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SCHWEINFURT
Wie der Schweinfurter Alltag lebendig wird
Schweinfurter Stadtmuseum: Das Kulturforum-Team hat bei mehreren Sammlungsaufrufen schon 130 Objekte bekommen. Warum ein Skateboard, Essgeschirr aus Kriegsgefangenschaft, ein Symphonium, ein Schnittmuster oder die Kufi-Schokolade von besonderem Wert sind
Ein besonderes Unikat: Aus einer Zeitung aus den 1960er Jahren wurde ein Schnittmuster für eine Kinderschürze ausgeschnitten. Kulturforums-Leiterin Katharina Christ (v.l.) sowie ihre Mitarbeiterinnen Daniela Stadelmann und Andrea Mayer schauen vor allem auf die alten Anzeigen von damals.Fotos: Oliver Schikora
Foto: Oliver Schikora | Ein besonderes Unikat: Aus einer Zeitung aus den 1960er Jahren wurde ein Schnittmuster für eine Kinderschürze ausgeschnitten.
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 26.05.2020 02:10 Uhr

Wer kennt das nicht, man sitzt an einem freien Wochenende zu Hause, hat Zeit, räumt auf, kramt in alten, lange nicht geöffneten Kisten. Plötzlich sind sie da, die Schätze der Kindheit oder Erinnerungsstücke, die verbunden sind mit Geschichten der Großeltern oder der Eltern. Man denkt zurück, vielleicht voller Freude, vielleicht voller Wehmut, manchmal auch voller Trauer. Doch eines ist es immer: der Alltag, wie man ihn zu einer bestimmten Zeit erlebt hat. Objekte erzählen Geschichten, Museen brauchen genau solche Narrative, um den Besuchern etwas mitgeben zu können. „Momente leuchtender Augen“, nennt Kulturforums-Leiterin Katharina Christ das. Im Idealfall sind sie genau das.

Das neue Stadtmuseum wird zwar erst in drei Jahren eröffnet – es kommt im Rahmen des Neubaus des Kulturforums am Martin-Luther-Platz in die dann sanierte Alte Reichsvogtei – doch schon jetzt haben die Mitarbeiter von Katharina Christ mit dem Sammlungsaufruf, der im Herbst letzten Jahres gestartet wurde, alle Hände voll zu tun. 130 ganz verschiedene Objekte wurden mittlerweile vorbeigebracht, werden unter anderem von Daniela Stadelmann akribisch fotografiert und inventarisiert, um später einmal in der neuen Ausstellung gezeigt zu werden.

Ein Museum nicht nur für die Schweinfurter, sondern für die Menschen in der Region soll es werden, „wir wollen den Alltag der Menschen zeigen, ihr Lebensgefühl zu einer bestimmten Epoche abbilden“, sagt Katharina Christ. Über die Alltagsgeschichten nicht nur ein Gefühl für die Zeit geben, in der sie sich abspielten, sondern auch die großen Entwicklungen und Zusammenhänge spiegeln und vor allem zeigen, warum ein Ereignis etwa im Mittelalter oder im 19. Jahrhundert Folgen bis heute hat.

„Wir wollen das Lebensgefühl der Menschen zu einer bestimmten Epoche abbilden.“
Katharina Christ, Leiterin des Kulturforums, über das neue Stadtmuseum.

Das alte Stadtmuseum, das 2015 geschlossen wurde, endete in seiner Darstellung in den 1920er Jahren. Es müssen also alleine hundert Jahre Zeitgeschichte bis heute aufgearbeitet werden, um mit dem Museum zeitgemäß bis ins 21. Jahrhundert in der Darstellung zu kommen.

Zwei Schwerpunkte des neuen Stadtmuseums sind klar: Die Geschichte der freien Reichsstadt und die Entwicklung zur Industriestadt. Doch natürlich ist Schweinfurt noch viel mehr und dieses „Mehr“ soll seinen angemessenen Platz finden. Die Vielfalt der bisher gelieferten Stücke ist beeindruckend und lässt für die nächsten Monate einiges Erwarten. Andrea Mayer möchte nun, nachdem relativ viele Objekte aus den 1930er und 40er Jahren gekommen sind, den Schwerpunkt auf die Nachkriegszeit legen, insbesondere die 1950er, 60er Jahre mit dem deutschen Wirtschaftswunder. Wie war das zum Beispiel mit dem ersten deutschen Fitness-Studio von Harry Gelbfarb? Wo ist man in Schweinfurt tanzen gegangen? Zum Thema Lebensgefühl gibt es schon ein paar Preziosen: Da wäre das Symphonium aus den 1930er Jahren, ein schwerer mechanischer Plattenspieler mit Lochschallplatten, den die Firma Kalliope herstellte. Kurios: Auf dem Deckel ist ein Zapfen, dort steckte man einen Weihnachtsbaum auf, der sich langsam mitdrehte, wenn der Plattenspieler Weihnachtliches spielte. Es war ein Geschenk eines Schweinfurter Industriellen an einen seiner Angestellten. Momente leuchtender Augen bekommen all diejenigen, die einst bei Kufi-Weihnachtsfeiern mit ihrer Familie waren. Denn dort gab es immer einen speziellen Kakao, gereicht in weißen Porzellan-Kannen, auf festlich eingedeckten Tischen. Eine Tüte des Kakaopulvers, das die Angestellten geschenkt bekamen, findet sich auch in der Sammlung wieder. Oder das Calypso-Skateboard aus den 1980er Jahren, das wie kaum ein anderes Fortbewegungsmittel einen Lebensstil beschreibt, der damals aus den USA nach Europa kam und hier bis heute in einer eigenen Szene ausgelebt wird.

Spannend auch ein auf den ersten Blick banaler Fund: Ein Schnittmuster für eine Kinderschürze, ausgeschnitten aus Zeitungsseiten des Schweinfurter Tagblatts von 1962. Darauf auch noch zu lesen Anzeigen damaliger Geschäfte, ein Blick zurück in die gute alte Zeit, als das Internet pure Science Fiction war.

Sammlungsaufruf: Jeden ersten Freitag im Monat haben die Mitarbeiter des Kulturforums von 10 bis 15 Uhr Sprechstunde im Rückertbau am Martin-Luther-Platz in Schweinfurt. Bürgerinnen und Bürger können private Objekte vorbeibringen, die dann in Augenschein genommen werden. Informationen unter (09721) 514740.

Ein Skateboard, das Erinnerungen weckt: Mit einem solchen Board aus Aluminum fuhren in den 1980er Jahren viele Skater.
Foto: Oliver Schikora | Ein Skateboard, das Erinnerungen weckt: Mit einem solchen Board aus Aluminum fuhren in den 1980er Jahren viele Skater.
Uniform mit Mütze: Andreas Höhn vom städtischen Verkehrsüberwachungsdienst übergibt eine der ersten Uniformen aus dem Jahr 1986 an Kulturforum-Mitarbeiterin Daniela Stadelmann.
Foto: Oliver Schikora | Uniform mit Mütze: Andreas Höhn vom städtischen Verkehrsüberwachungsdienst übergibt eine der ersten Uniformen aus dem Jahr 1986 an Kulturforum-Mitarbeiterin Daniela Stadelmann.
Eine selbst gebaute Holzschatulle aus den 1940er Jahren, ein Geschenk von Zwangsarbeitern an eine junge Schweinfurterin.
Foto: Oliver Schikora | Eine selbst gebaute Holzschatulle aus den 1940er Jahren, ein Geschenk von Zwangsarbeitern an eine junge Schweinfurterin.
Der Kakao, der Erinnerungen weckt: Einen solchen Kakao gab es bei den Weihnachtsfeiern von Kugelfischer für die Mitarbeiter.
Foto: Oliver Schikora | Der Kakao, der Erinnerungen weckt: Einen solchen Kakao gab es bei den Weihnachtsfeiern von Kugelfischer für die Mitarbeiter.
Eine Rarität: Ein Symphonium mit Blechschallplatten bekam das Stadtmuseum von einer Schweinfurterin geschenkt.
Foto: Oliver Schikora | Eine Rarität: Ein Symphonium mit Blechschallplatten bekam das Stadtmuseum von einer Schweinfurterin geschenkt.
 
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