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SCHWEINFURT
Willkommen in der Parallelwelt
Hier blühen „Herbstzeitlosen“: Autor Lothar Reichel und sein durchblickender Protagonist Blacky Schwarz beim Signieren von Schweinfurt-Krimi Nr. 6.
Foto: Uwe Eichler | Hier blühen „Herbstzeitlosen“: Autor Lothar Reichel und sein durchblickender Protagonist Blacky Schwarz beim Signieren von Schweinfurt-Krimi Nr. 6.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:38 Uhr

Willkommen in der Kugellager-Metropole: „Die Stadt, die immer schläft. Wer es hier nicht schafft, schafft es nirgendwo.“ New York hat Gotham City als dunklen Zwilling. Schweinfurt ein sinistres, von Mord, Korruption und Totschlag heimgesuchtes „S(w)in City“, das Autor Lothar Reichel in seiner Lokalkrimireihe entwirft.

Eine Art seelischer „Insel der Dämonen“, wie sich Reichels 2014 erschienener Bali-Roman nennt. Der gebürtige Schweinfurter beherrscht ein größeres Farbspektrum als Lokalkolorit und hat überregionale Aufmerksamkeit gefunden. Nichtsdestotrotz ist nun der sechste Schnüdelthriller auf dem Markt, „Herbstzeitlosen“, in dem sich ein blutiges Jahr am Main dem Ende entgegen neigt.

Hauptfigur ist Hobby-Ermittler Christian „Blacky“ Schwarz, realer Radiomoderator bei Primaton, als Kunstfigur sitzt er bei Main-Radio Schweinfurt hinterm Mikro. Da halten sie nun Hof, Geschichtenerzähler Reichel und Primaton-Stimme Schwarz, in der Rathausdiele, zur Lesung aus dem neuen Werk. Und haben geschafft, über 90 Besucher vom Weihnachtsmarkt wegzulocken, in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Collibri.

Bei routiniertem Fortschreiben einer Romanserie drohen bei Fans wie Verfasser irgendwann Ermüdungserscheinungen – clevere Autoren bauen dieses Problem einfach in die Handlung ein: Die dreht sich um die große Mattigkeit am Ende eines Seniorenlebens. Damit nicht etwa das Publikum ermüdet („die vorderste Reihe besteht nur aus meiner Reisegruppe“, stellt der aus Myanmar zurück gekehrte Urlauber Reichel fest), nimmt sich das Duo erst einmal gehörig selbst auf die Schippe.

Echte Schweinfurter wissen, das sie am besten in der zweiten Reihe glänzen. Blacky Schwarz, laut Reichel einziger Roman-Detektiv, der real existiert, nähert sich der 50: „Das geht in einer Geschwindigkeit, das ist erschreckend.“ Damit naht das Alter, in dem man ersetzbar wird: Im Buch droht Blacky durch einen jüngeren Schnüffler ausgebootet zu werden, Praktikant Sören. Aber ebenso, in Zeiten des demographischen Wandels, durch eine alte Dame: Martha Grimm, pensionierte Fahnderin und Oma von Kriminalkommisarin Kerstin Weiß. Sie entpuppt sich als penetrante „Miss Marple“. Und zu ermitteln gibt es einiges. Eine mysteriöse Todesserie unter Senioren sucht die Stadt heim, außerdem wird der dubiose Medizinprofessor Wussow gemeuchelt, auf einer Tagung im Konferenzzentrum Maininsel.

Auch im Nachfolgewerk von „Totengräberspuk“ gilt: Die Handlung ist eher zweitrangig. Hauptsache, der Schweinfurter erkennt seine Heimatstadt wieder – in einer Art ironischem Endlos-Spiegel, in dem es sogar Schweinfurt-Krimis gibt. Wobei diese Parallelwelt funktioniert und zunehmend satirisches Eigenleben entwickelt, böse giftend wie die Herbstzeitlose.

Getrunken wird etwa das „Schweinfurter Grühn“, benannt nach der Brauerei, ein ehemaliger Gesundheitsminister und jetziger Abgeordneter duelliert sich mit Golfschläger. Sogar eine alteingesessene Tageszeitung hat ihren Gastaufritt, vertreten durch den Reporter-Veteranen Michel Hilfreich. Dass die Meute der Provinzjournalisten im äußerst lässigen Outfit daherkommt und sich am liebsten am Buffet tummelt: Insider wissen, so was ist Klischee.

Ansonsten geht es um Eros und Thanatos, sprich dem Tod als bestem Aphrodisiakum, mit einem Hauch „Fifty Shades of Grey“. Selbst Blacky darf kurz mit Kerstin Weiß anbandeln, als Duo „Black & White“. Das starke Intro verlagert geradezu die Stimmung des „Dia de Muertos“, des „Tags der Toten“ aus dem neuen Bond, an die Gutermann-Promenade. Auch die (buchstäblich packende) Lösung des Falls lässt aufmerken, was für etwaige Ermüdungserscheinungen entschädigt. Gut versteckt findet sich sogar ein kleines Denkmal für den großen Welterklärer Peter Scholl-Latour. Hier wie im Leben lohnt es sich, bis ganz zuletzt hellwach zu bleiben.

 
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