An diesem Mittwoch sind es 1000 Tage, seit dem das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) keinen Strom mehr produziert. Es laufen die Vorbereitungen für den Abriss. Seit einem Jahr leitet Bernd Kaiser das Werk. Sein Job: sich abzuschaffen.
Bis 2035 soll der Rückbau des AKW erledigt sein. „Eine Herkulesaufgabe“, sagt Kaiser (45), der an deren Ende fast schon im Rentenalter sein wird. „Was habt ihr denn dort überhaupt noch zu tun?“ Das ist die meistgestellte Frage, die der AKW-Chef derzeit zu hören bekommt. Seine Antwort: jede Menge. Für immerhin noch 200 Mitarbeiter.
Erst müssen Brennelemente raus
Denn es befinden sich noch Brennelemente im Lagerbecken ne-ben dem stillgelegten Reaktor. Sie müssen gekühlt werden, die Lüftungen müssen laufen, Maschinen, die noch benötigt werden, brauchen Wartung. Erst wenn das letzte Brennelement das Reaktorgebäude verlassen hat, kann der Abriss richtig starten. Im Mai werden die ersten sechs Castoren für das Zwischenlager beladen.
Sobald die nötigen Genehmigungen da sind, werden erste Räume freigemacht, um Platz für die so genannten Behandlungseinrichtungen zu schaffen. Dazu gehören Maschinen, die die technische Einrichtung wie Rohre und Leitungen in einigermaßen handliche Stücke zerlegen. Denn sie müssen freigemessen werden: Erst wenn keine radioaktiven Reste anhaften, dürfen die Teile nach draußen. Die Messanlage selbst steht schon seit einigen Tagen parat.
Plakatgroße Ablaufpläne
Während der eine Teil der Belegschaft den Restbetrieb sicherstellt, ist eine Einheit damit beschäftigt, die Einzelheiten des Rückbaus zu planen. Viel Papierkram gehört dazu, weil jede Menge Genehmigungen erforderlich sind. Logistik, Transportwege, Kostenberechnungen, der Aufbau von Datenbanken. Der Rückbau hat viele Aspekte. Riesige Ablaufpläne entstehen, einige hängen bei Kaiser im Büro. Gleichzeitig werden Mitarbeiter in Stade ausgebildet, wo Betreiber Preussen-Elektra mitten in der Abbauphase steht. Die dortigen Erfahrungen sollen den Grafenrheinfeldern in den nächsten Jahren helfen.
„Die Mannschaft scharrt mit den Hufen“, hat Kaiser bemerkt. Die Niedergeschlagenheit aus der Zeit der Abschaltung am 25. Juni 2015 habe sich bei den meisten Mitarbeitern in eine hohe Motivation gewandelt. Sie wollen die letzte Etappe der AKW-Ära sicher und professionell absolvieren.
Das erste Gewerk im Rückbau ist schon definiert: Die Tür eines Raumes soll ausgebaut werden, um den Eingang zu verbreitern. „Die Leute warten quasi schon mit dem Meißel in der Hand“, sagt Kaiser schmunzelnd. Noch für diesen Monat rechnet er mit der Rückbaugenehmigung. Dann kann er loslegen.
Eine besondere Symbolik haben die beiden 143 Meter hohen Kühltürme. Ursprünglich hatte es beim Betreiber geheißen, man wolle die Bauwerke erst gegen Ende des Abbaus einreißen. Rein technisch sei dies auch logisch, sagt Kaiser. Doch er verfolgt einen anderen Plan, weil die Bauwerke eben als Sinnbild für das AKW stehen, das man bei gutem Wetter selbst von der Rhön aus sehen kann. Er möchte, dass sie möglichst rasch verschwinden. Vielleicht schon 2019.
Kontrollierte Sprengung
Wenn es nach ihm geht, sollen sie gesprengt werden. Dabei darf man sich keine Explosion vorstellen, bei der Betonbrocken hunderte Meter durch die Gegend fliegen. Sondern es geht um eine kontrollierte Sprengung, bei der die Wände in sich zusammensacken. Das Baumetarial würde dann in den so genannten Teller fallen und dort bis zum Abtransport liegen bleiben. Die Sicherheit sei gewährleistet, sagt Kaiser. Doch noch ist das ein unfertiges Planspiel. Im April oder Mai will die Unternehmensleitung darüber entscheiden.
Ungewöhnliche Biografie
Kaiser hat eine ungewöhnliche Biografie innerhalb des Unternehmens. Nach seiner Zeit als Berufssoldat beschäftigt er sich seit 2005 in unterschiedlichen Rollen mit dem Rückbau von Atom-Anlagen. Zu einer Zeit als noch die Laufzeitverlängerung für deutsche AKW ein großes Thema war. Zuletzt leitete Kaiser das „Kompetenz-Center Rückbau“ bei E.on bzw. der Nachfolgefirma Preussen-Elektra.
Um den Job in Grafenrheinfeld im Frühjahr 2017 antreten zu können, musste sich der studierte Maschinenbau-Ingenieur noch zum Werksleiter ausbilden lassen, als wäre das AKW noch in vollem Betrieb. Vorschrift. Der Vorteil, so Kaiser: Er kennt jetzt alle internen Abläufe.
„Eine spannende Aufgabe“, sagt Kaiser über die kommenden Jahre. Etwa 2021 wird es richtig rund gehen: Neben den eigenen Mitarbeitern werden bis zu 500 externe Kräfte dabei sein. Stein um Stein wird dann das AKW von der Bildfläche verschwinden.