
Zum ersten Mal im Schweinfurter Theater: Doch schon nach der ersten Choreografie hatte die niederländische Tanz-Compagnie „Introdans“ mit Bravour und Dynamik die Herzen des Publikums gewonnen. Mit einem Applaussturm hießen die begeisterten Tanzfans die Gäste aus Arnheim willkommen. „So muss moderner Tanz sein“, rief mir in der Pause ein Besucher zu, und er traf damit ins Schwarze: Jedes der vier vorgestellten Werke war geprägt von hoher Tanzkunst, kreativer Choreografie und spannender überraschender Dramaturgie.
Claude Debussys Prélude „La Cathedrale Engloutie“ liegt eine alte bretonische Legende der Stadt Ys zugrunde, die im 4. Jahrhundert wegen des ausschweifenden Lebens ihrer Bewohner im Meer versank - noch heute taucht sie manchmal als Mahnung aus dem Meer auf und die Fischer hören die Glockenschläge der Kathedrale. Solch eine fantastische Geschichte inspirierte 1975 den Meisterchoreografen Jiri Kylián zu seinem gleichnamigen Ballett. Inzwischen längst ein Klasssiker, hat das Werk in der Introdans-Version nichts von seiner Wirkung verloren.
Der Bühnenhintergrund zeigt ein Schaumkronen bedecktes Meer, Meeresrauschen: Im Sonnenaufgang imitieren zwei Paare die Wellenbewegungen des Wassers mit den von Kylián kreierten fließenden, wirbelnden Arm- und Körperbewegungen, später sein Markenzeichen. Glockenschläge der Kathedrale. Ein Spiel der Emotionen beginnt, die farbigen Kontraste zwischen Himmel und Erde sind nicht alleinige Gegensätze, auch in der Konstellation der Tänzer gibt es die: Mal entwerfen zwei Tänzerinnen, mal zwei Tänzer eindrucksvolle Bilder von Freiheit und Unterdrückung. Gewalt scheint immer im Spiel, erst später zu Debussys Blockakkorden gibt es einen Pas de deux aus Werbung und Hingabe.
Nach so viel Dramatik dann mit der Choreografie „Andante“ von Hans van Manen eine kuriose Liebesgeschichte. Zur vollkommenen Mozart-Harmonie tanzen Yulanne de Groot und Pascal Schut einen Pas de deux, der so gar nicht zur vorgegebenen Musik passt. Allzu kapriziös, ja zickig lässt die Tänzerin jede beginnende Annäherung des Partners scheitern, ihre „eckigen“ Bewegungen und ihre Mimik verraten ihr Desinteresse - die Trennung ist unausweichlich. Und: Beim stürmischen Applaus kann Yulanne sogar lächeln.
Sechs Paare in bunten Catsuits gestalten Hans van Manens „Polish Pieces“ mit der Musik des polnischen Komponisten Henryk-Mikolaj Górecki. Den stampfend-rollenden Rhythmus setzen die Tänzer in vorwärtsdrängende Energie um: In endlos wechselnden Formationen kommen sie zusammen, zerstreuen sich nach ein paar Sequenzen. Durch das Tempo, durch die Vitalität und den Einsatz der Tänzerinnen und Tänzer entsteht Hochspannung. Zwei wunderschöne erotische Pas de deux sind nur kurze Ruhepunkte, Góreckis unerbittlicher Maschinenrhythmus reißt sie auseinander.
Auf andere Art eindrucksvoll ist schließlich „Cantus“ des Tänzers und Choreografen Nils Christe, langjähriges Mitglied des Nederlands Dans Theater. Er hat für dieses Werk die Musik von Arvo Pärt gewählt. „Sie vermittelt das Gefühl von etwas Heiligem, das habe ich zu Tanz werden lassen“, sagte er in einem Interview. Und es ist ihm gelungen, in seiner Choreografie diese Erhabenheit, diesen Ernst zu vermitteln – der Begriff „reiner Tanz“ drängt sich auf.
Zu hymnischen Klängen befreien fünf Tänzerinnen sechs am Boden liegende Tänzer aus einem sie umschließenden Kokon. Langsam bewegen und erheben sie sich, gesellen sich zur Gruppe. Im Tanz interpretiert Christe die Pärt-Kompositionen. Während auf der Vorderbühne virtuose Soli und Duette getanzt werden, verfolgt das Ensemble dies im Hintergrund, bewegt sich mit bedächtigen Schritten. Der ostinate Basston der Musik verstärkt den mystisch-hypnotischen Charakter des Geschehens. Nach einem furiosen Finale erstarren die Tänzer, verschwinden wieder in ihrer seidigen Ummantelung. Beifallsstürme, begeisterte Bravorufe für die Akteure von Introdans – attraktiver Gewinn im internationalen Tanztheater-Angebot des Schweinfurter Theaters.