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Schweinfurt
Welche medizinische Vorsorge ist im Alter sinnvoll?
Beim Arzt-Patienten-Seminar im Leopoldina ging es auch um ein selbstständiges Leben bis ins hohe Alter. Nicht alle Untersuchungen sind in jedem Alter angeraten.
Selbst bei älteren Menschen sollte in der Regel ein Wert von 140/90 mgHg angestrebt werden, rät Dr. Stephan Kanzler, Chefarzt der Medizinischen Klinik II am Leopoldina.
Foto: Bernd Weissbrod | Selbst bei älteren Menschen sollte in der Regel ein Wert von 140/90 mgHg angestrebt werden, rät Dr. Stephan Kanzler, Chefarzt der Medizinischen Klinik II am Leopoldina.
Manfred Herker
 |  aktualisiert: 19.10.2020 10:44 Uhr

Die Deutschen werden immer älter: Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt heute beträgt  bei Männern 78 Jahre, bei Frauen 83 Jahre – mehr als doppelt so hoch wie Ende des 19.Jahrhunderts. Heute 75-jährige Männern haben laut Statistik eine verbleibende Lebenserwartung von 10 Jahren, Frauen eine solche von 12 Jahren. Jedes Jahr steigt die Lebenserwartung um drei Monate.

Zum Thema "Medizinische Vorsorge im Alter – was macht Sinn?" sprach beim Leopoldina Arzt-Patienten-Seminar Prof. Dr. Stephan Kanzler, Chefarzt der Medizinischen Klinik II. Die Steigerung des Lebensalters sowie die demografische Entwicklung seien auch gesundheitsökonomische Herausforderungen, betont Kanzler. Bei 45-65-Jährigen betragen etwa die durchschnittlichen Krankheitskosten pro Jahr bei Frauen 3100 Euro, bei Männern 2700 Euro. Im Alter von 85 Jahren steigt dieser Betrag auf 12 600 Euro bei Frauen und auf 11 600 Euro bei Männern. So gehe es bei der Vorsorge für den Einzelnen um ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben bis ins hohe Alter. Für die Gesellschaft bedeute Vorsorge eine Reduzierung der Gesundheitsausgaben und eine nachhaltige Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme.

Eigenverantwortliche Vorsorge

Kanzler nennt als Grundvoraussetzungen einer eigenverantwortlichen Vorsorge: Eine positive Einstellung zum Körper und zum Leben. "Jeder Tag zählt" und "es ist nie zu spät, etwas für sich zu tun". Im Einzelnen erläutert er zunächst die Grundlagen einer ausgewogenen Ernährung: Vermeidung von Übergewicht, reichlich Obst und Gemüse, weniger Fleisch, dafür Fisch, weniger Fett und Zucker, Alkohol moderat, viel Flüssigkeit. Kanzler macht auf eine Metaanalyse aufmerksam, nach der die unkontrollierte Einnahme von Beta-Carotin, Vitamin A und E gesundheitsschädlich sei.

Körperliche Aktivität (ein bis vier Stunden pro Woche) reduziert kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall), Diabetes, Krebserkrankungen und hat positiven Einfluss auf Übergewicht, Blutdruck und die Seele. Auch die Einstellung des richtigen Blutdrucks gehört zu den Vorsorgemaßnahmen. Selbst bei älteren Menschen sollte in der Regel ein Wert von 140/90 mgHg angestrebt werden.

Bei Diabetes helfen eine geeignete Diät, viel Bewegung und eine medikamentöse Therapie zur Verbesserung der Blutzucker-Werte. Bei all diesen Empfehlungen gehe es nicht zuletzt um eine Reduktion von Herzinfarkt und Schlaganfall. In einem solchen Fall nicht zu zögern, legt Kanzler den Zuhörern ans Herz: Sofort Notruf Tel. 112 bei Schlaganfall (neurologische Ausfälle), bei Brustschmerzen und bei Blutverlust aus dem Verdauungstrakt. "Zeit ist hier oft Leben, in jedem Fall bessere Lebensqualität", ermuntert Kanzler zum sofortigen Handeln.

Verzögerung der Demenz

Die Diagnose Demenz lasse sich durch regelmäßige geistige, körperliche und soziale Aktivität verzögern – am besten mit einer Kombination all dieser Komponenten, erläutert Kanzler. "Die Verzögerung des Beginns einer Demenz um fünf Jahre würde die Häufigkeit halbieren." Zur Prävention von Osteoporose rät Kanzler zur körperlichen Aktivität, Nikotinabstinenz und Knochendichtemessung bei Verdacht. Beim Vorliegen einer Osteoporose sollten Frauen über 65 Jahren Vitamin D, eine Calciumsubstitution und Biphosphonate  erhalten.

Ein normaler Knochen (links) und ein Knochen mit Osteoporose.
Foto: Bilderzwerg/fotolia | Ein normaler Knochen (links) und ein Knochen mit Osteoporose.

Ein Drittel aller Menschen über 65 Jahre und die Hälfte aller über 90 Jahre stürzt pro Jahr mindestens einmal. Sturzverletzungen können "der Anfang vom Ende" sein, gibt Kanzler zu bedenken. Er empfiehlt gutes sicheres Schuhwerk mit rutschfester Sohle, Verwendung einer Gehhilfe. Stürze beim nächtlichen Toilettengang würden oft durch Schlafmittel-Benommenheit verursacht. Die Korrektur von Schwerhörigkeit bedeute bessere soziale Interaktion, verhindere den geistigen Abbau und diene der Erkennung von Gefahren, etwa im Straßenverkehr.

Impfungen retten Leben

Kanzler plädiert für eine Grippeimpfung und eine Impfung gegen Lungenentzündung. In Deutschland gibt es pro Jahr 5000 bis 20 000 grippebedingte Todesfälle. Eine Impfung führe zu 27 Prozent weniger Krankenhausaufenthalten auf Grund von Grippe und Lungenentzündung, und sie führe zu einer 48 Prozent geringeren Sterblichkeit. Diese Impfungen seien besonders wichtig bei Menschen über 65 Jahren oder beim Vorliegen einer chronischen Erkrankung (Lunge, Herz, Diabetes).

Kanzler empfiehlt einen kritischen Umgang bei der Einnahme von Medikamenten. Die Frage "Sind alle Tabletten wirklich notwendig?" sollte man mit seinem betreuenden Arzt besprechen. 38 Prozent der über 70-Jährigen nehmen mehr als fünf Medikamente täglich ein – "da sind die Interaktionen unüberschaubar". So gebe es auch viele Krankenhausaufenthalte auf Grund von Nebenwirkungen. Ebenso sei eine kritische Prüfung angebracht bei manchen Screening-Verfahren. Als Beispiel: Die Bestimmung des PSA-Wertes bei einem 75-jährigen Mann sei nicht sinnvoll, da in diesem Alter ein Prostatakrebs nur sehr langsam wachse. Das Wissen um eine Krankheit, die man dann doch nicht beeinflussen könne, helfe niemandem weiter (Belastungsfaktor). Eine Überdiagnostik oder Übertherapie könne zu Folgeschäden führen.

Den Wert einer oft lebensrettenden Vorsorgemaßnahme demonstriert Kanzler abschließend am Beispiel Darmkrebs. Bei der Früherkennung durch eine Darmspiegelung (Koloskopie) werden prognostisch günstige Krebsstadien erkannt, die konsequente Entfernung kleinster Polypen (Krebsvorstufen) ist die ideale Krebsvorbeugung. Da die Darmkrebs-Häufigkeit im Alter stark ansteige, sei auch hier bei über 75-Jährigen diese Untersuchung sinnvoll. Kanzler: "Es ist erfreulich, dass durch die Vorsorge-Koloskopie die Rate an frühen Tumorstadien und somit an heilbaren Tumoren deutlich zunimmt".

 
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