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WEIPOLTSHAUSEN
Weltbürgerin mit Blick auf die Heimat
Charlotte Wahler
 |  aktualisiert: 10.03.2018 02:34 Uhr

Aus dem kleinen Dorf in die Welt hinaus zu reisen, als Frau alleine die Kontinente zu besuchen, andere Kulturen kennenzulernen und so weltoffen und ohne Angst den Menschen zu begegnen, dass der Blick auf die Heimat aus der Perspektive einer Weltbürgerin möglich wird - davon zu träumen ist eine schöne Angelegenheit. Ein solches Abenteuer zu verwirklichen, ist Ilse Vogel gelungen.

„Erst in der >anderen< Kultur habe ich die Eigene entdeckt“, erzählt Vogel. Die ehemalige Lehrerin und evangelische Prädikantin schätzt den Wert des Fragens, des Nachfragens, des genau Hinschauens und ist Beispiel dafür, dass auf diese Weise ein wirklicher Wert entsteht, ein innerer Reichtum, der das Leben erfüllt. „Neugier kann eben auch eine Qualität sein“.

Als das ganze Dorf noch ein Spielplatz war

Wie fängt das an mit der Reiselust, mit dem Fernweh, mit der Neugier auf die große weite Welt? Könnte der Keim schon in der Kindheit gelegt sein, als der Großvater das Postwesen im kleinen mittelfränkischen Diespeck in Obhut hatte und die kleine Ilse Telefonbotin spielte, in fremde Häuser hineindurfte und da schon ihre frühe Reiselust auslebte? Damals gab es nämlich nur ein Telefon im Dorf, das war im Postamt. Damals war das normal - auch, dass Kindern das ganze Dorf ein Spielplatz war. Nach Diespeck war das Kind evakuiert, weil zuhause in Nürnberg die Bomben fielen. „Während der Kriegsjahre hatte ich eigentlich eine schöne Zeit, weil ich mehrere Bezugspersonen hatte als nur die Eltern.“ Das bereichert den kindlichen Kosmos. In Diespeck lebten jahrhundertelang Christen und Juden zusammen. Nach dem Krieg war nichts mehr davon übrig. Ilse Vogel wird sich später über viele Jahre mit dem Thema befassen.

Unbekannte Wege erforschen

Von Nürnberg war auch nichts mehr übrig und Vogel erinnert sich, wie sie jahrelang kilometerweit zu Fuß ging durch die zerbombte Stadt. „Das geht mir noch heute so, dass ich, wenn ich einen unbekannten Weg vor mir habe, da gleich entlang gehen will.“

Vogel studierte Lehramt, „das war damals ein ausgezeichneter Weg, Beruf und Neigung miteinander zu verbinden, schon während des Studiums bin ich mit der inneren Mission und Kindern aus armen Familien in den Ferien verreist, an die Nordsee und in die Berge“. Das Reisen war damals noch eine völlig andere Angelegenheit, die Welt war nicht abgegrenzt zwischen touristischen und einheimischen Lebenswelten. „Während des Studiums war eine Reise nach Israel angeboten, für vier Wochen zur Orangenernte, das habe ich mich damals noch nicht getraut als Deutsche.“ Es sollte noch 20 Jahre dauern, bis Vogel dieses besondere Sehnsuchtsland besuchen konnte.

1966 nach Portugal

Die erste „richtige“ Reise führte sie mit einer Kollegin nach Nordspanien und Portugal, im Jahr 1966 war das. „Da habe ich das Fotografieren gelernt, es war eine Studienreise im besten Sinn“. Nachmittags war die junge Frau alleine unterwegs und entdeckte die Deutsche Schule in Lissabon. Da war die nächste Sehnsuchtsstation entdeckt: In den Auslandsschuldienst gehen!

So kam sie 1969 an die internationale Schule in Fontainebleau, die Freundschaften, die sie geknüpft hat, halten ein Leben lang. Über 15 Jahre lang fuhr sie immer wieder nach Cuers bei Toulon und besuchte die Frau, mit der sie anfangs regelmäßig Konversation geübt hatte. Da heilten die Wunden zwischen den Völkern.

Zuhause in Weipoltshausen lebte sie als moderne junge Frau in einem Umfeld, in dem die anderen Frauen „höchstens mit dem Bulldog“ unterwegs sein konnten. Es war ihr immer wichtig, ihre Reisen zu dokumentieren und einen Sinnzusammenhang zu entwickeln. Dazu gehörte auch die Vermittlung. Sie führte 27 Jahre lang einen Gesprächskreis, bei dem sie die Weltreligionen vorstellte. Weil sie die ganze Welt bereist hat, konnte sie dazu auch Bilder zeigen. „Ich bin, glaube ich, schon als Lehrerin geboren worden“, erzählt sie lachend und erinnert an den Zusammenhang von Beruf und Berufung. Wenn das Erfahrungsfeld so weit gesteckt ist und so groß ist, wird das Vermittelte lebendig.

Zum aktuellen Flüchtlingsthema erzählt sie die Geschichte von der französischen Gemeinde Dieulefit in der Provence mit 3000 Einwohnern, die rund 1500 jüdische Flüchtlinge vor den Nazis versteckten. „Die haben alle dichtgehalten, keiner wurde deportiert“. Gelebte Solidarität gegen eine finstere Zeit.

Sie erzählt von ihren Reisen auf alle Kontinente. In den asiatischen Raum, mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Japan, auf den Spuren Alexanders des Großen, sie nennt Länder, die es heute nicht mehr gibt oder in die man nicht mehr reisen kann. In Kundus war sie auch, aber das ist lange her. Da war noch kein Krieg in Afghanistan und die Bundeswehr war noch nicht da. Mit dem Frachtschiff fuhr sie nach Südamerika und der Kapitän stellte ihr den Ersten Offizier zur Begleitung ab, als sie das gefährliche Cali besuchte.

In Nepal auf Trecking-Tour

In Nepal war sie alleine auf einer Trecking-tour mit ihren Führern, die blieben unter sich und sie spürte, wie es ist, mit sich selbst alleine etwas anzufangen. In den USA war sie im Jahr 1968 für vier Wochen, in Chile zur Zeit der Wahl von Salvador Allende. Eine Zeitzeugin großer Ereignisse. Den Panama-Kanal hat sie gesehen, Australien, alle Gegenden der Welt hat sie kennengelernt. Im Jahr 1974 hat sie Ceylon besucht und sich mit dem Buddhismus befasst. „Bei Spezialthemen habe ich immer geschaut, dass ich einen Fachmann oder eine Fachfrau kriege“. Ein Sabbatjahr konnte sie damals einschieben, das hat sie auf Reisen verbracht. Im Jahr 1983 reiste sie dann doch nach Israel und danach mit großer Liebe noch 20mal. Die Verknüpfung von Religion und Politik findet sie verheerend, wo immer sie geschieht.

Auf Augenhöhe mit den Menschen fremder Länder

Es sind immer die Menschen, für die sie sich interessiert, aber auch manche Naturerlebnisse vergisst sie nie. Besonders beeindruckt hat sie das Great Barrier Reef vor Australien, das heute so nicht mehr existiert, Sie erzählt von kristallklarem Wasser, von tätigen Vulkanen und von der großen Muschel, die sie im Jahr 1979 vom Strand vor Sulawesi mit nach Hause getragen hat.

In der englischen und französischen Sprache ist sie Zuhause, sie will „wo es nur geht, auf Augenhöhe mit den Menschen sprechen“, ein bißchen spanisch gehörte auch dazu und zuletzt hat sie hebräisch lesen gelernt. Heute, im Alter von fast 80 Jahren, ist das Reisen zwar beschwerlicher geworden, aber ihr Forschergeist entfaltet sich weiter, indem sie ihr sechstes Buch schreibt. Fünf Werke über die christlich-jüdische Kultur, wie das Miteinander von Menschen unterschiedlichen Glaubens eine gute Kultur schaffen kann, hat sie bisher veröffentlicht, das letzte wurde vom Bezirk Mittelfranken herausgegeben. „Es ist mir erst hinterher aufgegangen, welche Ernte ich einfahren konnte, das sortiert sich erst im Nachhinein“. Ein außergewöhnlich gelungenes weibliches Leben.

Ilse Vogel und die Muschel, die sie vom Strand vor Surinam (Indonesien) mit nach Hause getragen hat.
Foto: Charlotte Wahler | Ilse Vogel und die Muschel, die sie vom Strand vor Surinam (Indonesien) mit nach Hause getragen hat.
 
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  • eboehrer@gmx.de
    Zu: "... Dieulefit in der Provence mit 3000 Einwohnern, die rund 1500 jüdische Flüchtlinge vor den Nazis versteckten. ..."
    Laut Internet sollen bei den 1500 Flüchtlingen auch jüdische Kinder und Erwachsene gewesen sein. Also nicht alle.
    Das zur Info.
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