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Schweinfurt
Wiedereröffnungen: Wenn das Tattoo-Studio einem OP-Saal gleicht
Die Branche mussten lange auf die Wiedereröffnung warten. Jetzt darf wieder tätowiert und gepierct werden. Welche Auflagen Künstler und Kunden künftig befolgen müssen.
Es kann wieder losgehen: Das Team des Schweinfurter Tattoo-Studios 'Heartbeat' ist nach der Corona-Pause ab Montag wieder für die Kunden da. Von links: Tätowierer Manuel Hemmert, Inhaberin und Tätowiererin Alex Schreiber, Piercerin Kerstin Scheinpflug und Tätowiererin Stefanie Stöcklein.
Foto: Michael Bauer | Es kann wieder losgehen: Das Team des Schweinfurter Tattoo-Studios "Heartbeat" ist nach der Corona-Pause ab Montag wieder für die Kunden da.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:59 Uhr

Alex Schreiber jucken die Finger. Ab Montag darf sie wieder die bunten Träume ihrer Kunden erfüllen. Acht Wochen ging wegen des Corona-Lockdowns gar nichts mehr in den deutschen Tattoo-Studios, jetzt hat die bayerische Staatsregierung ihr O.k. für eine Wiedereröffnung von Dienstleistungsbetrieben mit Kundenverkehr gegeben – unter strengen Auflagen. Und so öffnet auch Schreibers Atelier "Heartbeat" in der Schweinfurter Fußgängerzone bereits zu Wochenbeginn, obwohl da eigentlich bei ihr Ruhetag ist.

"Aber wir hatten so viele ausgefallene Termine, das müssen wir wieder aufholen", sagt die 43-jährige Tattoo-Künstlerin, die vor dem Gesetz als Handwerkerin gilt. Rund 240 Sitzungen mussten sie und ihre beiden Kollegen in dem Zeitraum absagen, Termine, auf die Kunden ("die meisten haben cool reagiert und nicht gedrängelt") bis zu einem Dreivierteljahr gewartet hatten. Der Vorteil für das Trio: Bei der ausgebuchten Auftragslage gibt es keine Anlaufzeit, das Geschäft läuft vom Start weg - es müssen gar ein paar Sonderschichten an eigentlich freien Tagen geleistet werden, "um hoffentlich bis Jahresende alles aufgeholt zu haben. Außerdem will ich alles abarbeiten, was geht, ehe vielleicht doch noch eine zweite Corona-Welle kommt."

Gefühlte unterlassene Hilfeleistung

Weniger rund könnte es für die Vierte im Bunde, Piercerin Kerstin Scheinpflug, laufen: Sie muss zunächst auf Metallschmuck im und am Mund sowie im Gesicht verzichten - so will es der Hygieneschutz. Sie durfte übrigens auch nicht Kunden behandeln, die Probleme mit einem frischen Piercing hatten: "Da war die Ansage vom Gesundheitsamt, dass ich sie an Ärzte verweisen solle. Das hat sich für mich fast schon wie unterlassene Hilfeleistung angefühlt."

Ein Schwarz-Weiß-Foto wie aus alten Tagen: Bis Mitte März durfte Alex Schreiber noch ohne Mundschutz und 'Face-Shield' tätowieren.
Foto: Schreiber | Ein Schwarz-Weiß-Foto wie aus alten Tagen: Bis Mitte März durfte Alex Schreiber noch ohne Mundschutz und "Face-Shield" tätowieren.

Ganz ohne Auflagen geht es aber auch beim Tätowieren nicht. Für Schreiber und Co. heißt das künftig, neben dem Mundschutz auch ein "Face-Shield" zu tragen, ähnlich einem Helm-Visier. Zudem müssen portable Desinfektionsplätze vorhanden sein, die auf zwei Etagen liegenden Arbeitsplätze getrennt voneinander zugänglich sein. Die Szenerie gleicht einem OP-Saal. "Außerdem tätowiere ich auf freiwilliger Basis erst einmal nicht am Hals oder im Gesicht", sagt die gebürtige Gerolzhöferin, die mit Freund, Sohn und Hund in Sennfeld wohnt. 

Auch die Kunden müssen Mundschutz tragen ("wird von uns gestellt, damit er auch hundertprozentig frisch ist"), sich die Hände vor Ort waschen und desinfizieren - und sie dürfen keine Handys nutzen ("ein unnötiger Virenherd"). Und: Es gibt zunächst keinen Publikumsverkehr, der Besuch ist nur auf Termin möglich.

"Ich tätowiere auf freiwilliger Basis erst einmal nicht am Hals oder im Gesicht."
Tattoo-Künstlerin Alex Schreiber nimmt die Hygiene-Auflagen sehr ernst

"Im Grunde sind das die üblichen Hygieneschutzkonzepte", bestätigt Kristina Dietz, Pressesprecherin des Schweinfurter Ordnungsamts. Dass dieses Tattoo-Studios, sehr zum Ärger von Schreiber und Co., nach der Veröffentlichung der 4. Infektionsschutzverordnung durch Ministerpräsident Markus Söder am vergangenen Dienstag zunächst bis Donnerstag nicht auf der Positivliste geführt hatte und die Schweinfurter Tätowierer unsicher waren ob der Öffnungserlaubnis, bedauert Dietz und erklärt: "Wir müssen als Ordnungsamt immer erst auf die schriftliche Rechtsgrundlage warten. Wir können kein Grünes Licht geben aufgrund der Aussagen, die wir im Fernsehen hören."

Dass die Tätowierer länger warten mussten bis zur Wiedereröffnung als Frisöre, fällt für Dietz unter den "Ermessensspielraum, was systemrelevanter sein mag". Kontrolliert würden Tattoo-Studios nun aber keineswegs intensiver als andere Betriebe ("höchstens bei Auffälligkeiten wie einer ungewöhnlichen Ansammlung von Menschen vor dem Laden"). Die Branche, sofern nicht im Untergrund angesiedelt, steht ohnehin für maximale Hygiene-Garantie. Maschine, Nadel, Sitz- oder Liegeflächen, zu tätowierende Körperteile - alles wird schon seit jeher gründlich desinfiziert, bevor es losgeht. Einweghandschuhe gehören eh zum Standard.

Hat was von OP-Tisch: So sieht tätowieren ab Montag auf unbestimmte Zeit aus - Künstler und Kunde mit Mundschutz.
Foto: THIBAULT SAVARY/AFP | Hat was von OP-Tisch: So sieht tätowieren ab Montag auf unbestimmte Zeit aus - Künstler und Kunde mit Mundschutz.

Trotzdem hatte Schreiber, im Gegensatz zu vielen Kollegen, die in den sozialen Medien vehement Vergleiche zu anderen, von Lockerungen früher begünstigten Wirtschaftszweigen anstellten, lange Zeit durchaus Verständnis für die staatliche Zurückhaltung: "Gerade nach größeren Tätowierungen wird das Immunsystem für ein, zwei Tage herunter gefahren. Allerdings hat es mich schon geärgert, dass die ganze Zeit Alkohol und Zigaretten erhältlich waren, deren Genuss ebenfalls das Immunsystem beeinträchtigen." Sicherheitshalber hat die Tattoo-Künstlerin jedoch alle Sechs-Stunden-Sitzungen auf maximal vier Stunden reduziert - der Belastung für den Körper wegen.

Wirtschaftlicher Schaden überschaubar

Immerhin hat Alex Schreiber die Wartezeit wirtschaftlich halbwegs unbeschadet überstanden: Ihre Kolleginnen und Kollegen im Studio arbeiten jeweils selbstständig, im Bereich des Empfangs gab es ohnehin just zum Zeitpunkt des Lockdowns eine Umbesetzung. Personalkosten hatte sie also nicht, lediglich Betriebskosten für das Atelier - dafür gab's reibungslos 5000 Euro für die Betriebskosten, "gerade so kostendeckend". Was sich in den nächsten Tagen und Wochen allenfalls negativ auswirken könnte, sind Finanzsorgen einzelner Kunden, die trotz bestehender Termine wegen Corona-bedingter Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit einfach kein Geld für Tattoos übrig hätten. "Ein Kunde hat aus diesem Grund bereits storniert."

Acht Wochen war die Türe zu, nun dürfen (von links) Alex Schreiber, Kerstin Scheinpflug, Manuel Hemmert und Stefanie Stöcklein wieder tätowieren und piercen.
Foto: Michael Bauer | Acht Wochen war die Türe zu, nun dürfen (von links) Alex Schreiber, Kerstin Scheinpflug, Manuel Hemmert und Stefanie Stöcklein wieder tätowieren und piercen.

Der Alptraum freilich: Ein Kunde würde später als infiziert registriert. Für einen solchen Fall muss Schreiber eine Infektionsschutzgesetz-Liste abarbeiten. Darunter fällt eine beim Termin auszufüllende Anwesenheitsdokumentation, so dass bei einer möglichen Infektion der Bewegungsradius des oder der Betroffenen nachvollziehbar ist. "Der Kunde muss zwar vor dem Termin nicht mit einem aktuellen Test nachweisen, dass er nicht infiziert ist, er muss aber schriftlich bestätigen, dass er keinen Kontakt zu Infizierten hatte, dass er nicht wissentlich infiziert ist, oder ob bereits eine Corona-Erkrankung hinter sich hat." Heißt: Neben der bunten Kunst fürs Erste auch sehr viel triste Bürokratie.

 
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