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Wenn es keinen Weg zurück ins Leben gibt
Verantwortungsvolle Aufgabe: Dr. Matthias Wulf stellt als Transplantationsbeauftragter der Haßbergkliniken den Hirntod fest
Schneller Weitertransport: Nach der Explantation fliegt das Spezialistenteam mit den Organen in den Kühlboxen von Haßfurt aus zurück zum Transplantationszentrum, um dort den schwerkranken Empfängern die Organe einzupflanzen.
Foto: Flughafen Hassfurt | Schneller Weitertransport: Nach der Explantation fliegt das Spezialistenteam mit den Organen in den Kühlboxen von Haßfurt aus zurück zum Transplantationszentrum, um dort den schwerkranken Empfängern die Organe ...
Von unserem Redaktionsmitglied Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 26.04.2023 18:39 Uhr

Nach den aufgedeckten Manipulationen bei der Transplantationsmedizin in den Universitätskliniken in Göttingen und Regensburg scheint das gesamte Organspende-System in der Krise zu sein. Ärzte sollen gegen Bezahlung schwerkranke Patienten im Computersystem noch kränker gemacht haben, um sie so in der Warteliste der Organempfänger weiter oben platzieren zu können.

Dr. Matthias Wulf, Oberarzt in der Inneren Abteilung der Haßbergkliniken, ist Transplantationsbeauftragter des Krankenhauses. Er erwartet, dass der Skandal keine Auswirkungen auf die Organspendebereitschaft haben wird. Schließlich sei aus medizinischer Sicht bei den Organentnahmen und bei den Verpflanzungen alles vorschriftsmäßig gelaufen. Die Manipulationen seien lediglich auf der Warteliste geschehen. „Insgesamt ist das System in Ordnung und es funktioniert.“

Welche Aufgaben ein Transplantationsbeauftragter hat? Das klassische Fallbeispiel ist der Motorradfahrer, der nach einem schweren Verkehrsunfall in die Klinik eingeliefert wird. Er ist jung, kerngesund, doch das beim Aufprall erlittene Schädel-Hirn-Trauma wird trotz intensivmedizinischer Hilfe unweigerlich zum Tod führen. Aufgabe des Transplantationsbeauftragten ist es in solch einem Fall, nachzuspüren, ob die Möglichkeit einer Organentnahme gegeben ist.

Allzu oft kommt Wulf aber in dieser Eigenschaft nicht zum Einsatz. Seit 2004, als er die Aufgabe übernahm, ist es in Haßfurt erst zu einer Organentnahme gekommen. „Das liegt daran, weil wir ein kleines Krankenhaus sind.“ Besonders schwere medizinische Fälle werden gleich in größere Kliniken eingeliefert oder dorthin weiterverlegt, etwa ins Leopoldina Schweinfurt oder in die Universitätskliniken in Würzburg.

Tritt dann doch einmal der Fall ein, dass eine mögliche Organspende im Raum steht, muss Wulf zunächst medizinische Aspekte abklären. Als Organspender kommen von vorneherein solche Personen nicht in Betracht, die nach einem Organversagen – etwa nach einer Sepsis (Blutvergiftung) – gestorben sind, oder die an Tumoren und Geschwüren beziehungsweise an unheilbaren Infektionskrankheiten litten. „Die Gefahr ist hier viel zu groß, dass in den Organismus des Organempfängers fremde Erreger eingeschleppt werden.“ Für eine Explantation, also eine Entnahme von Organen, eignen sich grundsätzlich also nur solche Patienten, deren Organe gesund sind, deren Hirn aber unwiederbringlich und irreparabel abgestorben ist.

Verschiedene Ursachen für Hirntod

Es gibt die unterschiedlichsten Ursachen für einen Hirntod. Denkbar ist die unmittelbare Zerstörung der Hirnzellen zum Beispiel beim Aufprall während eines schweren Unfalls. Auch in der Folge nach einem Schädel-Hirn-Trauma kann es zu tödlich verlaufenden Komplikationen kommen, wenn das Hirn anschwillt und sich dadurch im engen Schädel der Druck so erhöht, dass der vom Herzen erzeugte Blutdruck nicht mehr ausreicht, um das Zentralorgan mit ausreichend Blut zu versorgen. Ebenso können aber auch eine Hirnblutung, eine Entzündung oder ein Hirntumor zum Absterben des Hirns führen.

Kommt nun der Transplantationsbeauftragte der Klinik zum Ergebnis, dass der Sterbende als Organspender geeignet sein könnte, wird er sich mit den engsten Angehörigen des Patienten kurzschließen und sondieren, ob bei den Hinterbliebenen die Bereitschaft einer Organspende besteht oder wie der Patient selbst noch in gesunden Tagen über dieses Thema gedacht hat. „Die Angehörigen sind hier natürlich in einer absoluten Extremsituation“, weiß Matthias Wulf. Deshalb seien dies durchaus „heikle Gespräche, die mit Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen geführt werden müssen“. Wulf zieht in solchen Fällen in der Regel einen Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hinzu. Diese Kollegen seien für die Gespräche speziell geschult und hätten große Erfahrung.

Stimmen die Angehörigen einer Organentnahme zu, beginnen drei von einander unabhängige Mediziner (einer von ihnen ist Matthias Wulf, ein weiterer kommt aus dem Transplantationszentrum Erlangen) mit ihren Untersuchungen, ob bei dem Patienten der Hirntod eingetreten ist. Dabei ist genau festgelegt, welche Tests die Mediziner in welcher Reihenfolge vornehmen müssen, ehe sie den Hirntod mit ihrer Unterschrift in einem Protokoll bestätigen. Zunächst werden an dem Patienten fünf verschiedene Reflexe beidseitig getestet, deren Auslösen normalerweise vom Hirnstamm gesteuert werden. Selbst bei tief bewusstlosen Menschen können diese Reflexe noch ausgelöst werden. Sind die Reflexe beidseits nicht mehr vorhanden, wird dies als erstes, aber nicht ausschließliches Indiz für ein Absterben des Hirnstamms gewertet:

• die Pupillenreaktion: Normalerweise reagieren die Pupillen auf einen Lichtstrahl, indem sie sich beide zusammenziehen. Ist der Hirntod eingetreten, sind beide Pupillen mittelweit oder weit, manchmal auch unterschiedlich weit geöffnet – und sie reagieren nicht mehr auf wechselnde Lichtreize.

• das Puppenkopfphänomen: Ist ein Patient nur bewusstlos, reagiert er auf schnelle Drehbewegungen seines Kopfes trotzdem mit einer langsamen Gegenbewegung der Augen. Bei einem Hirntoten bleiben die Augen während des vom Arzt vorgenommenen Tests reaktionslos in ihrer Ausgangslage – wie bei einer Puppe.

• der Hornhautreflex: Sobald ein Fremdkörper das menschliche Auge berührt, schließen sich die Lider im Bruchteil einer Sekunde. Wird diese Reaktion bei einem Hirntoten mit einem Wattestäbchen geprüft, erfolgt aber keine Reaktion.

• Reaktion auf Schmerzreize: Auch Patienten im tiefen Koma reagieren auf Schmerzreize im Gesicht (zum Beispiel zwicken) noch mit erkennbaren Abwehrreaktionen der Kopf- und Gesichtsmuskulatur. Hirntote haben diesen Reflex nicht mehr.

• Würg- und Hustenreflex: Berührungen der hinteren Rachenwand lösen immer einen Würgereflex aus. Selbst tief Bewusstlose zeigen diesen Reflex, etwa wenn man ihnen mit einem Schlauch Schleim aus dem Rachen absaugen muss. Ein Hirntoter reagiert hier nicht mehr.

Nächster Schritt: Eigenatmung-Test

Erst wenn diese fünf Reflexe alle ausgefallen sind, kommt es zum nächsten Schritt: Die Fähigkeit zur Eigenatmung wird geprüft, indem die Beatmungsmaschine auf nur zwei Atemzüge pro Minute heruntergefahren wird. Der Hintergrund: Das unbewusste Atmen ist ein lebenswichtiger Reflex, der ebenfalls vom Hirnstamm gesteuert wird. Beim Aussetzen der Atmung kommt es schnell zum Anstieg des Kohlendioxid-Gehalts im Blut, was einen maximalen Reiz im Atemzentrum im Hirnstamm auslöst. Atmet der Patient trotz der hohen Kohlendioxidwerte im Blut nicht, ist es ein Beweis, dass das Atemzentrum ausgefallen ist. Ein weiteres Indiz für einen Hirntod. Liegt keine Eigenatmung mehr vor, kommt es bei den Untersuchungen der Experten zur dritten Phase: Entweder werden die genannten Reflex-Untersuchungen nach zwölf bis 72 Stunden nochmals wiederholt. Sind die Reflexe wieder nicht da, wird der Hirntod erklärt. Damit wird die Unumkehrbarkeit des vollständigen Gehirnausfalls belegt.

Elektrische Aktivität im Hirn?

Alternativ zu dieser Wartezeit ist es möglich, die elektrische Aktivität des Hirns und/oder die Durchblutung des Hirns durch Apparate zu überprüfen. Häufig angewendet wird hier die EEG, die Elektro-Enzephalografie. Für den Hirntod spricht, wenn 30 Minuten lang keine elektrische Aktivität des Hirns, also eine Null-Linie, festgestellt wird. Die Spezialgeräte für die Untersuchung bringt der Experte vom Transplantationszentrum Erlangen mit. Haben alle drei Mediziner nach dem Sechs-Augen-Prinzip den Hirntod bestätigt, reist das Entnahmeteam an und entnimmt dem Spender in einer aufwändigen Operation ein oder mehrere Organe.

Quellnachweis: „Kein Weg zurück...“, eine Informationsbroschüre der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Wie läuft eine Explantation ab?

Bis zur Organentnahme in einem OP-Saal durch das angereiste Entnahme-Team müssen die Anästhesisten vor Ort dafür sorgen, dass im Körper des Organspenders der Stoffwechsel läuft. Je nach Bedarf verabreichen sie dafür Medikamente, Blut oder Frischplasma. Werden Organe aus dem Brust- und Bauchbereich entnommen, wird mit dem Skalpell zunächst ein Schnitt vom Brustbein zum Schambein vorgenommen. Mit einer OP-Säge wird der Brustkorb durch das Brustbein geöffnet, die Bauchdeckenlappen werden nach außen geklappt und fixiert. Die Organe werden anschließend für die Entnahme freigelegt und vorbereitet. Oberste Wichtigkeit hat die Konservierung der Organe. Um dies zu erreichen, werden sie mit einer kalten Flüssigkeit (vier Grad Celsius) durchgespült, um das Blut auszuschwemmen. Durch den hohen Kaliumgehalt der Perfusionslösung kommt es beim Organspender jetzt zum Herzstillstand. Gleichzeitig werden die beiden entstandenen Hautlappen hochgehalten, die Operateure schütten kaltes Wasser zum Kühlen der Organe in den Körper und saugen es wieder ab. Die künstliche Beatmung wird abgestellt und die Organe entnommen. Abschließend wird der Körper verschlossen.

Quelle: www.transplantation-information.de

Ein Herz nach der Entnahme: Das Organ wurde mit einer kalten Perfusionslösung gespült und wird nun auf Eis gelagert möglichst schnell zum Empfänger gebracht.
Foto: DPA | Ein Herz nach der Entnahme: Das Organ wurde mit einer kalten Perfusionslösung gespült und wird nun auf Eis gelagert möglichst schnell zum Empfänger gebracht.
Dr. Matthias Wulf, Oberarzt in der internistischen Abteilung der Haßbergklinik in Haßfurt, ist der Transplantationsbeauftragte des Krankenhauses.
Foto: Klaus Vogt | Dr. Matthias Wulf, Oberarzt in der internistischen Abteilung der Haßbergklinik in Haßfurt, ist der Transplantationsbeauftragte des Krankenhauses.
 
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