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SCHWEINFURT
Wilder Flugverkehr im Stattbahnhof
Exzessive Hardcore-Party mit Terror: Sänger Scott Vogel (links im Vordergrund) heizt die Fans an, die klettern auf die Bühne und werfen sich mutig zurück ins Getümmel.
Foto: Michael Bauer | Exzessive Hardcore-Party mit Terror: Sänger Scott Vogel (links im Vordergrund) heizt die Fans an, die klettern auf die Bühne und werfen sich mutig zurück ins Getümmel.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 02.04.2019 13:45 Uhr

Ein Joule ist die Energiemenge, die benötigt wird, für eine Sekunde die Leistung von einem Watt zu erbringen. Klingt klug, hilft aber kein bisschen weiter beim Versuch, die freigesetzte Energie am Mittwochabend im Schweinfurter Stattbahnhof zu erfassen. Fünf Bands, fünfmal Hardcore, ein explosives Programm. Dass die Hütte nach den Hauptacts Terror und Deez Nuts noch steht, gleicht einem Wunder. Was die über 400 Fans da abreißen vor der Bühne kann nicht gut für die Knochen sein – höllisch Spaß macht's aber.

Stolen Mind, Risk it und Backtrack haben ganze Arbeit geleistet. JJ Peters braucht keine Sekunde Aufwärmzeit mehr, Deez Nuts schlurfen auf die Bühne und die Menge kocht bereits. Und der Sänger der australischen Rapcore-Kapelle weiß, dass er sich mächtig ins Zeug legen muss, da noch eine Schippe drauf zu legen. Kurz „Binge“ angestimmt – läuft. Der von Kopf bis Fuß tätowierte Veganer, der seine platinblonden Haare unter eine Pudelmütze packt, beugt sich immer wieder hinunter zu den Fans, kniet sich an den Bühnenrand und reicht ihnen das Mikro. Die freuen sich, wenn sie ihr eigenes Geplärre einen Moment durch Boxen dröhnen hören.

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Bis auf ihren Basser Sean Kennedy, der als Gründungsmitglied und Rückkehrer eine längere Pause eingelegt hatte, sind die Vier schon elf Jahre zusammen und sie haben ihren Stil gefunden. Ganz viel Hardcore, eine Menge Rap und eine Prise Metalcore. In Summe gibt's eine brachiale, energiegeladene Mischung. Hauptsache es knallt. Da wird sich erst gar nicht allzu viel Sorge um Melodie gemacht. „Band of Brothers“ versucht's mal, rumpelt dann aber auch ins hemmungslose Chaos. So geht Crossover.

Kompromissloser geht's nicht. Geht's doch. Denn wer geglaubt hat, noch ekstatischer kann ein Hardcore-Gig nicht sein, der hat die Rechnung ohne Terror gemacht. Vor allem aber ohne Scott Vogel. Der Sänger, als Einziger des US-Quintetts neben Drummer Nick Jett seit 2002 dabei, ist ein Berserker. Er wütet sich durch eine Stunde puren Abriss. „One with the Underdogs“ – der Song ist Programm. Das ist knallharter, aufbegehrender Hardcore wie man ihn auch von Szenegrößen wie Agnostic Front, Madball oder Hatebreed kennt. An sich eingängige Refrains werden brutal ins Publikum geschmissen, das reagiert entfesselt: Pogo, Circlepit, Stagediving.

Manches Mal ist der Bühnenrand als die Grenze zwischen Band und Fans gar nicht mehr zu erkennen. Im wilden Kuddelmuddel aus nach oben kletternden und zurück nach unten fliegenden Leibern stehen schon mal ein paar Beine senkrecht nach oben. Nur wo ist der Rest des Körpers? Keine Angst, der wird irgendwie doch noch kurz vor dem Boden aufgefangen und nach oben gehievt. Hardcore ist bretthart, die Tänze gleichen Kämpfen – doch die Fans passen auf sich auf. „Betrayer“, „Always the hard Way“, „Spit my Rage“ – die Energie-Spirale dreht sich immer weiter nach oben, in Joule lässt sich das längst nicht mehr messen. Ein paar Übermütige hupfen schon per Salto zurück in die Menge – und am Boden klebt der Schweiß eines denkwürdigen Hardcore-Abends. Vielleicht dient der ja als Maßeinheit.

 
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