
Puppenspiel und Erwachsenenstücke, das geht doch gar nicht. Doch, das geht. Und wie! Ein nahezu brillantes Schauspiel modernen Puppenspiels bot die Bühne Cipolla aus Bremen mit ihrer Adaption von Stefan Zweigs Schachnovelle. Ein Abend im ausverkauften Theater auf der Theater-Bühne, der bewies, warum Puppenspieltage mehr als jedes andere Format auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ein Publikum von jung bis alt gleichermaßen fasziniert.
Stefan Zweigs Novellen, insbesondere die Schachnovelle, kennt wahrscheinlich jeder Abiturient aus dem Deutschunterricht. 1881 in Wien geboren, war er ein Weltenbummler, seine Werke wurden von den Nationalsozialisten öffentlich verbrannt. Er emigrierte nach England, danach nach Brasilien, wo er sich 1942, an Depressionen leidend, das Leben nahm. Die Schachnovelle wurde posthum veröffentlicht, ein Plädoyer für Selbstbestimmung, für Kreativität und Kunst. Oft analysiert, oft fürs Theater adaptiert und dennoch faszinierend, es als Puppenspieltheater zu erleben.
Puppenspieler Sebastian Kautz liefert eine fesselnde Performance in einer 75-minütigen Vorstellung, die keine Sekunde langweilig ist, die immer anregend und herausfordernd bleibt und sich dem Tempo und der Erzählstruktur des Originals perfekt anpasst. Sein kongenialer Partner Gero John ist mit der von ihm virtuos mit Violoncello, Schifferklavier, Bandoneon und seiner Loop Technik erstellten musikalischen Begleitung genau das Puzzlestück, das einen Abend wie diesen zu einem nahezu perfekten Theaterabend macht. Man ist beeindruckt, nachdenklich, sogar ein wenig aufgewühlt und es bleiben einzelne Szenen und Bilder im Kopf hängen.
Skurrile Schiffsreise mit manischem Schachduell
Die Schachnovelle spielt auf einem Schiff, auf dem Weg von New York nach Buenos Aires. Dort finden sich rätselhafte Passagiere: ein Schachweltmeister (eine Schaufensterpuppe) und ein amerikanischer Millionär (ein rot-weißer Rettungsring mit Augen, Mund und Dollar-Krawatte) liefern sich eine manische Schach-Schlacht, während Dr. B., im Rollstuhl sitzend, sie beobachtet und mit seiner Vergangenheit kämpft. Nicht nur die Kulissen des Schiffs, das multifunktional auch zum Kerker und Folterraum werden kann, sondern vor allem die von Melanie Kuhl hergestellten Puppen beeindruckten.

Sebastian Kautz legte den Schwerpunkt auf den inneren Kampf von Dr. B. mit seiner Erinnerung an die Jahre, als er als junger Mann wegen seines Berufs als Vermögensverwalter in die Fänge einer Diktatur geriet, die ihn in monatelanger Einzelhaft zermürben wollte. Die innere Zerrissenheit, die Einsamkeit, Angst, Wut, das Betteln und Flehen – Gänsehaut-Momente in langer Reihe.
In einer Szene sitzt Kautz mit seiner Puppe Dr. B. eine Minute lang still im Raum. Es ist eine verdammt lange Minute. Als Dr. B. bei einem Verhör zufällig ein Schach-Repetitorium findet, hält ihn das zwar weitere drei Monate aufrecht, da er endlich nicht mehr mit seinen Gedanken alleine ist, sondern lesen kann, es treibt ihn am Ende aber nur noch mehr in den Wahnsinn. Er beginnt im Kopf Schach gegen sich zu spielen, "wenn man Schach gegen sich selbst spielt, ist es eine Spaltung der Persönlichkeit, denn eine Person weiß etwas und die andere gleichzeitig nicht."
Man hält regelrecht den Atem wenn, Kautz das rezitiert und dabei den Kopf seiner Puppe ganz langsam auseinander zieht, zwei Gesichtshälften miteinander streiten lässt.