Im Jahr 1516 gegründet, also vor einem halben Jahrtausend. Das klingt lang her – aber kann man es sich so richtig vorstellen? Manchmal muss man Dinge in Relation setzen, um zu begreifen, was nüchterne Zahlen bedeuten. Als das Altenheim St. Martin in Geldersheim gegründet wurde, da hatte Martin Luther seine 95 Thesen noch nicht an die Tür der Wittenberger Kirche genagelt. Erst drei Jahre später trifft der spanische Eroberer Hernán Cortés erstmals auf den Aztekenherrscher Montezuma. Und bis Nikolaus Kopernikus seine Theorie vom heliozentrischen Weltbild veröffentlicht, sollte es noch fast 30 Jahre dauern. Ein halbes Jahrtausend alt – diesen Geburtstag feiert St. Martin am ersten Septemberwochenende, Heimatpfleger Alfred Popp hat eine Ausstellung vorbereitet.
Das Jahr 1516, wie sah das Leben damals aus? Knechte und Mägde schufteten auf den Höfen der Bauern, Geldersheim war ein wohlhabender Ort. Beinahe wie Leibeigene wurden sie behandelt, hatten meiste kein Geld, um zu heiraten und eine Familie zu gründen. Wenn sie dann alt und schwach wurden, gab es niemand, der sich um sie kümmerte. Genau für diese Menschen stiftete der Kölner Domherr Valentin Engelhard dann das „Pfündnerspital“. Noch heute gehört das Haus der „Dr. Engelhardsche Pfründnerspitalstiftung“.
Domherr stiftet das Spital
Engelhard war wahrscheinlich gebürtiger Geldersheimer, so steht es auch in der Dorfchronik, „aber das ist nicht ganz sicher“, sagt Heimatpfleger Alfred Popp. In seinem Testament verfügte der Domherr, dass „arme, alte und kranke Menschen in der Pfarrei Geldersheim (Oberwerrn und Sömmersdorf gehörten dazu), die ihr Brot nicht mehr gewinnen noch haben können“ dort einen würdigen Lebensabend bekommen sollen. Noch heute wird die Einrichtung im Volksmund „Spital“ genannt. Sie ist das älteste Alten- und Pflegeheim im Landkreis.
Für die Stiftung wurde damals der freie Reichshof „Ebenhof“ gekauft und zum Altenheim umfunktioniert. Mit heutiger Pflege in Einzelzimmern hatte das jedoch nichts zu tun. „Es gab einen Schlafsaal für Männer, einen für Frauen und einen Siechenraum“, erzählt die heutige Leiterin Barbara Schömburg. Pflegeversicherung, Einzelzimmer – total unvorstellbar. Die Bewohner mussten den Hof selbst bewirtschaften, wo's lang ging bestimmte der Verwalter. Sonst gab es kein Personal. Ein Garten gehörte zum Hof, in dem die alten Menschen Gemüse anbauten. Auch Hühner und Schweine gab es.
Die Pflichten der Bewohner waren genau festgelegt. Morgens stand immer zuerst der Gottesdienst an, mit Gebet für den Stifter. „Wer das schwänzte, bekam nichts zu essen“, hat Alfred Popp recherchiert. Und dass bei ohnehin sehr spärlicher Verpflegung. Wassersuppe gab es, dazu pro Woche einen Laib Brot. Nur an Feiertagen bekamen die alten Diener mal ein Huhn, ein Stück Fleisch und Gemüse. Zu trinken gab es für alle täglich einen Viertelliter Wein, außer für den Verwalter, der hatte Anspruch auf einen halben Liter. Zum Ebenhof gehörten damals auch Weinberge, die es heute aber nicht mehr gibt.
Die erste Baumaßnahme in St. Martin war der Einbau einer Toilette, sagt Leiterin Schömburg. Irgendwann ab 1726 muss das gewesen sein, ab dieser Zeit gibt es etwas mehr Unterlagen. Davor hatten die Bewohner ihre Notdurft im Plumpsklo neben den Ställen fürs Vieh verrichtet. Die (Neben-)Gebäude von damals sind über die vielen Jahre praktisch alle ersetzt worden – außer der heute denkmalgeschützte Altbau des alten Ebenhofes. 2006 wurde nach dreijähriger Bauzeit ein aufwändig saniertes St. Martin übergeben. Getragen wird es bis heute von der Spitalstiftung, seit 1969 ist die Caritas Partner der Einrichtung. 77 Plätze gibt es mittlerweile.
Wie und wann genau der Wandel vom quasi selbst bewirtschafteten Senioren-Hof zum modernen Alten- und Pflegeheim begonnen hat, weiß man nicht mehr genau. Klar ist, dass irgendwann Schwestern begannen, die Bewohner zu unterstützen. Anfangs, so vermutet es Leiterin Schömburg, waren es wahrscheinlich Gemeindeschwestern. Dann kümmerten sich die Erlöserschwestern, ab 1967 dann die Rita-Schwestern. Die 1960er Jahre waren
auch die Zeit, in der ein Wandel einsetzte, in der es erste Angestellte gab. Es gab immer mehr Hilfe für die Alten, auch wenn ihr Einsatz weiter gefragt war. Noch bis in die 1980er Jahre wurde der Garten voll bewirtschaftet, auch in der Küche mussten sie mit anpacken.
„Früher ein Wirtschaftsunternehmen“
„Bis zur Einführung der Pflegeversicherung 1995 war das praktisch ein selbst verwaltetes Wirtschaftsunternehmen“, sagt Schömburg. Seither hat sich auch das Alter und das Pflegebedürfnis der Bewohner geändert. Die Menschen wollen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben, kommen heute sehr viel später in ein Heim. „Jetzt kommen die Menschen wirklich für den letzten Lebensabschnitt“, sagt die Leiterin, sie brauchen sehr viel mehr Hilfe.
Schömburg findet: „Die Verhältnisse sind ganz andere, aber der Zweck ist noch immer der gleiche.“ Valentin
Engelhards Gedanke ist in St. Martin noch immer lebendig.
Das Festprogramm
Samstag, 3. September
14.30 Uhr Jubiläumsfest
15 Uhr Führung durch die Ausstellung „Dr. Engelhard und sein Spitol“ mit Alfred Popp
19 Uhr Festakt mit Vortrag zur Geschichte von Kreisheimatpfleger Guido Spahn (Pfarrheim)
Sonntag, 4. September
10 Uhr Festgottesdienst mit Domkapitular Bieber (Pfarrkirche St. Nikolaus), danach Sektempfang in St. Martin
16 Uhr Führung durch die Ausstellung
18 Uhr Finissage in den Gaden