Sie fehlt, die Kinderarztpraxis in Werneck. Jahrzehntelang hatte Dr. Hans Ibel Kinder und Jugendliche aus der ganzen Region behandelt, seit 1. Oktober ist für ihn altersbedingt Schluss. Die Praxis, die das Medizinische Versorgungszentrum Leopoldina (MVZ) vor knapp zwei Jahren übernommen hatte, ist geschlossen. Was wohl auch so bleiben wird. „Der Standort Werneck wird derzeit nicht mehr weiterverfolgt“, heißt es von dort.
Bis Bamberg oder Hammelburg müssten junge Eltern aus Werneck fahren, wenn sie einen Kinderarzt brauchen, klagt Gemeinderat Andreas Klenkert. Denn auch andere Kinderärzte in der Region könnten kaum noch neue Patienten aufnehmen.
„Die Leute rufen deshalb in der Gemeinde an“, erklärt Bürgermeisterin Edeltraud Baumgartl. Ihr Rat: Sich bei den Krankenkassen beschweren. Sie selbst hat an Politiker geschrieben. Deren Antwort lautete, es gebe angeblich eine Überversorgung mit Kinderärzten im Schweinfurter Raum. Baumgartl fragte auch im MVZ in Schweinfurt, wie sie helfen könne. Man habe keine Kinderärzte, man suche selbst welche, hieß es.
Dass es so weit kommt, „liegt an der Arroganz und Willkür der Krankenkassen“, schrieb Dr. Ibel in einer Anzeige im Gemeindeblatt. Schuld trage die Kassenärztliche Vereinigung (KV) und eine falsche Berufspolitik. Um deutliche und scharfe Worte war der Mediziner nie verlegen.
Er habe sich frühzeitig um eine Nachfolge gekümmert, sagt er. Vor fünf Jahren ließ er ein Gutachten über seine Praxis erstellen. Mit diesem und mit weiteren Unterlagen suchten fünf renommierte Vermittlungsinstitute deutschlandweit nach einem Übernehmer. Drei hätten sich gemeldet, darunter sei einer zwar ernsthaft interessiert gewesen. Doch eine Praxis im ländlichen Raum habe ihn letztendlich abgeschreckt.
Dann kam das MVZ Leopoldina auf ihn zu mit dem Willen, die Praxis zu übernehmen. Dr. Ibel verkaufte und arbeitete als angestellter Kinderarzt weiter. Seine Überlegung war, dass das MVZ sich leichter tue bei einer Suche nach einem Arzt, zumal dieser angestellt würde und kein finanzielles und personelles Risiko übernehmen müsse. Auch das MVZ ging davon aus, den Praxisstandort Werneck zu erhalten und weiter zu betreiben, heißt es in einer schriftlichen Antwort auf die Anfrage dieser Redaktion.
Anfang des Jahres teilte Dr. Ibel dann mit, dass er zum 1. Oktober 2017 altersbedingt aufhören werde. Bei der Suche nach Ersatz meldeten sich zwar drei Bewerber, so Veit-Maria Oertel, Leiter der Unternehmensentwicklung des Leopoldina-Krankenhauses.
Bewerber abgesprungen
Aus persönlichen Gründen hätten sie aber dann Abstand von ihrer Bewerbung genommen. Dabei sei das MVZ „zu großem Entgegenkommen gegenüber den Ärzten bereit“ gewesen, schreibt Oertel, sowohl beim Umfang als auch der Ausgestaltung des Praxisbetriebes.
Dazu muss erklärt werden, dass mit der Übernahme die Verantwortung für den Sitz der Praxis, eine Art Tätigkeitserlaubnis, ans MVZ übergegangen war. Bereits zu Ibels angestellter Praxiszeit wurde die eine Hälfte des Kassenarztsitzes ins MVZ nach Schweinfurt verlagert, um dort eine ambulante Kinderdiabetologie betreiben zu können.
Die andere Hälfte der Zulassung, also der Erlaubnis der KV, eine bestimmte Anzahl von Fällen zu behandeln, blieb in Werneck. Nachdem sich dort keine Nachfolgeregelung fand, „ist der Sitz vollumfänglich ins MVZ Leopoldina (Kinderdiabetologie) übergegangen“, so Oertel.
Aus wirtschaftlichen Gründen habe es definitiv keine Notwendigkeit gegeben, die Praxis zu schließen, meint Dr. Ibel. „Die Zahlen waren okay.“ Das auch, obwohl die Entbindungsstation des Marktkrankenhauses Werneck im April 2014 geschlossen hatte.
Ibel spricht von verfehlter Politik
Jetzt ist die Kinderarztpraxis in Werneck „zu und bereits zurückgebaut“, sagt Ibel. Eine verfehlte Politik sei an der ganzen Misere schuld. Seit 20 Jahren ist bekannt, dass die Medizin weiblich werde, dass 60 bis 70 Prozent der Studenten Frauen sind. „Darauf muss man mit den Arbeitsbedingungen auch eingehen“, fordert er.
Ein von der CSU favorisiertes „Landarzt“-Projekt, mit dem Medizinstudenten im ersten Semester sich fürs Land entscheiden sollten, sei untauglich. Schon der Begriff „Landarzt“ spiegle ein Klischee wider, „zwischen Romantik und Misthaufen“. Das werde aber der Wirklichkeit nicht gerecht.
Untauglich in der heutigen Situation, wo „Work-Life-Balance“ einen hohen Stellenwert habe, sei auch das bisherige Zulassungsmodell. „Das ist Sache der Kassenärztlichen Vereinigung.“ Angesichts überall im ländlichen Raum herrschenden Mangels an Ärztenachwuchs konstatiert Dr. Ibel: „Es sieht nicht so aus, dass sich da was bewegt“.