterquartier im Mittelmeerraum oder Afrika zu ihrem Vorjahres-Horst zurück.
Auf der frisch gemähten Wiese vor dem Storchenhorst geht es nun geschäftig zu. Nach einer kurzen Lagebesprechung begeben sich die Vogelschützer samt Kameramann Rüdiger Wolf von Mighty Eye Film, der die Aktion filmtechnisch begleitet, Richtung Storchenhorst. Mit einer Hebebühne fährt André Biegner mit Stefan Laubender und Manfred Lorenz 14 Meter hoch in luftige Höhen; die beiden Vogelschützer sind schwindelfrei, ein eingespieltes Team und die Beringung des einzigen Jungvogels – ein Nestling von etwa fünf Wochen – geht schnell.
Zwei Eier finden die beiden noch im Nest, wahrscheinlich war es im Mai einfach noch zu kalt, mutmaßt Lorenz. Die beiden Storcheneltern beäugen einstweilen das Geschehen, kreisend aus sicherer Entfernung, aus der Luft. Nach ein paar Minuten ist die Beringungs-Aktion vorbei, am Horst herrscht wieder Ruhe und die Storcheneltern kehren zum Jungen zurück.
Kurz bevor der Tross, darunter auch Daniel Schaub von der Unteren Naturschutzbehörde, nach Heidenfeld aufbricht, gibt es noch eine kleine Aufregung: Die Vogelkundler hören Bienenfresserrufe - ein bunter und doch seltener Vogel in unsere Breiten.
Gespannt sind die Vogelschützer auch schon, was sie nach der Hebebühnenfahrt in 22 Meter Höhe auf dem Schornstein im Kloster erwartet; den Beobachtungen nach könnten dort vier kleine Störche auf ihre Beringung warten. Und tatsächlich, Laubender und Lorenz sind begeistert; Vierlinge – etwas kleiner als der Jungstorch in Wipfeld, aber ebenfalls munter und gesund.
In ein paar Wochen werden die fünf Jungstörche die ersten Flugversuche unternehmen und sich dann einem Trupp gen Süden anschließen. Vielleicht kommen sie irgendwann wieder in die Gegend, hoffen die Vogelschützer. Beweisen wird das dann ihre Beringung.