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Wenn Liebeslieder politisch werden
„Ich singe über das, was ich sehe“: Josué Avalos versucht mit seiner Musik Aufmerksamkeit für die Menschenrechtslage in Mexiko zu wecken.
Foto: kollektiv tonali | „Ich singe über das, was ich sehe“: Josué Avalos versucht mit seiner Musik Aufmerksamkeit für die Menschenrechtslage in Mexiko zu wecken.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 09.04.2015 16:26 Uhr

Vor 15 Jahren kam Josué Avalos aus Mexiko nach Köln und machte sich rasch als Singer/Songwriter einen Namen. Doch seitdem Mexiko immer weiter in den Strudel der Gewalt abrutscht, kämpft er hierzulande um Aufmerksamkeit für die Probleme seines Landes. Am Samstag, 18., und Sonntag, 19. April, präsentiert er sein neues Programm in der Kulturwerkstatt Disharmonie. Josué Avalos ist Mitglied des kollektiv tonali, einer Gruppe spanischsprachiger Künstlerinnen und Künstler mit diversen kulturellen Hintergründen (Mexiko, Spanien, Brasilien, Deutschland, Chile), die Köln seit vielen Jahren ihre Heimat nennen. Gemeinsames Interesse ist die künstlerische Auseinandersetzung mit Entwicklungen in den Ländern Lateinamerikas.

Basis der Arbeit ist das Allerweltshaus Köln e.V., ein interkulturelles Zentrum in Köln-Ehrenfeld. 2014 realisierte das kollektiv tonali in Zusammenarbeit mit einer mexikanischen Künstler- und Theatergruppe die Fotoausstellung „Grenzerfahrungen“ sowie die Dokumentation „Entre el espanto y la fé – zwischen dem Schrecken und der Hoffnung“. Beide werden im Rahmen des Konzertes mit Josué Avalos in der Disharmonie zu sehen sein.

Frage: Deine Heimat Mexiko war in den vergangenen Jahren vor allem wegen des Drogenkrieges in den Schlagzeilen. Eine Vielzahl von Medien hat darüber berichtet. Spiegelt das, was in den Köpfen der Menschen in Deutschland ankommt, die Situation vor Ort wider?

Josué Avalos: Ich glaube nicht. Die aktuelle Lage in Mexiko ist sehr schwierig zu verstehen, weil viele Entwicklungen im Gange sind: Klar gibt es die Drogenkartelle, aber durch den „Krieg gegen die Drogen“ strukturieren sie sich neu. An vielen Orten bringt das die Gewalt erst hervor. Bestraft wird sie fast nie, denn der Staat verdient mit. Dann ist da eine erdrückende Propaganda der politischen Parteien und eine totale Apathie in weiten Teilen der Bevölkerung. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Bewegungen in der Zivilgesellschaft, die sehr hart dafür arbeiten, dass sich etwas ändert. In den letzten Jahren haben sich Künstlerkollektive gegründet und Bürgerinitiativen zusammengefunden; viele Indigene kämpfen gegen die Privatisierung von Ressourcen oder die Ausbeutung ihrer Territorien. Es tut sich also etwas.

Deine Lieder wirken oft zurückgezogen und gehen sehr nahe. Hat die aktuelle Lage in Mexiko einen großen Einfluss auf deine Musik?

Avalos: Sicherlich hat die Situation meines Landes Einfluss auf meine Musik. Ich singe über das, was ich sehe. In Mexiko ist vieles davon schmerzhaft und lässt sich schwer auf eine positive Art betrachten. Ich versuche zwar, in meinen Liedern Antworten zu finden, aber am Ende bleibt meist die Frage offen, warum alles so ist, wie es ist. Wenn soziale Bindungen so kaputt sind wie in Mexiko, dann werden sogar Liebeslieder ganz schnell politisch.

Du bist schon seit vielen Jahren in der Menschenrechtsarbeit aktiv, vor allem im Allerweltshaus in Köln. Oft wählt ihr künstlerische Mittel, etwa über szenische Lesungen, Filme oder eben deine Musik, um auf die Probleme in Mexiko aufmerksam zu machen. Hat sich dieser Ansatz bewährt?

Avalos: Ein sehr wichtiger Aspekt für uns ist der Versuch, gerade die Menschen zu erreichen, die sich für die Situation der Menschenrechte in Ländern wie Mexiko eigentlich nicht so sehr interessieren. Kunst erschafft neue Perspektiven und ermöglicht es, auf eine sehr einfühlsame Art miteinander zu kommunizieren – egal, wie komplex die Probleme sind. Überall auf der Welt streben die Menschen nach einem besseren Leben, in Mexiko macht die politische Situation das aber unmöglich. Wir in Deutschland können versuchen den Frust und die Traurigkeit der Menschen vor Ort zu verstehen, auch wenn unser Lebensumfeld ein ganz anderes ist.

Dein aktuelles Album heißt „Al garete“, was so viel heißt wie „vom Wind getrieben“ oder „orientierungslos“. Im Refrain des Titelsongs heißt es gar: „El mundo“, also die Welt, „va al garete.“ Ist die Welt aus den Fugen geraten?

Avalos: In der Natur ist Vieles auf so feine, fragile und auch unglaubliche Art miteinander verbunden. Alles strebt nach Perfektion. Aber wie wir Menschen uns verhalten, was wir erreichen wollen, das passt einfach nicht dazu. Bei dem Lied geht es mir also um die Frage: Kann eine so perfekte Ordnung wirklich reiner Zufall sein? Oder hat diese Perfektion vielleicht sogar einen Sinn, und wir sehen ihn nur nicht?

Neben deinen Solo-Projekten spielst du auch in zahlreichen Bands und Combos. Insgesamt ist der Sound dort lebensfroh und aufgedrehter. Manchmal gibt es sogar Rap-Einlagen von dir zu sehen. Bist du ein anderer Mensch, wenn du mit anderen auf der Bühne stehst?

Avalos: Ich lebe einfach eine andere Seiten von mir aus. Am Anfang meiner Karriere als Musiker war alles, was ich gemacht habe, eher ernst und sehr intim. Damals hätte ich nie gedacht, auf der Bühne herumspringen und schreien zu können. Aber was als eine Herausforderung begann, ist inzwischen ein fester Teil meines Repertoires geworden. Es ist einfach eine ganz besondere Art, etwas mitzuteilen, wenn man eine raue und aufgedrehte Stimmung schafft.

Josué Avalos und kollektiv tonali: Grenzerfahrungen. Konzert, Fotoausstellung, Dokumentarfilm. Samstag, 18., und Sonntag, 19. April. Beginn jeweils 19.30 Uhr in der Kulturwerkstatt Disharmonie. Karten: Tel. (0 97 21) 2 88 95.

 
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